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Präsidentschaftswahl Montenegro
Die Identitätsfrage als Knackpunkt

Milo Djukanovic
© picture alliance / AA | Arif Hudaverdi Yaman

Etwa 540.000 montenegrinische Bürger sind aufgerufen, sich am 19. März für einen der sieben Präsidentschaftsbewerber zu entscheiden. Amtsinhaber Milo Djukanović will es nochmals wissen, obwohl er diese Funktion bereits zwei Mal bekleidete, neben sechs Amtszeiten als Premierminister. Insgesamt steht der 61-Jährige in verschiedenen Positionen seit mehr als dreißig Jahren an der Spitze des kleinsten Balkanstaates.

Die politischen Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Podgorica sind auch 17 Jahre nach Ausrufung der Unabhängigkeit von der Identitätsfrage geprägt: Fühlen sich die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes zur montenegrinischen oder serbischen Nation zugehörig? Welche Sprache sprechen die Bewohner, Serbisch oder Montenegrinisch? Übt die Serbisch- oder die Montenegrinisch-Orthodoxe Kirche die geistliche Macht in Montenegro aus? Diese Fragen bestimmen die politische Realität des kleinen Landes und brachten bereits mehrere Regierungen zu Fall.

Drei Kandidaten stehen für drei Politikkonzepte

Die drei aussichtsreichsten Kandidaten sind der aktuelle Präsident Milo Djukanović (Demokratische Partei der Sozialisten, DPS), Andrija Mandić (Neue Serbische Demokratie, NSD), sowie der ehemalige Wirtschaftsminister Jakov Milatović (Bewegung „Europa Jetzt“, ES). Obwohl Amtsinhaber Djukanović alle Umfragen anführt, könnte Milatović im Falle einer Stichwahl Djukanović durch die Unterstützung des Gegenkandidaten einen Strich durch die Rechnung machen.

Die Präsidentschaftswahl ist insbesondere ein Gradmesser für die im kommenden Jahr bevorstehende Parlamentswahl. Ein Sieg der pro-europäischen und reformorientierten Kräfte könnte das „System Djukanović“ endgültig zum Fall bringen und Montenegro zu einem schnelleren EU-Beitritt verhelfen. Selten personifizierten drei Kandidaten so deutlich die drei konkurrierenden politischen Ausrichtungen im modernen Montenegro wie bei dieser Wahl: für die Annäherung an Serbien, für eine Annäherung an die Europäische Union - oder für ein Weitermachen wie bisher mit ungewissem Ausgang.

Vor fast zwanzig Jahren führte Milo Djukanović Montenegro erst in die Unabhängigkeit (2006), später dann in die NATO (2017). In seiner aktuellen Wahlkampagne setzt er pro-europäische Akzente und wirbt damit, dass das Land während seines bevorstehenden Mandats EU-Mitglied werden könnte. Als nicht unumstrittener „Landesvater“ gibt sich Djukanović staatsmännisch und erweckt gleichzeitig den Eindruck, als stürzte das Land im Falle seiner Niederlage in Chaos und Verderben. Umstritten deshalb, da sich Montenegro während Djukanovićs nunmehr drei Jahrzehnte andauernden Herrschaft zunehmend korrupt zeigte, und auch die autoritären Züge seiner Führerschaft sorgten bei EU-Vertreter/innen für Stirnrunzeln. Die wenigen EU-Botschaften in dem Land distanzieren sich zunehmend vom „Dauerpräsidenten“. Demgegenüber stehen Beliebtheitswerte zwischen 35 und 40 Prozent, was im Falle einer Stichwahl jedoch problematisch für ihn werden könnte.

Andrija Mandić ist bislang der „ewige Verlierer“ der montenegrinischen Politik. Mandić war lange nicht nur als Anhänger eines gemeinsamen Staates mit Serbien bekannt, sondern auch als harter serbischer Nationalist und Gegner der euro-atlantischen Integration Montenegros. Verschiedene Gerichtsprozesse, u.a. wegen eines geplanten Staatsstreichs, blieben ergebnislos; in der Folge trennte sich Mandić scheibchenweise von seinen radikal pro-serbischen Ansichten und suchte den Weg ins politische Zentrum. Offiziell akzeptiert er die NATO-Mitgliedschaft Montenegros und strebt eine EU-Mitgliedschaft an. Von den drei Spitzenkandidaten sind seine Chancen zum Sieg am geringsten – seine eventuelle Unterstützung für Jakov Milatović könnte von entscheidender Bedeutung für eine mögliche Stichwahl werden.

Im Vergleich zu den ersten beiden Kandidaten erscheint Jakov Milatović, obwohl er von 2020-2022 als parteiloser Wirtschaftsminister diente, als unbeschriebenes Blatt. Milatović, stellvertretender Vorsitzender der Bewegung „Europa, Jetzt!“, entschied sich erst drei Wochen vor dem Wahltag zu einer Präsidentschaftskandidatur. Der bisherige Kandidat der pro-europäischen Bürgerbewegung Milojko Spajić musste aufgrund einer in Montenegro illegalen doppelten Staatsbürgerschaft mit Serbien das Handtuch werfen. Milatović (37) gilt als junger, aber erfahrener Wirtschaftsexperte; die Ernennung zum Wirtschaftsminister war der Höhepunkt seiner bisherigen politischen Karriere.

Als Vertreter einer jungen Generation, die die jahrzehntelange Spaltung in Montenegriner einerseits und Serben andererseits ablehnt, versucht Milatović den europäischen Weg Montenegros mit den traditionell engen Beziehungen zu Serbien unter einen Hut zu bringen. Als Abkehr von den lange beherrschenden Identitätsfragen unterstreicht er in seinem Programm die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Vom amtierenden Präsidenten Djukanović und seiner Partei DPS grenzt er sich konsequent durch starke Anti-Korruptions-Botschaften ab.

„Weiter so“ oder „Europa, Jetzt!“?

Eine immer wahrscheinlichere Stichwahl soll am 2. April stattfinden. Umfragen zeigen, dass Jakov Milatović in einem direkten Duell mit dem amtierenden Präsidenten Djukanović gute Aussichten hätte. Andrija Mandić hingegen werden nur Außenseiterchancen zugesprochen, weil sich die Bevölkerungsmehrheit nicht mehr mit seinen pro-serbischen Positionen identifizieren kann. Falls es in die Stichwahl gehen sollte, steht den Montenegrinern eine Richtungswahl bevor.

Dušan Dinić ist Senior Project Coordinator im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am Standort Belgrad.