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Holocaust-Gedenktag
Das Gedenken lebendig zu halten, ist unsere ewige Aufgabe

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte.
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte. © picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 ermahnt und macht uns bewusst: Mord verjährt nicht. Das gilt in Deutschland seit dem Jahr 1979. Diese gesetzliche Regelung ist vor allem eine Reaktion auf die „kalte Amnestie“, die in den 60ern zur Verjährung vieler NS-Verbrechen von Gehilfen der NS-Mordmaschinerie führte. Lange Zeit galt es als aussichtslos, die Fälle der vielen sogenannten „kleinen Rädchen“ aufzurollen und zu verfolgen, weil gegen diese Gehilfen kein ausreichender Nachweis möglich war, dass sie an den Morden in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern unmittelbar beteiligt waren.

Das änderte sich mit dem Fall John Demjanjuk. Wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen wurde Demjanjuk am 12. Mai 2011 vom Landgericht München II zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Laut dem Gericht habe er sich als Kriegsgefangener einem Hilfswilligen der SS ausbilden lassen. Im Anschluss hab er von Ende März bis Mitte September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor gedient. Selbst wenn ihm persönlich keine konkrete Tötungshandlung zulasten gelegt werden könne, habe sich Demjanjuk als „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ schuldig gemacht. Das Urteil konnte leider nie vom Bundesgerichtshof bestätigt werden, weil Demjanjuk vorher starb.

Der Fall führte zu einem Umdenken in der Verfolgung von NS-Verbrechen in Deutschland. In der Öffentlichkeit standen und stehen seitdem vor allem die Fälle Oskar Gröning (2015), Reinhold Hanning (2016) und die aktuell noch laufenden Verfahren gegen eine Schreibkraft im KZ Stutthof sowie gegen einen SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen. Sie alle wären ohne den Fall Demjanjuk und die beharrliche Arbeit der Zentralen Stelle zur Aufklärung der NS-Verbrechen in Ludwigsburg so nicht möglich gewesen.

Es gibt aber nicht nur Zustimmung über diese späten NS-Verfahren, die in den letzten Jahren unter großem Aufwand geführt wurden. Einige fragen sich, ob es wirklich sein muss, dass man 100-Jährige vor Gericht stellt. Denn selbst wenn es zu einer Verurteilung käme, müssten viele Verurteilte ihre Strafe wegen Haftunfähigkeit nicht antreten. Rechtfertigten diese altersbedingten Umstände ein Ende der juristischen Aufarbeitung?

Nein, auf keinen Fall. Es geht auch darum, den Holocaust nicht nur aus der Perspektive der Opfer und deren unermesslichen Leids zu sehen, sondern aus der Verantwortung der daran Beteiligten – an welcher Stelle auch immer sie gewirkt haben. Nur weil das perfide Räderwerk ineinandergriff, wurde die Massenvernichtung von Millionen Jüdinnen und Juden durchführbar. Auf der vor 80 Jahre stattgefundenen Wannsee – Konferenz wurde sie kaltblütig organisiert mit dem Ziel, 11 Millionen Juden zu ermorden. Jeder Fall leistet auch heute einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen und, den nach wie vor verbreiteten, Antisemitismus. Ob Teenager bei der Tat oder Greis bei der Verurteilung: Diese Menschheitsverbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben und dazu darf kein Aufwand gescheut werden.

Viele Fälle zeigen auch heute noch, wie tief Verleugnung und Verdrängung in den Köpfen verankert sind. Späte Einsicht ist selten zu erkennen. Die häufigste erste Verteidigungslinie ist immer noch, dass die Angeklagten von den Vorgängen in den Lagern und dem Plan zur Vernichtung des jüdischen Lebens insgesamt nichts gewusst haben wollen. Umso wichtiger ist heute das Wissen um diese Verbrechen und die Auseinandersetzung damit, warum es heute wieder so viel Antisemitismus in Deutschland gibt.

Der Hass auf Juden hat sich tief in der Gesellschaft eingenistet und ist auch heute noch – wortwörtlich – brandaktuell. Zahlreiche Fälle von feigem Vandalismus auf Orte jüdischen Lebens, Angriffe auf Synagogen und Verunglimpfungen des jüdischen Glaubens  leider an der Spitze einer langen Liste antisemitisch motivierter  Anfeindungen. Neben dem rassistischen Antisemitismus gibt es den sekundären Antisemitismus, der den Juden die Instrumentalisierung des Holocaust vorwirft. Die typischen gegen Juden vorgebrachten Stereotype sind nach wie vor die Weltverschwörung und die Beherrschung des Finanzkapitals. In Zeiten grassierender Verschwörungsideologien wird das Impfen als Instrument der Juden gebrandmarkt und ihnen mit einer angeblichen Chipimplantierung vorgeworfen, die Menschen unterdrücken zu wollen. Auch der Nahostkonflikt wird zur Aufwiegelung gegen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland instrumentalisiert. Die Corona Pandemie bietet den Antisemiten einen anscheinend gern genutzten   Vorwand, die Juden zu Sündenböcken zu machen, wie es leider immer wieder in der Geschichte der Fall war. Die alten Narrative im heutigen Gewand lassen sich über die sozialen Medien mit früher unvorstellbarer Reichweite verbreiten.

Das dürfen wir nicht akzeptieren! Antisemitismus verletzt unser aller Würde. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist daher auch die Aufgabe von uns allen, nicht nur die der Jüdinnen und Juden. Bald wird es angesichts des hohen Alters der damals Verantwortlichen, keine juristische Aufarbeitung mehr geben können. Umso wichtiger ist das von Aufklärung und Bildung getragene zivilgesellschaftliche Engagement. Und der Staat muss seiner Aufgabe gerecht werden, konsequent heutige antisemitisch motivierte Straftaten zu verfolgen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass sich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land isoliert fühlen und in Angst leben.

Der rechtsradikale Terroranschlag auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019 war ein trauriger Tiefpunkt. Gleichzeitig bewies er, warum das angespannte Sicherheitsgefühl der jüdischen Gemeinden in Deutschland mehr als gerechtfertigt ist. Die Annahme, dass es sich hierbei um einen tragischen Einzelfall handelt, wäre ein fataler Trugschluss. Die Verbreitung kruder Thesen durch die Querdenker-Bewegung hat gerade in Pandemiezeiten aufgezeigt, dass es wieder eine gefährliche Gemengelage an demokratiefeindlichem Gedankengut in Deutschland gibt. Dieses findet leider gerade im digitalen Raum viel Zuspruch. Vermengt mit antisemitischen Verschwörungserzählungen entsteht eine schadhafte Dynamik, die unsere Demokratie gefährden kann.