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45 Jahre Solidarnosc
45 Jahre der Solidarność - Die Bewegung, die ganz Europa die Freiheit brachte

Solidarnosc

Demonstrationen in Warschau: Anhänger der Gewerkschaft Solidarnosc mit einem Transparent auf einer Kundgebung

© picture alliance / dpa | -

Vor 45 Jahren begannen die Proteste der Arbeiter der Danziger Werft, die Weltgeschichte geschrieben haben. Aus dem Protest gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise entstand die stärkste antikommunistische Bewegung in Europa, die nicht nur zum Sturz des Kommunismus in Polen, sondern auch zum allmählichen Zerfall des gesamten Ostblocks, zum Fall der Berliner Mauer und zur Wiedervereinigung Deutschlands und ganz Europas führte. Diese Bewegung heißt Solidarność (Solidarität), und ihr Vermächtnis ist in der heutigen unsicheren Zeit zunehmender autoritärer Tendenzen auf der ganzen Welt wichtiger denn je.

Von Hoffnungslosigkeit zu Aufbruch

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Polen (damals Die Volksrepublik Polen) fest in das sowjetische Machtsystem eingebunden. Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei regierte autoritär, politische Freiheiten waren stark eingeschränkt, und die Bevölkerung litt unter Versorgungsengpässen, Preissteigerungen und wirtschaftlicher Stagnation. Schon in den 1950er- und 1970er-Jahren war es zu Aufständen gekommen, etwa 1956 in Posen oder 1970 an der Ostseeküste. Diese Proteste hatten mit Blutvergießen und Unterdrückung geendet. Die Lehre daraus war bitter: Spontane Revolten allein konnten das System nicht erschüttern.

In diesem Klima der Hoffnungslosigkeit formierten sich kleine oppositionelle Kreise - Intellektuelle, Dissidenten, katholische Aktivisten. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), das nach den brutalen Repressionen von 1976 gegründet wurde. Doch erst das Jahr 1980 brachte den entscheidenden Durchbruch.

Im Jahr 1980 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage weiter. Am 1. Juli beschlossen die Parteibehörden, die Preise für Fleisch und Wurstwaren zu erhöhen. Noch am selben Tag kam es als Reaktion darauf zu kleineren Protesten in Fabriken im ganzen Land. Am 14. August legten Arbeiter der Lenin-Werft in Danzig die Arbeit nieder. Auslöser war unter anderem auch die Entlassung der Kranführerin Anna Walentynowicz, wenige Monate vor ihrer Pensionierung; ein Symbol für die Willkür des Systems. Unter der Führung des Elektrikers Lech Wałęsa formierten die Arbeiter einen Streik, der tagelang ohne Unterbrechung lief und rasch politische Forderungen beinhaltete: das Recht auf unabhängige Gewerkschaften, Meinungsfreiheit und Respekt gegenüber den Bürgerrechten.

Die Geburtsstunde der Solidarność

Trotz staatlicher Zensur fanden die Nachrichten über den Streik in der Danziger Werft über Radio Free Europe ihren Weg in alle Teile Polens. Rasch griffen Dutzende von Betrieben verschiedenster Branchen die Proteste auf und legten ebenfalls die Arbeit nieder. Auf Transparenten und in Sprechchören tauchten immer häufiger die Worte „Wir sind solidarisch“ und „Solidarität“ auf; Begriffe, die bald zum Symbol einer ganzen Bewegung wurden. Die Anführer der Streiks aus allen Teilen des Landes beschlossen, ihre Kräfte zu bündeln und gründeten die Bewegung mit dem programmatischen Namen Solidarność (Solidarität). Statt lokaler Proteste entstand eine Bewegung, die sich mit anderen Betrieben solidarisierte. Ihre zentrale Forderung: die offizielle Anerkennung als unabhängige Gewerkschaft.

Die Streikenden organisierten sich in einem „Streikkomitee“ und erarbeiteten die berühmten 21 Forderungen an die kommunistische Regierung, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und bürgerliche Freiheiten umfassten.

Angesichts der enormen Stärke und des Ausmaßes der Proteste war das kommunistische Regime diesmal nicht im Stande wie 1956 oder 1970, mit Gewalt zu antworten - es musste nachgeben. Am 31. August 1980 war die polnische Regierung gezwungen, den Danziger Forderungen zuzustimmen. Damit wurde Solidarność als erste unabhängige Gewerkschaft im sowjetisch dominierten Ostblock anerkannt, ein politisches Beben in ganz Europa. Millionen Polen traten der neuen Bewegung bei, und innerhalb weniger Monate zählte sie etwa zehn Millionen Mitglieder - ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung.

Solidarność war damit weit mehr als eine Gewerkschaft: Sie war ein Symbol für Selbstbestimmung, Würde und Freiheit.

Solidarność als Funke für das Ende des Ostblocks

Der Erfolg von Solidarność veränderte das politische Klima grundlegend. Die kommunistische Führung, die Druck aus Moskau verspürte, fürchtete einen Kontrollverlust. Im Dezember 1981 verhängte General Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht. Führende Aktivisten, darunter auch Lech Wałęsa, wurden verhaftet, die Bewegung verboten, die Hoffnung vieler Menschen schien zerstört.

Doch Solidarność überlebte im Untergrund. Unterstützt von der katholischen Kirche und inspiriert durch Papst Johannes Paul II., der den Polen Mut zusprach, wurde die Bewegung zum moralischen Rückgrat einer ganzen Nation. Noch vor dem Fall des Kommunismus besuchte Papst Johannes Paul II. sein Heimatland gleich drei Mal. 1981 traf er Lech Wałęsa persönlich und zeigte offen seine Unterstützung für Solidarność. Seine Predigten und öffentlichen Auftritte entfalteten eine enorme Wirkung: Sie gaben den Menschen Mut und inspirierten nicht nur die Mitglieder der Gewerkschaft, sondern auch breite Teile der Gesellschaft. Der Papst wurde zu einer moralischen Autorität, die die Zivilbevölkerung mobilisierte und der Bewegung eine Stärke verlieh, der die kommunistische Führung 1989 schließlich nichts mehr entgegensetzen konnte.

Moralische Unterstützung kam auch aus den Westen. 1983 wurde Lech Wałęsa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet; die Auszeichnung nahm in Oslo seine Frau Danuta entgegen, weil er befürchtete, nach einer Ausreise nicht nach Polen zurückkehren zu dürfen.

In den späten 1980er-Jahren war die Wirtschaftskrise in Polen nicht mehr anzuhalten. Die anhaltende Stärke von Solidarność zwang die kommunistische Regierung an den Verhandlungstisch. Die sogenannten Runden-Tisch-Gespräche seit Februar bis April 1989 führten im Juni 1989 zu ersten teilweise freien Wahlen, die Solidarność gewann. Dies markierte den Anfang vom Ende des Kommunismus in Polen und leitete eine Kettenreaktion im gesamten Ostblock ein.

Der Fall der Berliner Mauer im November 1989, die demokratischen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa und die deutsche Wiedervereinigung waren ohne Solidarność nicht denkbar gewesen. Aus der Perspektive Deutschlands war Solidarność ein entscheidender Motor für die Freiheit, sie öffnete den Weg zur Überwindung der Teilung Europas.

Mut, Freiheit, Solidarität - eine Botschaft für unsere Zeit

Solidarność zeigt, dass Freiheitsbewegungen, getragen von Zivilcourage und Solidarität, selbst autoritäre Systeme ins Wanken bringen können. Ihre Geschichte lehrt, dass organisierter und von moralischen Werten getragener friedlicher Widerstand, nachhaltige Veränderungen herbeiführen und die demokratischen Freiheiten schützen kann.

Heute, da autoritäre Tendenzen weltweit wieder zunehmen - sei es durch Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit, oder der Versammlungsfreiheit, die Unterdrückung von Zivilgesellschaften oder allgemeine Eindämmung der Bürgerrechte - ist das Vermächtnis von Solidarność aus den 1980 aktueller denn je. Für Deutschland, Europa und die liberale Weltgemeinschaft bleibt es eine Mahnung: Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind nie selbstverständlich. Sie müssen immer wieder neu erkämpft, verteidigt und gelebt werden.