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Invasion der Ukraine
Deutschland muss Selbstvertrauen zeigen

Eine Flamme ist in der Nähe des Flusses Dnjepr in Kiew, Ukraine, am Donnerstag, 24. Februar 2022, zu sehen.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mary Ostrovska

Weltweit finden Wettbewerbe um Ressourcen und Chancen statt. Es gibt keine Stammplätze mehr. Es gibt Auf- und Absteiger. Diktatoren und nationalistischer Populismus unterdrücken Minderheiten, freie Presse behindern erfolgreiches Wirtschaften. Viele Konflikte kommen aus gesellschaftlichen Tiefen, deren Trümmer nie ordentlich beiseite geräumt wurden. Im Gegenteil.

Das Muster Stamm und Religion führt zu einem Binnenzirkus in vielen Ländern. Es werden vielerorts ganz neue Landkarten aufgeschlagen. China grenzt seine Seegebiete neu ab und hat Hongkong im Würgegriff. Die Türkei hat keine unabhängige Justiz, Polen hat sich auch auf diesen Weg gemacht, Ungarn, einst die fröhlichste „Baracke“ im Sozialismus, bedrängt freie Medien. Auf dem Balkan sind Gedanken der Revanche wirkmächtig, ganze Teile seiner Gesellschaften haben keinen Willen und keine Kraft zu einer dauerhaften Versöhnung. Russland verfällt imperialer Nostalgie. Es bleibt zu hoffen, dass die Vereinigten Staaten eine Art Wirbelschlepper eines Mannes mit nahezu vorkulturellen Habitus allmählich entkommen. Im Mittel- und Lateinamerika geben sich reichlich volatile Eliten die Klinke in die Hand. Newcomer betreten die Bühne, deren Fähigkeiten weit hinter ihrem Auftritt zurückbleiben. Der Nahe Osten ist und bleibt katastrophenschwanger, in Asien stehen sich bedeutsame Atomwaffenpotenziale gegenüber. Die Aufzählung könnte noch fortgesetzt werden. Die Weltgeschichte unterbietet gerade ihr mögliches Niveau.

Albert Einstein prägte den Satz, dass die Welt nicht nur von denen bedroht wird, die Böse sind, sondern auch von denen, die das Bösezulassen. Es wird der Politik, aber auch der Gesellschaft in Deutschland eine große Überwindung kosten, sich zu einer solchen Erkenntnis durchzuringen. Deutschland ist ein Land mit großen Potenzialen, seine technologische Höchstleistungsfähigkeit korrespondiert allerdings mit großen Selbstzweifeln. Es schätzt sich selbst nicht sonderlich, seine Gesellschaft bekämpft oft genau das, wodurch es ihr gut geht. Ihm fehlt eine Körpersprache des Selbstvertrauens. Wie schrieb Heinrich Heine: „Franzosen und Russen gehört das Land, das Meer gehört den Briten, Deutschland aber besitzt im Luftreich des Traumes die Herrschaft unbestritten."

Wegsehen war aber noch nie ein ethnischer Horizont. Der russische Bär war noch nie ein Vegetarier. Putin führt sein Land nicht in die Moderne. Weder in die Modernisierung der Wirtschaft, noch in eine unabhängige Rechtssprechung, noch in eine freie Medienlandschaft noch zu einem wertebasierten internationalen Ordnungsbeitrag. Ein Staat, der seinen Bürgern die grundlegenden Menschenrechte bestreitet, sagte der unvergessene Václav Havel, wird auch für seine Nachbarn gefährlich. Die innere Willkür wachse sich unausweichlich auch zu einer Willkür in den Außenbeziehungen aus. Genau das vollzieht sich vor unser aller Augen schon länger und kulminiert in diesem Frühjahr in einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine.

Russland lebt auf einem großen Grundstück, dem seine politische Führung nicht gewachsen ist. Sie denkt nicht an Menschen, auch nicht an die ihr selbst anvertrauten Russen. Sie lebt in Kategorien der Revanche, der Gewalt, in einem mentalen Flurschaden des Sozialismus. Das ist zutiefst bedauerlich, wie aus der Zeit gefallen und trägt manche deutsche Illusion zu Grabe. Man darf gespannt sein, wie die bekannten deutschen politischen Platzanweiser für die Nachbarstaaten Russlands den Trauerzug orchestrieren werden.

Die ehemalige Sowjetunion ist nicht durch die NATO besiegt worden. Ihre eigene politische Klasse, ihr Hofstaat im Kreml haben mit ihrem eigenen humanitären, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Versagen den Zusammenbruch der Sowjetunion herbeigeführt. Diese selbst verschuldete Insolvenz lässt sich nicht zulasten der Nachbarn rückgängig machen. Darum geht es aber nicht allein es geht im Kern um die Frage, welche Ordnung in Europa gelten soll.

Sie sollte nicht von einem Menschen beeinträchtigt werden, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Deutschland hat sich oft einen schlanken Fuß gemacht, wenn es um Russland ging. Es muss Selbstvertrauen zeigen und die Europäische Union muss endlich wissen, warum es sie wirklich gibt. Sie muss mehr sein als ein Binnenmarkt und ein Geldautomat.