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Human Rights Defenders
Maria Ressa: "Ich will handeln"

Interview mit der Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin
Maria Ressa

Maria Ressa

Die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa hat sich in ihrer gesamten Karriere für Pressefreiheit auf den Philippinen eingesetzt. Sie kehrte 1986 nach ihrer Ausbildung im Ausland auf die Philippinen zurück, begann nach der People Power Revolution ihre Laufbahn als Journalistin und hatte schließlich führende Positionen in mehreren lokalen und internationalen Nachrichtenorganisationen. 2012 gründete sie die ausschließlich digital operierende Nachrichtenplattform Rappler, die sich der Förderung von Wahrheit und Demokratie im Journalismus widmet. Aufgrund ihrer Bemühungen um die Enthüllung der Wahrheit über den so genannten „Drogenkrieg”, der tausenden Menschen das Leben kostete, wurde sie zur Zielscheibe juristischer und politischer Schikanen durch die Duterte-Regierung.

FNF: Bei den letztjährigen Wahlen kam eine neue Regierung an die Macht, an deren Spitze ein Präsident mit einer weniger polarisierenden und aggressiven Rhetorik steht. Was hat sich für freie Medienorganisationen und Journalisten und Journalistinnen verändert?
Maria Ressa:
Auf den ersten Blick hat sich das Klima der Angst beruhigt. Manchmal gibt es aber Situationen, in denen die Menschen nach wie vor Angst haben, denn das alles ist nicht leicht. Als ich mit Rappler freigesprochen wurde, haben sich eine mögliche 34-jährige Haftstrafe und vier Anklagen in Luft aufgelöst. Ich glaube, die Menschen haben auf die drei Richter des Berufungsgerichts geschaut, um zu sehen, ob es Konsequenzen gibt. Aber es gab keine Konsequenzen. Bei V-Dem (Varieties of Democracy) hat mir unter anderem gefallen, dass es als Rückkehr zur Demokratie bezeichnet wird, wenn sich ein Land erholt.

Ihre Aufmerksamkeit gilt der Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz.
Für freie Medien sind die Zukunftsperspektiven noch immer unsicher, aber etwas besser geworden. Seit 2019 sind zehn Haftbefehle gegen mich ergangen, von denen sieben inzwischen wieder aufgehoben wurden. Es bleiben noch drei Haftbefehle übrig. Ursprünglich hätten mir mehr als einhundert Jahre Gefängnis gedroht, aber jetzt sind es nur noch ein paar Jahrzehnte. Inzwischen blicken wir zuversichtlicher in die Zukunft. Die Philippinen sind nicht Nordkorea, wir sind nicht Russland, und wir sind nicht China. Ich hoffe also, dass der Rechtsstaat stärker wird.

In seiner Rede zum 50-jährigen Bestehen des KBP (Verband der Rundfunkmedien der Philippinen) betonte der Präsident, wie wichtig Pressefreiheit für die Regierung sei. Zudem haben sich die Philippinen in der von Reporter ohne Grenzen (RSF) erstellten Rangliste der Pressefreiheit von Platz 147 im Jahr 2022 auf Platz 132 im Jahr 2023 verbessert. Was halten Sie hiervon?
In gewisser Weise stimmt das. Aufgrund der zehn Haftbefehle hätte ich verurteilt werden können, aber ich wurde nicht verurteilt. Letztendlich wurde die Welt auf den Kopf gestellt. Duterte war vermutlich der mächtigste Führer in der Geschichte dieses Landes, der nie gezwungen war, das Kriegsrecht zu verhängen, während es hingegen der Vater Marcos verhängte. Wegen Covid 19 musste Duterte das jedoch erst gar nicht. Ich denke, dass wir uns verbessert haben. Persönlich empfinde ich das so. Das ist eine persönliche Erfahrung. Mit der Einschätzung, dass es uns an Tatkraft mangelt, lag RSF meiner Meinung nach jedoch falsch. Die abschreckende Wirkung war real, und es gab Artikel, die nicht veröffentlicht wurden. Man musste einen Preis zahlen, um diese Artikel zu veröffentlichen, und wir hatten ehrlich gesagt nichts mehr zu verlieren. Wir haben unsere Artikel weiterhin veröffentlicht. Es wäre schlimmer, wenn ich sagen müsste, dass ich das, was ich tat, aufgab, weil ich Angst hatte.

Gegen Sie sind nach wie vor drei Gerichtsverfahren anhängig. Können Sie dazu etwas mehr sagen?
Es gibt ein Verfahren vor der SEC, der Wertpapier- und Börsenkommission, wegen einer Schließungsverfügung gegen Rappler. Das strafrechtliche Gegenstück dazu ist ein Verstoß gegen das „Anti-Strohmann-Gesetz” (Commonwealth Act 108). Und dann gibt es da noch das Verfahren wegen Verleumdung im Internet, das bis zum Obersten Gerichtshof gegangen ist. Um reisen zu können, muss ich den Obersten Gerichtshof um Erlaubnis bitten.

In Ihrem Buch „Wie man einem Diktator die Stirn bietet” geht es um manipulative Macht: in etwa was Social-Media-Plattformen und Big-Data-Mining-Unternehmen tun. Welche Schritte sollten Verfechter freier Medien als nächstes in Angriff nehmen?
Man kann nicht regieren, wenn das eigene Volk, die Menschen im eigenen Land, heimtückisch mit Angst, Wut und Hass manipuliert werden. Was würden Sie tun? Würden Sie zu den gleichen Mitteln greifen, um zurückzuschlagen? Wie schlagen Sie zurück?

Die eigentliche Frage ist, ob man die gleichen Werte hat. Wird man lügen? Wird man Hass schüren, um Macht zu bekommen? Ich hoffe, die Antwort lautet Nein.
Wie geht man damit um? Man schaut sich den regulatorischen Rechtsrahmen an; man versucht, seine Bürger und Bürgerinnen und Bürger und Bürgerinneninnen zu schützen. In jedem Land muss ein Toaster nach den geltenden Bestimmungen mehr Sicherheitstests durchlaufen als das, was man in der Tasche mit sich herumträgt. Und außerdem ist das unendlich viel mächtiger als alles, was wir jemals berührt haben, richtig?

Gibt es Hoffnung?

Natürlich gibt es Hoffnung. Aber wissen Sie, was Hoffnung erfordert? Sie erfordert alles von uns. Sie verlangt Menschen, die Demokratie lieben, alles ab. Wir sind immer noch hier, aber ich will keinen falschen Halt. Ich will handeln. Hoffnung kommt von Handeln, und wenn man nicht handelt, dann wird man verlieren.

Die Menschen an vorderster Front mussten einen hohen persönlichen Preis zahlen, und das sollte nicht so sein. Und offen gesagt kamen wir dann auf das Thema Big Tech zu sprechen. Big Tech sollte nicht einfach so davonkommen. Ich meine, in dem Buch geht es darum, wie man einem Diktator die Stirn bietet. Wer ist denn der größere Diktator? Duterte oder Mark Zuckerberg? Wer kontrolliert mehr Menschen? Und in puncto Straffreiheit reden wir von der Anzahl an Menschen, die im philippinischen Drogenkrieg ihr Leben verloren haben. Wie viele es genau sind, wissen wir nicht. Irgendwo zwischen tausenden und zehntausenden von Menschenrechtsaktivisten, wenn man der Polizei Glauben schenken darf. Doch wie viele Menschen wurden wegen der Software auf ihren Handys umgebracht? Wir kennen Myanmar. Wir kennen Sri Lanka. Wir kennen Indien. Das macht mich verrückt. Es passiert nach wie vor, und wir sind, Sie wissen ja, die politischen Dominosteine sind im Jahr 2016 gefallen. Jetzt haben wir 2023, aber es hat sich nicht viel verändert.

Also, wenn man sich das Ganze einmal ansieht. Mein Leben ist verrückter geworden, denn ich versuche, jede Möglichkeit zu nutzen, um an die heranzukommen, die an der Macht sind. Wir haben Rappler betrieben. Politiker bewegen sich meist wohl erst dann, wenn sie Druck aus der Bevölkerung spüren. Schließlich will jeder Politiker am Ende ja auch gewählt werden. Das macht das Ganze zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Ich bin fest davon überzeugt. Wir werden bis Ende 2024 mit einem halsbrecherischen Tempo weitermachen. Und dann kann ich hoffentlich eine Weile schlafen. Aber ich denke, wenn wir das nicht machen, werden manche behaupten, dass wir Panik schüren. Ja, wir werden sehen, was die Erfahrung mit sich bringt. Vorher haben wir nicht genug Panik verbreitet.

Hier finden Sie unsere Publikation zum Thema Human Rights Defender – Journalistinnen und Journalisten.