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Jahrestag
Terror gegen Juden, Israel und Olympia – das tragische Ende der „heiteren Spiele“ 1972

Olympia

Schweigemarsch von der Synagoge zur Feldherrnhalle in München am 05.09.1972 in Gedenken an die zwei von arabischen Terroristen getöteten israelischen Sportler

© picture alliance / Klaus Heirler | Klaus Heirler

Die XX. Olympischen Spiele in München schienen zum „Sommermärchen“ zu werden: Am 3. September 1972, dem „Goldenen Sonntag“, feierte das deutsche Leichtathletik-Team drei Goldmedaillen, am nächsten Tag folgte der überraschende Triumph der Hochspringerin Ulrike Meyfarth. Es schienen Spiele der Leichtigkeit, die Stimmung bestens, die Zuschauer begeistert, selbst die in München erstmals mit eigener Hymne und Staatssymbolen angetretene Mannschaft der DDR wurde gebührend gefeiert. Eine Woche hielt der Traum an den später der israelische Sportler und Holocaust-Überlebende Shaul Ladany erinnerte: „Überall waren Blumen, schöne Farben, Freiheit, es war eine tolle und angenehme Atmosphäre.“

Doch in der Nacht zum 5. September wurde deutlich, dass die Konflikte der Welt sich nicht einfach für einige Wochen ausblenden ließen. Acht Mitglieder des „Schwarzen September“, einer Terrorgruppe der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP), überfielen die israelische Mannschaft im Olympischen Dorf. Um vier Uhr früh kletterten sie – getarnt als Sportler, die von einer nächtlichen Spritztour zurückkamen – über den Zaun des Dorfes; die laxen Sicherheitsvorkehrungen bildeten kein Hindernis für die entschlossene, mit Kalaschnikows und zahlreichen Handgranaten ausgerüstete Gruppe. Sie töteten zwei sich ihnen in den Weg stellende israelische Sportler und nahmen neun jüdische Teammitglieder als Geiseln. Ihre Forderung: Freilassung von 236 im israelischen Gewahrsam befindlichen Palästinensern sowie der beiden Deutschen – im Juni 1972 festgenommenen – RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof.

Die Geiselnahme endete – wie bekannt – tragisch: In langen Verhandlungen hatte der Krisenstab – dem Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, der bayerische Innenminister Bruno Merk und der Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber als Verantwortliche vorstanden – zwar immer wieder Fristverlängerungen erreicht, jedoch kein Nachgeben in den Forderungen. Selbst das Angebot Genschers, anstelle der israelischen Sportler als Geisel zu dienen, brachte keinen Durchbruch. Die israelische Regierung lehnte jegliche Verhandlungslösung ab und auch die zeitweilige Überlegung, die Geiseln nach Ägypten ausfliegen zu lassen, scheiterte schon daran, dass man dort – so der ägyptische Premier – „damit nichts zu tun haben“ wolle.

Entsetzen in Deutschland und Israel, Jubel bei militanten Palästinensern

So blieb nur die schließlich in der Nacht versuchte Befreiung der Geiseln auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, die in eine Katastrophe mündete: Die Vorbereitung war unzureichend, der Funkverkehr zwischen den zu wenigen Scharfschützen gestört, die genaue Zahl der Terroristen erst zu spät bekannt – so endete die Schießerei im Inferno: Die Geiselnehmer töteten alle neun jüdischen Sportler und einen Polizeibeamten, drei Terroristen überlebten.

Entsetzen in Deutschland und Israel, Jubel dagegen bei militanten Palästinensern: Zynisch proklamierte der PFLP-Chef Georges Habash, sekundiert von PLO-Chef Yassir Arafat, „ein israelisches Massengrab ist ein Vorbild und ein Stimulans“. Auch die radikale Linke in Deutschland folgte dieser antisemitischen und antiisraelischen Gesinnung. Ulrike Meinhof trat, so ließ sie in einer Presseerklärung aus der Haft verlauten, aus „Solidarität mit den arabischen Genossen“ in Hungerstreik. Und ihr Anwalt Heinrich Hannover widersprach zwar, relativierte aber: „Wenn sie Genscher als Geisel mitgenommen hätten, ließe sich darüber reden, aber israelische Sportler?“

Ein Gegenbild zur nationalsozialistischen Olympiade 1936 sollte München `72 sein: die Vision eines neuen, friedliebenden Landes in die Welt tragen, voller Optimismus auf dem Weg zur europäischen Entspannung, fröhliche Spiele ohne Kolonnen schwerbewaffneter Polizisten. Der Erfolg der Bewerbung schien diesen Traum zu bekräftigen: München, die frühere „Hauptstadt der Bewegung“, zeigte sich in modernem, weltoffenen Profil, in der „Weltstadt mit Herz“ sollten es „Olympische Spiele der kurzen Wege im Grünen und der Einheit von Körper und Geist“ werden. Alle Beteiligten verstanden die Vergabe der Spiele nach Deutschland als eine Mission, „das Trennende zu überwinden und das Gemeinsame zu finden“ (Willi Daume). Das Bild der „heiteren Spiele“ sollte „nicht von Stacheldraht und Maschinenpistolen geprägt sein“. Entsprechend entwarfen die Organisatoren ein „sanftes“ Sicherheitskonzept. Die Planung konzentrierte sich – trotz vorliegender, wenn auch vager Warnungen – nicht auf einen Anschlag gegen die Mannschaften, sondern auf die Gefährdung einzelner Prominenter. Ebenso wenig fiel bei der Vorbereitung die Serie palästinensischer Attentate seit Ende der 60er-Jahre ins Gewicht, darunter auch eine Flugzeugentführung in München selbst. Und im Mai 1972 hatte der Linksterrorismus in Deutschland zahlreiche Bombenanschläge verübt, Gewaltakte hatten sich auch schon dezidiert gegen jüdische Menschen und Institutionen gerichtet, etwa ein Altersheim in München und das Jüdische Gemeindehaus in Berlin.

Schicksalsschlag für Politik und Gesellschaft

Die vorherige Fehleinschätzung der Gefahrenlage spielte den Geiselnehmern am Tag des Anschlags sicher in die Hände. Allerdings wurde die Tätigkeit des Krisenstabes und der Polizei noch zusätzlich durch Schaulustige behindert, die Straßen und Zufahrtswege blockierten. Ebenso unrühmlich war die Rolle der Medien, die vor Ort präsenten Sportjournalisten mit ihren Teleobjektiven kommentierten das Geschehen wie einen „Echtzeitkrimi“ (Sven Felix Kellerhoff): Praktisch jeder Schritt der Polizei wurde öffentlich, Gerüchte und Falschmeldungen steigerten die Verwirrung noch. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte auch die deutsch-deutsche Konfrontation: Die DDR-Mannschaft hatte aus ihrer Unterkunft einen guten Einblick in die Zimmer des israelischen Teams und notierte die Ereignisse für die Staatssicherheit ausführlich. Frühzeitig kannte man die genaue Zahl der Terroristen, gab diese Information aber nicht an die Polizei weiter.

Für Hans-Dietrich Genscher bildete das Geiseldrama die „schrecklichste Erfahrung“ seines politischen Lebens. Nach der gescheiterten Geiselbefreiung bot er seinen Rücktritt an, den Bundeskanzler Willy Brandt aber mit dem Hinweis ablehnte, Genscher habe alles in seiner Macht Stehende getan. Eine der wichtigsten Konsequenzen aus dem vergeblichen Ringen um das Leben der jüdischen Sportler zog der Bundesinnenminister wenige Tage später mit der Entscheidung zur Gründung einer speziellen Einsatztruppe, der GSG 9. Diese bestand ihre bekannteste Bewährungsprobe im Herbst 1977 mit der Befreiung der Geiseln in der entführten Lufthansamaschine in Mogadischu.

Sonst aber nahm die bundesdeutsche Politik und Gesellschaft – so ungeheuer der Schock des Terrorakts auch gewesen war – das Ereignis eher wie eine Art Schicksalsschlag. Mit recht heißer Nadel strickte die Bundesregierung einen Bericht, der bereits am 20. September vorgelegt wurde, noch bevor alle Untersuchungen abgeschlossen waren. Eine genaue Aufarbeitung blieb zunächst stecken, sie hätte auch die Beziehungen zu den arabischen Staaten und die Sicherheit jüdischer Menschen in Deutschland und deren Gefährdung durch antisemitische Angriffe in den Blick nehmen müssen. Die bevorstehenden Bundestagswahlen im November 1972 setzten dann neue Prioritäten.

Insofern ist die Enttäuschung seitens der Angehörigen der Opfer verständlich. Ihnen wurde noch 1972 eine kleine Entschädigung gezahlt, die weitergehenden Fragen nach Verlauf und Verantwortung jedoch nicht behandelt. Eine Klage der Hinterbliebenen – mit Bezug auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen und das Verhalten der Verantwortlichen – wurde Mitte der 1990er-Jahre schließlich vom Oberlandesgericht München in allen Punkten abgewiesen. Im Frühjahr 2001 überwiesen die Bundesrepublik, Bayern und die Stadt München zusammen knapp sechs Millionen Mark an die verbliebenen Familien. Befriedet wurde der Konflikt dadurch allerdings offenbar nicht. Es ist zu hoffen, dass die zum heutigen 50. Jahrestag erfolgte Einigung mit den Angehörigen den tragischen Konflikt beilegen kann.

50 Jahre Olympia 1972

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