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Interview
"Der Kampf gegen den Antisemitismus beginnt im eigenen Kopf"

Interview mit Burak Yilmaz
Burak Yilmaz

Burak Yilmaz

© FNF

Burak Yilmaz wächst in Duisburg auf, postmigrantisch. Sein Bildungsweg – katholisches Elitegymnasium, Koranschule, Universität. Dieser persönliche Bericht beleuchtet die Welt eines türkischstämmigen Jungen aus Duisburg, der sich gegen deutschen Rassismus und die Ungerechtigkeit in der eigenen Community auflehnt. Auch berichtet er über die Gewalt in seiner Koranschule. Als Reaktion auf den Antisemitismus in seinem Jugendzentrum begann Burak Yilmaz Bildungsreisen nach Auschwitz mit muslimischen Teenagern zu organisieren und gewann trotz erheblicher Widerstände langsam ihr Vertrauen. Sein Buch "Ehrensache" ist ein Zeugnis gegen den Hass und strahlt die Zuversicht aus, dass Juden und Muslime im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf der gleichen Seite stehen können.
 

Anna-Lena Trümpelmann:  Wie äußert sich aus Ihrer Sicht der Antisemitismus in der heutigen Zeit und welche Erscheinungsformen existieren?

Burak Yilmaz: Der Antisemitismus äußert sich in vielen verschiedenen Facetten. Generell versucht er die Welt zu erklären. In dem Kontext finden wir im Moment viele Verschwörungsmythen, gerade in den sozialen Medien. Der “klassische” Antisemitismus – also das, was wir auf der documenta gesehen haben - zeigt stereotype, klischeehafte Darstellungen mit negativen Eigenschaften. Auch gibt es den Antisemitismus in seiner rechtsextremen Erscheinungsform und natürlich auch muslimisch bzw. islamisch gefärbten Antisemitismus, der jetzt gerade auch während des Nahostkonflikts in den letzten Wochen sichtbarer wurde. Wir haben ganz viele verschiedene Gesichter des Antisemitismus, die in der Konsequenz hier in Deutschland deutsche Jüdinnen und Juden bedrohen.

Sie besuchten damals die Koranschule in Duisburg und wurden dort verstärkt mit Antisemitismus konfrontiert. Sie berichteten, dass Sie sich mit Freunden islamistische Filme ansahen, die das Feindbild - den Westen und Israel - verstärkten. Wie kamen Sie aus dieser Community wieder raus?

Gerade nach 9/11 gab es viele Propagandavideos, die stark antisemitisch waren. Das haben wir im jungen Alter sehr stark konsumiert. Was bei mir ein ganz starkes Umdenken erzeugt hat, war, als ich gemerkt habe, dass der Islamismus sich nicht nur gegen “den Westen” richtet, sondern er richtet sich auch gegen die Muslime, die ein ganz normales Leben führen wollen und denen es wichtig ist, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Man wurde beispielsweise in den besagten Videos dazu aufgerufen, Muslime nicht als Muslime anzuerkennen, wenn sie sich keiner islamistischen Bewegung anschließen wollten. Dabei wollte ich nicht mitmachen. Danach hatte ich angefangen, mich mit anderen Lesarten meiner Religion auseinanderzusetzen und habe dadurch gut Antworten auf die vielen Fragen bekommen, die ich mir stellte.

Was sind die Kernprinzipien Ihrer Arbeit gegen Antisemitismus?

Mir ist die Biofrafiearbeit sehr wichtig. Sowohl bei der Jugend- als auch bei der Erwachsenenbildung geht es mir darum, an den eigenen Vorurteilen zu arbeiten. Welche Vorurteile habe ich persönlich eigentlich? Wie habe ich diese Vorurteile gelernt oder in meiner Familie über das Thema Antisemitismus gesprochen? Gab es eine Aufarbeitung in meiner Familiengeschichte, was den Nationalsozialismus angeht? Auch wenn es keinen direkten familiären Bezug zu diesem Thema gibt, sollte man sich fragen, ob und wie das Thema trotzdem präsent ist. Wie wurde beispielsweise der Holocaust thematisiert? Mir geht es vor allem darum zu verdeutlichen, dass der Kampf gegen Antisemitismus im eignen Kopf beginnt.

Duisburg ist bekannt als eine salafistische Hochburg in Deutschland. Wie erreichen Sie Jugendliche vor Ort, die antisemitische Vorurteile haben?

Indem ich ihre antisemitischen Aussagen sehr ernst nehme, weil dahinter ein gewisses Weltbild steckt, über das gesprochen werden muss: Das heißt, die Einteilung in Gut und Böse, die sehr schwarz und weiß ist. Die Suchen nach einem Sündenbock, die Suchen nach ganz einfachen Antworten in einer komplexen Welt. Und dass es gerade bei Verschwörungsmythen oft so darstellt wird, als sei man selbst ohnmächtig und kontrolliert von einer unsichtbaren Elite. Ich möchte ihnen die Handlungsspielräume in ihrer Lebenswelt bewusst machen, weil sie sich selbst ermächtigen können. Vertieft über diese Ideologie zu sprechen und sie mit ihrem eigenen Weltbild zu konfrontieren, kann dabei sehr hilfreich sein. Ich versuche mir auch die Sprache der jungen Leute anzueignen, um sie mit dieser zum Nachdenken anzuregen. Noch immer wird an vielen Schulen das Wort “Jude” als Schimpfwort verwendet. Anhand dieses Beispiels kann man dann weiterarbeiten: Seit wann wird dieses Wort eigentlich als Schimpfwort benutzt? Somit kann man die Geschichte rekonstruieren.

Sie organisierten Fahrten mit muslimischen Jugendlichen nach Ausschwitz: Wie kamen sie auf die Idee, solche Fahrten anzubieten? Was passiert, wenn Sie mit den jungen Leuten Auschwitz besuchen? Welche Wirkung/Veränderungen sehen Sie?

Ich habe 2012 das Projekt Junge Muslime in Auschwitz initiiert, als ich damals in einem Jugendzentrum gearbeitet habe. Dort habe ich eine muslimische Jugendgruppe betreut, die zusammen auf einer Schule war, die muslimische Jugendliche von Gedenkstättenfahrten ausgegrenzten. Die Lehrerinnen und Lehrer haben der Gruppe pauschal unterstellt, dass sie alle antisemitisch seien und waren der Auffassung, dass sie sich in einer Gedenkstätte nicht vernünftig verhalten würden. Die Konsequenz des Kollegiums war, dass die muslimischen Schülerinnen und Schüler nicht mitfahren durften. Das war für mich persönlich eine absolute Katastrophe. Bei den Teilnehmenden meines Projektes gab es oft zwei Gefühle. Sie hatten Angst, dass sich die Geschichte wiederholen kann, weil sie als Minderheit rassistische Erfahrungen aus dem Alltag kennen. Und auf der anderen Seite gab es Neugier: Warum sind unsere Großeltern ausgerechnet in dieses Land, mit dieser Geschichte eingewandert? Wie war das eigentlich mit Judenhass in unserer Familie? Wie wurde darüber geredet? Ich will Geschichte so vermitteln, dass alle einen persönlichen Bezug herstellen können. In einer diversen Gesellschaft brauchen wir neue Zugänge zur Geschichte des Holocaust. Anstatt Zugänge zu verwehren, wie im Fall dieser Schule von 2012, brauchen wir die Botschaft: Deine Geschichte zählt. Wenn Jugendliche die Möglichkeit haben Geschichte mitzugestalten,  dann schafft das Identifikation.