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Frido Mann: Democracy will win. Bekenntnisse eines Weltbürgers.

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Wenn Frido Mann zu Beginn seines neuesten Werks schreibt, dass die „apodiktische Prognose ‚Democracy will win‘ entweder naiv oder provokativ“ klingen könne (S. 11), so ließe sich dies ohne Weiteres auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Frühjahr 2022 übertragen, obwohl das Buch bereits im August 2021 veröffentlicht worden ist.[1] In der Tat ist die Zeitlosigkeit dieser 1938 von Thomas Mann „mit einem provokativen und unerbittlichen Unterton ausgesprochenen drei Zauberworte“ (S. 27) das zentrale Motiv des vorliegenden Bandes. Die Aussage entstand ursprünglich im Kontext einer Vorlesungsreihe des Literaturnobelpreisträgers in den Vereinigten Staaten am Vorabend des Münchener Abkommens, als dieser ein noch skeptisches Publikum vor den Gefahren des Nationalsozialismus und eines kommenden Kriegs warnte.

Frido Mann baut auf den Überlegungen seines Großvaters auf und setzt gleichzeitig eigene Akzente, indem er insbesondere seine umfassenden theologisch-philosophischen, psychologischen und sogar psychotherapeutischen Kenntnisse zur Geltung bringt. Das Ergebnis ist eine Erörterung, die „Democracy will win“ nicht nur als mutiges Versprechen in ungewissen Zeiten begreift, sondern als „Prozess“ (S. 297), der die stetige Selbsterneuerung der demokratischen Systeme kennzeichnet. Die entscheidende Voraussetzung liegt für Frido Mann dabei im „werteorientierten miteinander gelebten Dialog“ (S. 13), welcher es der Demokratie ermöglicht, ihr zentrales Versprechen einzulösen: „Menschsein und Menschenwürde möglich zu machen“ (S. 15).

In seinem Buch changiert Frido Mann zwischen Ideengeschichte, Autobiographie und politischem Essay. Im ersten Drittel (S. 11-91) ordnet er die Ansprache „The Coming Victory of Democracy“ von Thomas Mann in seinen intellektuellen, politischen und persönlichen Kontext ein und setzt diese in Bezug zu anderen Demokratietheoretikern wie Hannah Arendt (S. 47-57). Der Erwerb des „Weißen Hauses des Exils“ durch die Bundesregierung und die damit verbundene Umwandlung des kalifornischen Wohnsitzes von Thomas Mann in ein deutsch-amerikanisches Begegnungszentrum dient dabei als Metapher für ein weiteres Kernargument von Frido Mann (S. 16-20): Wie schon während des Zweiten Weltkriegs hängt die Zukunft der Demokratien entscheidend von der Ausgestaltung des transatlantischen Verhältnisses ab.[2]

Der Hauptteil des Buchs befasst sich mit einer Lesereise von Frido Mann durch die „Unvereinigten Staaten von Amerika“ (S. 92-201). Seine Vorträge von der liberalen Ostküste und Washington über die „Midlands“ bis hin zur Pazifikküste hätten ihm „Amerikas zwei Gesichter“ gezeigt (S. 94).

Während Mann am Anfang seines Buchs noch die Rolle der „östliche[n] Großmacht in Stalins Gefolgschaft“ bei der Wahl Donald Trumps hervorgehoben hatte (S. 11), geht er nun ausführlich auf die „zugespitzte Polarisierung“ ein, welche die amerikanische Demokratie zu erodieren droht (S. 132). Der Besuch einer Washingtoner High School verdeutlicht Mann allerdings gleichzeitig eine Stärke der amerikanischen Demokratie: die „kaum zu bewältigende bunte Vielfalt an freier Medienberichterstattung“ stehe in starkem Kontrast zu den „gleichgeschalteten Medien in Diktaturen“ (S. 137). Manns Blick auf den Zustand der US-amerikanischen Demokratie bleibt dementsprechend zwiespältig: Interkulturelle Impulse wie ein Auftritt des Isango Ensembles (S. 197-200) kontrastieren mit dem „Ungeist der Dialogverweigerung“, welchen Mann andernorts wahrnimmt (S. 126).

Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit seiner Amerikareise befasst sich Frido Mann mit der „Zuspitzung der europäischen Krise der Demokratie“ während der Corona-Pandemie (S. 202-218) und der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten und Querdenkern (S. 219-233). Dabei besorgt Mann nicht nur das Coronavirus, sondern auch die „moralische Pandemie“, die sich in „Gier, Hass oder Verblendung“ offenbare (S. 230). Als Antwort auf die „Lange Nacht der Demokratie“ erörtert Mann anschließend verschiedene Erneuerungsansätze wie das in Harvard entwickelte Modell einer „High Energy Democracy“ (S. 234-240) oder auch die „Black Lives Matter“-Bewegung (S. 240-245). Fruchtbar ist dabei vor allem seine Auseinandersetzung mit der Willensfreiheit als Voraussetzung und Maßstab der Demokratie: Mann verbindet hier Einblicke aus Philosophie, Theologie und Quantenphysik und subsumiert diese zu dem „Bekenntnis, dass Demokratie letztlich nichts anderes ist als ein politisches Instrumentarium für unseren immerwährenden Kampf um die Unversehrtheit der Würde des Menschen und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit [...]“ (S. 254).

Abschließend greift Mann noch einmal sein ambivalentes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten auf, denen er sich nicht nur durch seine Staatsangehörigkeit verbunden fühlt. Bereits in der Einleitung hatte er auf die vielfältigen „Enttäuschungen von Amerika“ wie den „Vietnamkrieg mit mehreren Millionen Toten“ und die „Präsidentschaft von George W. Bush“ hingewiesen (S. 18). Gleichzeitig bildet aber auch die Vorbildwirkung der Vereinigten Staaten einen Fixpunkt seiner Überlegungen – so sei der „bewundernswerte und geradezu tollkühne Kraftakt, die kommunistische Diktatur zu stürzen, der ostdeutschen Bevölkerung kaum so leicht gelungen [...], hätte sich diese nicht schon länger vorher durch ihre zunehmenden Westkontakte so Einiges von den westlichen Demokratien abschauen und im Geiste vorwegnehmen können“ (S. 25). Die Freiheitsstatue erscheint daher, trotz aller Ambivalenzen, als Wahrzeichen für die demokratische Idee, die dem „herrschaftsfreien, pluralistischen (föderalen) und offenen Prinzip der in der Verfassung der USA verankerten ‚amerikanischen Revolution‘“ Ausdruck verleiht (S. 169). Mann schließt dementsprechend mit dem Ausblick auf eine „neue transatlantische Hoffnung“, die er sowohl durch die Abwahl Donald Trumps als auch die Eröffnung des Thomas Mann House verkörpert sieht (S. 269-297). Es ist dabei vor allem die „nachrückende Generation“, der er bei der Bewältigung der vielfältigen Krisen der Gegenwart – vom Nationalismus bis hin zum Klimawandel – eine entscheidende Rolle zuweist.

In „Democracy will win“ nimmt Frido Mann keineswegs nur die Rolle des neutralen Beobachters ein. Im Gegenteil: Nicht nur in seiner Vorlesungsreihe, sondern auch in der leidenschaftsvollen Auseinandersetzung mit Populismus, Polarisierung und Polizeigewalt bietet sich Mann als werteorientierter Dialogpartner an, der die Tugenden der Geduld und Demut nie aus dem Blick verliert (S. 297). Es ist daher durchaus als Erfolg seines Anliegens zu werten, wenn manche Analysen zu Widerspruch einladen. So wird schon allein an den aufgewendeten Seitenzahlen deutlich, dass Mann der republikanisch geprägte Teil der Vereinigten Staaten letztendlich fremd bleibt. Und so sehr die Bemühungen der deutschen Regierung und des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier um kulturellen Austausch Lob verdienen – der militärische Schutzschirm der Vereinigten Staaten bleibt die wichtigste Garantie für das Überleben der Demokratie in Europa. Daher steht, gerade vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs, die Frage im Raum, welchen Schaden das „alte Europa“ und gerade auch Deutschland mit seiner „Äquidistanz zu Washington und Moskau“ angerichtet haben. Zuletzt bleibt auch offen, ob Expertenräte wirklich als Gegengewicht zur „Glasglockendemokratie unserer zunehmend überforderten Parlamente und Ausschüsse“ dienen können (S. 296) oder ob nicht im Gegenteil der repräsentativen Demokratie und dem Parlament wieder zu neuem Glanz verholfen werden sollte.

„Der wesentliche Unterschied zwischen Demokratie und Faschismus ist“, so Mann, „dass der Faschismus ein hässliches, vergängliches Kind seiner Zeit ist, die Demokratie hingegen zeitlosmenschlich, und dass diese Zeitlosigkeit immer auch ein Maß an potentieller Jugend bedeutet“(S. 40). Es ist die große Stärke von „Democracy will win“, diese Aussage durch lebendige, reflektierte und überraschende Analyse auf vielen Seiten immer wieder zu belegen. Besonders wertvoll ist dabei die Verknüpfung von Dialogbereitschaft und Werteorientierung. Mann legt überzeugend dar, dass Dialog mehr ausmacht, als Beliebigkeit der Meinungen. Nur wenn Empathie, Werteorientierung und Verantwortungsgefühl den Austausch grundieren, ist es möglich, Demokratie als lebendigen Prozess zu gestalten. Damit dies gelingt, konkludiert Mann, braucht es „nicht lexikalisches Universalwissen, sondern die Einheit von Geistes- und Herzensbildung“ (S. 295). Dem ist wenig hinzuzufügen – außer vielleicht schweren Waffen im Kampf gegen die Undemokratie.

[1] Diese Lesart wird auch von Frido Mann in seinem von der Friedrich-Naumann-Stiftung veröffentlichten Folgeessay getragen, vgl. Frido Mann: Was ist Demokratie? Chancen und Gefahren des Demokratieverständnisses in „Nach“-kriegs-Zeiten (2022), https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/1260 [Zugriff: 06/2022].
[2] Vgl. Frido Mann: Das Weiße Haus des Exils (2018).

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