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Europa
Ressourcensouveränität – Europas Weg aus der Abhängigkeit von China

China, Deutschland und Europa

China, Deutschland und Europa 

© © picture alliance / Zoonar | gd ae

China setzt europäische Entscheidungsträger zunehmend unter Druck. Das weckt schlimmste Befürchtungen, sollte die Volksrepublik künftig ihre Exporte kritischer Rohstoffe als politisches Instrument einsetzen. Europa hat seine Abhängigkeit von chinesischen Lieferketten bei Produktionsschritten in der Rohstoffaufbereitung zu spät erkannt. Gelingt Diversifizierung nicht, könnten schwerwiegende geopolitische Konsequenzen folgen.

Der weltweite Ressourcen-Hunger wächst ungebremst. Das ist einerseits ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass sich weltweit immer mehr Menschen immer mehr leisten können. Andererseits sind damit auch viele Probleme verbunden. Außer ökologischen und sozialen Konflikten, die häufig mit dem Abbau und der Aufbereitung von Rohstoffen verbunden sind, stellen sich auch geopolitische Fragen. Gerade die so genannten Zukunftstechnologien sind auf eine Vielzahl von Rohstoffen angewiesen, die auch in Ländern mit einer kontroversen politischen Agenda abgebaut werden – vor allem in China. Ob für die Produktion innovativer Kommunikationsmittel, moderner Elektrofahrzeuge oder den Ausbau der Infrastruktur für erneuerbare Energien – ohne Zugang zu den sogenannten „kritischen Rohstoffen“ geht nichts. Plötzlich dämmert den europäischen Ländern, dass sie jahrzehntelang vor allem importiert und kaum mehr in die eigene Rohstoffgewinnung investiert haben. Gleiches gilt für zentrale Produktionsschritte in der Rohstoffaufbereitung. Würden die Lieferketten plötzlich unterbrochen, stünde ein Großteil der europäischen Hightech-Industrie still.

Einen Vorgeschmack darauf, was diese Abhängigkeit bedeuten kann, bekamen europäische Unternehmen und Verbraucher bereits durch die chinesische Coronapolitik zu spüren: Kollabierte Lieferketten, lange Wartezeiten und deutlich gestiegene Preise haben sich überall auf der Welt bemerkbar gemacht – auch in Europa. Spätestens die Spannung um die europäische Energieversorgung, die der russischen Gaslieferstopp forciert hat, hat deutlich gemacht, wie sehr derartige Abhängigkeiten das politische Machtgleichgewicht verzerren können. Dies zeigt sich auch in anderen Zusammenhängen. Im Falle des Rohstoffbedarfs hat es Europa zu weit kommen lassen: Bei mehr als 60% der kritischen Rohstoffimporte ist die EU von China abhängig. Angesichts der sich verhärtenden Fronten im Systemwettbewerb ist nun eine rasche Diversifizierungsstrategie nötig. Das heißt unter Anderem: neue und verlässliche Handelspartner finden; den Abbau von Rohstoffen innerhalb der EU fördern; Ressourceneffizienz steigern durch technologische Innovation. Darüber hinaus kann eine Initiative zur Förderung der europäischen Kreislaufwirtschaft den Abfluss wertvoller Materialien verhindern.Grundsätzlich ist es beruhigend, dass die EU über einen gewissen Handlungsspielraum verfügt. Und doch erfordert der Aufbau alternativer Strukturen hohe Vorschussinvestitionen, die im Prinzip sofort getätigt werden müssen. Ob und wann sich diese Investitionen in eine gesteigerte Resilienz auszahlen, ist dabei ungewiss. Klar ist nur: Haben ist besser als brauchen.

Nachteile für China - Gewinner Taiwan?

Strategisch hat China ein großes Interesse am europäischen Absatzmarkt, ist aber gleichzeitig ständig bemüht, alternative Absatzmärkte zu erschließen. Dazu kommt, dass China selbst einen sehr hohen und weiter steigenden Eigenbedarf an diesen Rohstoffen hat. Wenn Europa weniger abhängig wird von China, dann ist das eine große Herausforderung für die Volksrepublik, die innenpolitisch vor den größten Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte steht. Seine Wirtschaft leidet an den Folgen der rigiden Zero-Covid-Politik. Sowohl der Staatshaushalt als auch die privaten Haushalte, insbesondere die der hoffnungsvollen Mittelschicht, sind massiv belastet. Entgegen öffentlicher Ankündigungen kann die chinesische Regierung keinen überzeugenden Aufbauplan präsentieren. Dies erhöht den Frustrationsdruck in der Zivilgesellschaft und, wie sich im vergangenen November überraschend gezeigt hat, auch ihre Protestbereitschaft. Die abrupte Kehrtwende der Regierung weg von Zero Covid und hin zu einer Politik der Öffnung zeigt, wie groß der innenpolitische Druck geworden war. Die KP hatte keine andere Wahl, als darauf zu reagieren. In der nächsten Zeit werden daher Stabilität und Aufrechterhaltung der „Ordnung“ höchste Priorität für die Partei haben. Das wird auch das Verhältnis Chinas zur EU bestimmen.

Es ist anzunehmen, dass die chinesische Europapolitik in Zukunft als Reaktion auf den bereits stattfindenden europäischen Entkoppelungsprozess eher auf den Erhalt stabiler wirtschaftlicher Kooperationen abzielen wird. Der bereits messbare Rückgang europäischer Investitionen in China, insbesondere in den Bereichen Innovation und Technikforschung, dürfte zu einer Abnahme der Innovationskraft Chinas führen. Gepaart mit stark ideologisch motivierten Eingriffen der chinesischen Regierung in die eigene Wirtschaft befindet sich China auf einem schwierigen Kurs, der zu weiteren Spannungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft führen dürfte.

Taiwan könnte von all diesen Entwicklungen profitieren. Als unverzichtbarer Lieferant smarter Technologiekomponenten und als ein sowohl mit der Volksrepublik als auch mit dem Westen eng verbundener Wirtschaftspartner kann es die aktuelle Situation nutzen, um seine eigene Position in beide Richtungen zu stärken und Verhandlungsspielraum zu gewinnen.

Europa muss Initiative zeigen

Dennoch kann sich Europa nicht darauf verlassen, dass das grundsätzliche gegenseitige Interesse an wirtschaftlichem Austausch China davon abhalten würde, die europäische Abhängigkeit trotzdem zum eigenen politischen Vorteil zu nutzen. Europa muss sich daher umgehend bewegen, in mehrfacher Hinsicht. Dazu bedarf es eines entsprechenden politischen und gesellschaftlichen Willens sowie einer hohen Anpassungsfähigkeit. Aus liberaler Sicht könnte die Situation nicht brisanter sein: Europas politische Unabhängigkeit, und damit auch seine Freiheit, hängt unmittelbar von seiner Verlässlichkeit und Flexibilität seiner wirtschaftlichen Partnerschaften ab. Das Die Bildung solcher neuen Partnerschaften ist in der aktuellen Situation ein Wettlauf gegen die Zeit. Doch dieser Druck birgt für die EU auch großes Potenzial, Initiative und Führungsstärke zu zeigen. Chinas innenpolitische Herausforderungen schaffen ein Zeitfenster für die EU, um in Absprache mit ihren Partnern neue Agenden zu setzen – und umzusetzen. Statt weiter zu zögern, kann sich die EU selbstbewusst auf die Überzeugungskraft ihrer Qualitäts- und Wertestandards berufen. Mit der zügigen Gestaltung neuer Partnerschaften und progressiver Innovations- und Investitionsplanung kann die EU längerfristig neue globale Trends setzen. Genau in dieser Proaktivität liegt der Weg zurück zur wirtschaftlichen Souveränität und politischen Selbstbestimmtheit.

 

Dr. Nele Fabian ist European Affairs Managerin im Regionalbüro Europäischer Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel. Sie ist Sinologin und Politikwissenschaftlerin. Ihre Promotion im Fach Moderne Geschichte Chinas mit Schwerpunkt Umweltpolitik und Nachhaltigkeitsdenken im China des 20. Jahrhunderts hat sie an der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossen.

Maximilian Luz Reinhardt ist am Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit als Referent für die Themengebiete Wirtschaft und Nachhaltigkeit verantwortlich. Inhaltlich befasst er sich unter anderem mit der Energieversorgung, Klimaschutzmaßnahmen, Innovationspotenzialen und Landwirtschaft.

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Weiterlesen: Zum Themenkomplex der europäischen Rohstoffabhängigkeit hat die FNF in Zusammenarbeit mit dem Ecologic Institute Berlin eine neue und hochaktuelle Studie herausgegeben: „Ressourcensouveränität - Seltene Erden und das Potenzial der Kreislaufwirtschaft: Eine Fallstudie“.