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Ehrung
Für die Freiheit – Eine persönliche Rückschau

Wolf-Dieter Zumpfort und Wolfgang Gerhardt

Wolf-Dieter Zumpfort und Wolfgang Gerhardt

© Wolfgang Borrs / franknuernberger.de

Das schwierige Erbe Als Wolfgang Gerhardt am 1. Mai 2006 das Amt des Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung übernahm, blickte er ohne Bitternis, wie er selber sagte, auf manches enttäuschende Ereignis in der Politik zurück: die Abgabe des FDP-Bundesvorsitzes an Guido Westerwelle 2001, das vergebliche Werben der FDP für ihn als Bundespräsident in 2003, das Nichtzustandekommen einer Regierungsbeteiligung der FDP bei der Bundestagswahl 2005, die Abgabe des Fraktionsvorsitzes im Bundestag, ebenfalls an Guido Westerwelle. Als ihm Otto Graf Lambsdorff den Vorsitz unserer Stiftung anbot, griff er sofort zu; sichtlich voller Begeisterung und Einsatzbereitschaft nahm er nun die Aufgabe an, die Stiftung in eine neue Zukunft zu führen.

Otto Graf Lambsdorff als Vorstandssitzendem gerecht zu werden, fällt nicht schwer. Er brachte als ehemaliger Spitzenpolitiker so viel politisches und öffentliches Gewicht mit, dass die Stiftung unter seinem Vorsitz wieder Glanz bekam und vermehrt in der Öffentlichkeit gehört wurde. Als sein gleichzeitig gewählter Stellvertreter blieben mir allerdings auch einige Schattenseiten nicht verborgen. Graf Lambsdorff führte die Stiftung fast wie ein Ministerium. Der Vorstand wurde eher als hinderlicher, viel diskutierender Beirat angesehen.

Entscheidungen des Gesamt-Vorstandes holte er immer dann ein, wenn es juristisch oder satzungsmäßig notwendig war. Seine Entscheidungen traf er aber oft schon vor den Vorstandssitzungen, nach Beratungen mit seinem engsten Vertrauten und langjährigen Wegbegleiter, dem Geschäftsführenden Vorstandsmitglied Rolf Berndt, und den leitenden Angestellten der Stiftung, die dadurch einen dauerhaften Einfluss auf die Stiftungspolitik erhielten.

Rolf Berndt hatte unter Graf Lambsdorff feste Vorgaben, und diese setzte er gegenüber den Mitarbeitern mit der Formulierung um: „Der Vorstand hat so entschieden“, wobei über das „so“ manche Mitglieder des Vorstandes sich doch manchmal sehr wunderten. Die Abwicklung der meisten Bildungsstätten, die Gründung des Liberalen Instituts 1995, das neue Online-Gesicht der Stiftung 1997 und die verschiedenen Kampagnen waren Projekte des gesamten Vorstands.

Jedoch der Umzug der Stiftungszentrale nach Potsdam – und nicht nach Berlin – sowie die Tibet-Politik der Stiftung mit der Konsequenz, dass wir mit unserem Projekt die Volksrepublik China verlassen mussten, waren die persönlichen Markenzeichen des Vorsitzenden. Auch der Verzicht auf einen Einzug in ein Gebäude direkt im Zentrum von Berlin in unmittelbarer Nähe des Regierungsviertels und stattdessen der Umzug von der Margaretenhöhe bei Bonn ins – von Berlin aus gesehen – doch etwas abseitige Potsdam, was manchem Gremisten der Stiftung überhaupt nicht gefiel, führte zu einer gewissen Selbstisolation der Stiftung.

Der Übergang

Wolfgang Gerhardt übernahm von Graf Lambsdorff die Amtsführung in einer außerordentlichen Kuratoriumssitzung unter Beibehaltung des alten Vorstandes, der Geschäftsführung durch Rolf Berndt und der Personalstruktur in der Stiftung, wie sie von Graf Lambsdorff einzogen worden war. Es wurde aber rasch klar, dass Wolfgang Gerhardt einiges ändern wollte. Von allen begrüßt wurde, dass er als erstes wieder das Kollegialprinzip im Vorstand einführte. Zugleich machte er deutlich, dass die Stiftung natürlich in Berlin wirklich präsent sein musste und verlegte sein eigenes Büro nach dort, von wo aus er zunächst mit einem ganz kleinen Mitarbeiterstab agierte.

Nach und nach wurde dieser Berliner Sitz auf Vorstandsbeschluss dann um die Öffentlichkeitsarbeit, das Regionalbüro Berlin-Brandenburg und dann das Liberale Institut erweitert. Vorstandssitzungen wurden nun in Berlin abgehalten. Die Kontakte mit der Berliner Politik wurden wieder intensiver und konstruktiver. Die Stiftung war somit endlich in der Bundeshauptstadt gut vertreten.

Das Freiheitskonzept

Dann widmete sich der Vorstand unter seiner Leitung intensiv der Neupositionierung der Stiftung. Es entwickelte sich damals eine kontroverse, aber sehr fruchtbare Diskussion im Kuratorium, wie ein Alleinstellungmerkmal aussehen könnte. Nach einigem Zögern zündete dabei der Begriff „Freiheit“. Gegen viele Widerstände wurde 2007, auf Vorschlag von Wolfgang Gerhardt, der Stiftungsname durch den Zusatz „für die Freiheit“ ergänzt. Das Freiheits-Konzept wurde nun tatkräftig umgesetzt, u. a. durch eine neue Organisation wie die „Freiheitsgesellschaft“ und Veranstaltungen wie die Berliner „Rede zur Freiheit“ und den am Symbolort Paulskirche in Frankfurt am Main verliehenen „Freiheitspreis“. Trotz mancher anfänglicher Skepsis: Der Erfolg der Veranstaltungen sprach für sich.

Stilvolle Traditionspflege

Als Bildungspolitiker, der stets aus einem reichen Fundus der eigenen Lektüre zitieren konnte, suchte Wolfgang Gerhardt, das Werk des 2009 verstorbenen Ralf Dahrendorf lebendig zu halten. Er veranlasste die Neuauflage von wegweisenden Schriften des liberalen Vordenkers, auf die sogar Bundespräsident Gauck 2016 als Festredner der Europa-Konferenz Bezug nahm. Durch seine Vermittlung wurde Ludwig Theodor Heuss, Enkel des ersten Bundespräsidenten und Mitgründers der Stiftung, in das Kuratorium gewählt. Über die Familie wurde zugleich elegant an den Stiftungspatron und dessen Verdienste um den Liberalismus angeknüpft; der 150. Geburtstag von Friedrich Naumann wurde 2010 sowohl wissenschaftlich – mit einem Kolloquium in Heilbronn, seinem Wahlkreis – als auch mit einer Feierstunde in Potsdam gewürdigt.

Wolfgang Gerhardt konnte herausragende Persönlichkeiten für die die Stiftung gewinnen: Beim 50. Jubiläum der Stiftung im Mai 2008 war es Dahrendorf, der als ehemaliger Stiftungsvorsitzender die Festrede hielt; zehn Jahre später folgte ihm in dieser Funktion die amtierende Bundeskanzlerin. Intensive Kontakte unterhielt er auch zu den FDP-Ehrenvorsitzenden Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. Es war ihm eine besondere Ehre und tiefes persönliches Anliegen, bei der Trauerfeier für Walter Scheel die Rede zur Totenehrung zu halten. Zu Ehren der beiden letzteren und zur Erinnerung an den unerwartet verstorbenen Guido Westerwelle werden seit 2017 durch Gerhardts Initiative sogenannte „Stipendien der Freiheit“ ausgelobt, aus denen wissenschaftliche Arbeiten zu den politischen Schwerpunkten der drei Namenspatrone entstehen sollen.

Professionalisierung der Auslandsarbeit

Der Auslandsarbeit hat Wolfgang Gerhardt während seiner Amtszeit stets ein besonderes Interesse gewidmet, wofür nicht zuletzt sein Amt als Stellvertretender Präsident der Liberalen Internationale sehr hilfreich war. Das Prinzip „Freiheit in Menschenwürde“, dem in allen Bereichen der Gesellschaft Geltung verschafft werden soll, leitet wie im Inland, so auch weltweit ihre Arbeit. Gerade das internationale Stiftungsengagement ist unter seiner Leitung aktualisiert und modernisiert und unter thematische Schwerpunkte gestellt worden.

So konnte 2013 mit großem Stolz das 50jährige Jubiläum der Auslandsarbeit feierlich begangen werden. Daraus ging dann nochmals ein großer Innovationsschub für diesen Bereich hervor, wobei neue Auslandsbüros in Vietnam und Myanmar entstanden und die wichtigen Vertretungen in Honkong und Brüssel als „Innovation Hubs“ neue Themen aufgriffen.

Eine Herzensangelegenheit: Liberal

2012 begann, durchaus als persönliche Herzensangelegenheit von Wolfgang Gerhardt, auch der Prozess des Relaunches der Zeitschrift liberal. Angetrieben durch Vorschläge und Mitarbeit aus dem Kuratorium und in Zusammenarbeit mit externen Fachleuten entwickelte sich aus der altehrwürdigen, mit relativ geringer Auflage produzierten Quartalsschrift ein modernes Magazin für die Freiheit. Dieses wird nun mit einer Auflage von rund 80.000 viermal im Jahr kostenlos vertrieben. Wolfgang Gerhardt hat dabei selbst die Akzente gesetzt, so im Heft 2/2018 mit dem Schwerpunktthema „Bildung“, und im vorhergehenden Heft mit dem inhaltlichen Schwerpunkt zu Ralf Dahrendorf.

Allein auf weiter Flur: die Stiftung 2013 - 2017 Das Ausscheiden der Freien Demokraten aus dem Deutschen Bundestag im Jahr 2013 war für die FriedrichNaumann-Stiftung für die Freiheit eine tiefe Zäsur. Zum ersten Mal wirklich in ihrer Existenz bedroht, mussten wir im Vorstand schnell und konsequent auf diese Herausforderung reagieren und alle Kräfte bündeln. Der Kuratoriumsvorsitzende Jürgen Morlok zitierte zu Beginn der ersten gemeinsamen Gremiensitzung nach dem Wahldesaster der FDP aus einem Gedicht von Hermann Hesse: „In jedem Anfang wohnte ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“.

In einer stürmischen Vorstandklausur wurde mit Unterstützung einer Unternehmensberatung ein modernes Handlungskonzept für das Ziel entworfen, in den Worten von Wolfgang Gerhardt, „einen wahrnehmbaren Beitrag zur Renaissance des politischen Liberalismus in Deutschland zu leisten“. Das Kuratorium segnete die von dem Vorstand vorgeschlagenen institutionellen Änderungen, wie z. B. die Verkleinerung von Vorstand und Kuratorium sowie Einsetzung eines Hauptgeschäftsführers ohne Stimmrecht im Vorstand ab.

Wir wollten mit gutem Beispiel vorangehen, wenn von den Mitarbeitern Einschränkungen gefordert werden sollten. Ein neuer Vorstand, in den nach dem Ausscheiden von Irmgard Schwaetzer, Axel Hoffmann und Peter Röhlinger nun Karl-Heinz Paqué und Sabine LeutheusserSchnarrenberger auf Gerhardts Wunsch neu gewählt sowie er, Manfred Richter und ich wiedergewählt wurden, nahm mit Elan die Arbeit auf und fand schnell zu einer fruchtbar-vertrauensvollen Kooperation.

Erfolgreiche Wege wurden nach dem in den Ruhestand verabschiedeten Geschäftsführenden Vorstandsmitglied Rolf Berndt nun mit dem tatkräftigen neuen Hauptgeschäftsführer Steffen Saebisch auch auf der Arbeitsebene beschritten. Dabei wurden die internen Arbeitsprozesse z. B. für Veranstaltungen neu strukturiert, die digitale Kommunikation umfassend ausgebaut, die Website der Stiftung neu konzipiert und ein neues Multimediaangebot entwickelt.

Das Liberale Institut bekam eine neue personelle Struktur und neue Aufgaben. Mit bemerkenswerten Beiträgen zu aktuellen Problemen der damaligen Zeit, wie Abschaffung des Bargeldes oder Steuerbelastung der Bürger, erreichte die Stiftung neue und prägnante Alleinstellungsmerkmale. Durch viele Broschüren und Schriften wurde das Profil der Stiftung stärker auf die wesentlichen liberalen Themen wie soziale Marktwirtschaft, Bildung, Mobilität offene und digitale Gesellschaft sowie internationale Politik fokussiert.

Dieser Mut zur Veränderung trug Früchte. Zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung im Inund Ausland und allen Gremienmitgliedern schafften wir es, durch eine moderne Kommunikation und innovative Vermarktungsinstrumente jedes Jahr mehr Bürgerinnen und Bürger für unsere Veranstaltungen zu interessieren. Das ehrenamtliche Engagement, welches jedes einzelne Vorstandsmitglied in diesen vier Jahren leistete, war beispiellos in der Geschichte der Stiftung.

Besonders in die Pflicht nehmen ließ sich Wolfgang Gehrhardt, der in jedem Bundesland unzählige Veranstaltungen bestritt. Die Renaissance des organisierten Liberalismus, kulminierend im Jahr 2017, war damit zumindest indirekt auch unser Erfolg. Die FriedrichNaumann-Stiftung für die Freiheit hatte jetzt wieder eine neue langfristige Perspektive als politische Stiftung.

Ausblick

Nach dieser Kraftanstrengung galt es, auf dem Erreichten aufzubauen und die Stiftung in eine neue Zukunft zu führen. Der Vorstand und das Kuratorium haben dazu im September 2018, letztmalig unter Leitung von Wolfgang Gerhardt, die strategischen Ziele bis 2022 auf den Weg gebracht, die insbesondere die Verbreiterung des Bildungsangebotes in thematischer und organisatorischer Richtung sicherstellen sollen.