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Steuerschätzung
RWI: Steuerbelastung auf Rekordniveau

Die neue Steuerschätzung des Bundes geht von einem Defizit im Haushalt aus. Doch dabei werden die Deutschen schon stärker belastet, als die Einwohner aller anderen OECD-Länder.
Gutachten Steuer- und Abgabenlast in Deutschland

Die neue von der Friedrich-Naumann-Stiftung beauftragte Studie des RWI untersucht die Entwicklung der Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland. Es zeigt sich, dass insbesondere die arbeitende Mittelschicht überdurchschnittlich hoch belastet wird. Im Interview analysiert Hauptautor Dr. Robin Jessen die Resultate des Gutachtens.

Herr Dr. Jessen, wie hat sich die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

Gesamtwirtschaftlich kann man die Steuer- und Abgabenlast durch die Abgabenquote, d.h., die Summe der Steuern und Sozialbeiträge relativ zum Bruttoinlandsprodukt ausdrücken. Die Abgabenquote ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich von 38,4 % im Jahr 2010 auf 41,3 % im Jahr 2019 gestiegen.

Was sind die zentralen Ergebnisse Ihres Gutachtens? Welcher Aspekt hat Sie besonders überrascht?

Das Hauptergebnis des Gutachtens ist, dass die Abgabenlast schon bei recht geringen Haushaltseinkommen 40 % übersteigt. Um Haushalte mit unterschiedlicher Personenzahl vergleichen zu können, berechnen wir im Gutachten Äquivalenzeinkommen. So haben beispielsweise die Mitglieder eines Haushalts mit zwei Erwachsenen und einem Äquivalenzeinkommen von 50.000 Euro den gleichen Lebensstandard wie ein Alleinstehender mit einem Einkommen von 50.000 Euro.

Im Durchschnitt wird schon bei einem jährlichen Haushaltsbruttoäquivalenzeinkommen von 24.000 Euro eine Belastung von 40% erreicht. Überrascht hat mich, dass die Abgabenlast relativ zum Bruttoäquivalenzeinkommen nur im Bereich bis etwa 40.000 Euro mit steigendem Einkommen deutlich zunimmt. Bei höheren Einkommen ist sie in etwa konstant.  

Das Gutachten zeigt, dass die arbeitende Mittelschicht überdurchschnittlich hoch belastet wird. Was bedeutet dies für Alleinerziehende oder Singles?

Berufstätigen Singles sind die Bevölkerungsgruppe, bei der wir die höchsten Belastungen beobachten. Die Belastungsgrenze von 40 % wird im Durchschnitt schon bei einem Einkommen von 15.500 Euro erreicht. Ab einem Einkommen von 28.000 Euro übersteigt die durchschnittliche Belastung 50 %. Bei berufstätigen Alleinerziehenden übersteigt die durchschnittliche Abgabenquote ab einem Bruttoäquivalenzeinkommen von 15.500 Euro 40 %. Wegen des Kinderfreibetrags liegt die Belastung erst ab einem etwas höheren Bruttoäquivalenzeinkommen von 43.000 Euro bei über 50 %.

Welchen Beitrag leisten die Bezieher höherer Einkommen zur Finanzierung von Staat und Sozialsystemen?

Nach unseren Berechnungen trägt die Hälfte der Bevölkerung mit geringeren Einkommen rund 20 % der gesamten Steuern und Sozialbeiträge, die obere Hälfte 80 %. Die oberen 20 % tragen rund 50 % der gesamten Abgaben und die oberen 10 % rund 30 %. Da Spitzenverdiener in dem von uns verwendeten Datensatz unterrepräsentiert sind, dürfte der tatsächliche Beitrag der oberen Prozente sogar noch etwas höher liegen.

Welche Auswirkungen wird die Coronapandemie vermutlich auf die Steuer- und Abgabenlast haben. Sind hier bereits Tendenzen zu erkennen?

Die Coronakrise und die politische Antwort darauf führten 2020 zu einem starken Anstieg der Staatsschulden. Nach Maastricht-Abgrenzung dürften die Staatsschulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt von 60% auf 70% gestiegen sein. Aus dieser einmaligen Erhöhung der Schuldenquote entsteht jedoch kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Da die Verzinsung der neuen Schulden sehr niedrig ist und die Wirtschaft voraussichtlich schon im Jahr 2021 wieder wachsen wird, wird die Schuldenquote in den kommenden Jahren auch ohne Steuererhöhungen zurückgehen. Allerdings sind die Zusatzbeiträge der Krankenversicherungen 2021 gestiegen und es ist wahrscheinlich, dass es 2022, auch wegen der durch Krankenversicherungen getragenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, zu einem weiteren Anstieg kommt.

20 Mai
20.05.2021 19:00 Uhr
virtuell

Fair und gerecht?

Die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland