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Sicherheitspolitik
Eine Europäische Armee: Leitbild für eine wirksame EU-Defence-Strategie

Bundeswehr Kramp-Karrenbauer
Bundeswehrsoldaten legen am Schloss Bellevue im Beisein von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer ihr feierliches Gelöbnis ab. © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Donald Trump als Gottseibeiuns des transatlantischen Dialogs warf einen so großen Schatten über die US-EU-Beziehungen, dass in dessen Dunkelheit manche Europäer gelegentlich bequeme Deckung nehmen konnten: Eine seriöse öffentliche Debatte über das Burdensharing im NATO-Bündnis und die Beantwortung der Frage nach der Weiterentwicklung des EU-Verteidigungskonzeptes nahmen nicht die Fahrt auf, die angemessen und notwendig wäre.

Kaum ist jedoch Joe Biden zum nächsten US-Präsidenten gewählt und damit die transatlantische Kommunikations- und Politikstarre überwunden, belebt sich auch die verteidigungspolitische Debatte innerhalb Europas wieder. Die Eckpflöcke des Argumentationskontinuums schlugen diese Woche Emmanuel Macron und Annegret Kramp-Karrenbauer ein. Während der französische Staatspräsident mit Hinweis auf die Leitbilder der Europäischen Souveränität und Strategischen Autonomie Europas für das Ziel der Unabhängigkeit von den USA plädierte, hielt die deutsche Verteidigungsministerin in einer Grundsatzrede dagegen und wies darauf hin, dass die USA heute 75% aller Fähigkeiten bereitstelle und auf Jahrzehnte für Europas Schutz unverzichtbar sei. Zudem geböte auch die Bündnisvernunft eine starke Zusammenarbeit mit den Werte- und Interessenverwandten Vereinigten Staaten.

Steht hier ein neuer innereuropäischer Streit ins Haus, der die EU eher spalten als zusammenführen wird? Das muss nicht sein. Unbestritten ist, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten mehr für das NATO-Bündnis tun müssen. Die Einigung auf das 2%-Ziel, also 2% des BIP für Verteidigungsausgaben aufzuwenden, ist eine Einigung, die die NATO-Mitglieder beschlossen haben und die sinnvoll ist. Der Weg ist eingeschlagen und muss freilich schneller gegangen werden als bislang. Das wird schwierig genug.

Helfen kann hierbei, das Leitbild einer Europäischen Armee wieder in den Blick zu nehmen. Ein alter Hut und töter als tot? Nur dann, wenn allein top-down die Vorstellung kurzfristig zu erreichender einheitlicher Kommando-Strukturen, Uniformen, Ausbildung und Waffensysteme durchgedrückt werden soll. Der liberale Ansatz ist ein anderer, nicht top-down, bottom-up kann der Prozess gelingen. Natürlich geht es um Kommandostrukturen, Beschaffung von Ausrüstung und Waffensystemen und Rekrutieren der Soldatinnen und Soldaten.

Drei Themenfelder müssen auf den Weg gebracht und Lösungen zugeführt werden:

Erstens: Der Dialog um die strategischen und verteidigungspolitischen Kulturen der Mitgliedstaaten muss politisch und in einer breiteren Öffentlichkeit geführt werden.  Schon heute geschieht dies in mehr Institutionen als der Öffentlichkeit bewusst ist. Im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik gibt es eine Fülle bestehender Institutionen, in den verteidigungspolitisch diskutiert und entschieden wird. Da begegnen sich historisch gewachsene Kulturen, die Partner in der EU lernen und bilden im Laufe der Zeit bestenfalls ein gemeinsames Verständnis. Dieser Prozess gehört viel stärker in die allgemeine politische Arena. Dafür ist die Auseinandersetzung Macron Kramp-Karrenbauer hilfreich. Vielversprechend ist auch der unter der deutschen Ratspräsidentschaft eingeleitete Prozess des Strategischen Kompasses, der darauf abzielt, künftige Bedrohungen, Ziele und Ambitionen für die Verteidigung der EU zu definieren.

Zweitens: Die Fragmentierung des europäischen Rüstungsmarktes muss angegangen werden. Die EU wird nur mehr wirksame eigene militärische Fähigkeiten aufbauen können, wenn ihre nationalen Streitkräfte über gemeinsam entwickelte, gebaute und beschaffte Ausrüstung und Waffensysteme verfügen können. Dies brächte einen sowohl militärisch als auch haushalterisch dringend notwendigen Effizienzschub.

Drittens: Personell müssen die nationalen Streitkräfte stärker in Richtung Europäischer Streitkräfte integriert werden. Ein wichtiger, auch vertrauensbildender Schritt dabei kann die Öffnung nationaler Streitkräfte für EU-Bürger aus den jeweils anderen Staaten sein. Dies würde die Armee von innen heraus europäisieren und das europäische Denken in allen Streitkräften stärken.

Die Europäische Armee ist kein Schlagwort von naiven Europaträumern. Sie ist Ausdruck der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Europa muss seine verteidigungspolitischen Fähigkeiten ausbauen und weiterentwickeln. Das geht nur mit weniger Fragmentierung und mehr Integration: In Strategie, in der Beschaffung, in der Rekrutierung.

Wichtig bleibt dabei: Das alles muss in Europa geschehen, aber integriert in das Atlantische Bündnis. Denn selbst wenn Europa alles selbst könnte, wovon es Jahrzehnte entfernt ist, gebietet die geopolitische Lage den transatlantischen Schulterschluss mehr denn je. Wenn es die NATO nicht gäbe, müsste man sie heute erfinden.