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Donald Trumps „Große Lüge"

Für die Behauptung, die Wahl sei ihm gestohlen worden, dürfen Mitglieder der republikanischen Partei Trump nicht mehr attackieren. Am Fall von Liz Cheney statuiert die Parteiführung nun ein Exempel.
Liz Cheney im Repräsentantenhaus
Liz Cheney im Repräsentantenhaus, die Abgeordnete aus Wyoming wird aktuell vom Parteivorsitz für ihre Vorwürfe gegenüber Donald Trump scharf attackiert. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Melina Mara

Als 10 Republikaner am 13. Januar für ein Amtsenthebungsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump stimmten, war das historischer Meilenstein: Nie zuvor stimmten mehr Abgeordnete aus der Partei eines Präsidenten dafür, ihn des Amtes zu entheben. 

Zu diesem Zeitpunkt gab es im Lager der Republikaner kaum starke Reaktionen auf das Abstimmungsverhalten derjenigen, die dafür gestimmt hatten Trump anzuklagen. Doch in der vergangenen Woche hat die republikanische Führung eine klare Botschaft ausgesandt: Abgeordnete werden nicht für ihre Abstimmung am 13. Januar bestraft, aber sie werden mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie Trump weiterhin wegen seiner Behauptung, die Wahl sei ihm gestohlen worden, attackieren.

Trump verließ sein Amt vor fast vier Monaten mit einem schwerbeschädigten Ruf, nachdem ein Mob seiner Anhänger gewaltsam in das Kapitol eingedrungen war, um die Bestätigung der Wahlergebnisse zu verhindern, und es dabei zu Todesopfern kam. Obwohl er nicht mehr im Amt ist und von den meisten Social-Media-Plattformen ausgesperrt wurde, ist Trump noch lange nicht von der Bühne verschwunden. Die jüngsten Entwicklungen deuten auf ein Wiederaufleben seiner politischen Bestrebungen hin. Dabei geraten diejenigen, die sich öffentlich weigern, seine Lügen und Unwahrheiten zu unterstützen, in die Defensive.

Exemplarisch zeigen sich der weiter große Einfluss von Donald Trump und die Zerrissenheit der republikanischen Partei in den Vorgängen um die republikanische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Liz Cheney.

Liz Cheney vs. Trumps Lüge über die “Große Lüge”

Die Abgeordnete aus Wyoming ist ein bekanntes Gesicht der Republikaner und zugleich ein hochrangiges Mitglied der Führung der Partei im Repräsentantenhaus. Sie unterstützte Trumps Amtsenthebung und fordert immer wieder öffentlich, dass die Partei die Lüge des ehemaligen Präsidenten entschieden zurückweist, die Wahl sei gestohlen worden. Trump dagegen hat kürzlich eine „Proklamation“ veröffentlicht: „Die betrügerische Präsidentschaftswahl von 2020 wird von diesem Tag an als DIE GROSSE LÜGE bekannt sein!“

Kurz darauf twitterte Cheney, sie weigere sich, die Darstellung zu akzeptieren: „Die Präsidentschaftswahlen 2020 wurden nicht gestohlen. Jeder, der behauptet, es sei so, verbreitet DIE GROSSE LÜGE, kehrt der Rechtsstaatlichkeit den Rücken und vergiftet unser demokratisches System.“

Die Parteiführung wandte sich gegen Cheney und drohte, sie aus ihrer Führungsposition zu werfen, weil sie Trumps große Lüge über die „Große Lüge” nicht teilt und öffentlich widerlegt. Als Nachfolgerin ist die Abgeordnete aus New York, Elise Stefanik, eine treue Trump-Anhängerin, vorgesehen.

Viele Trump-treue Republikaner sagten letzte Woche, ihr Problem mit Cheney sei nicht ihre Abstimmung über ein Amtsenthebungsverfahren, sondern ihre Entscheidung, den ehemaligen Präsidenten weiterhin herauszufordern und ihre Weigerung, die Botschaft der Partei zu akzeptieren, Trumps Angriff auf die Demokratie einfach zu vergessen und weiterzumachen, als wäre nie etwas passiert.

Der Führer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, stand Cheney noch Anfang dieses Jahres nach ihrer Stimmabgabe zugunsten eines Amtsenthebungsverfahrens zur Seite. Jetzt aber weigerte er sich, sie gegen die jüngsten Angriffe zu verteidigen.

Trumps Macht über die Partei bleibt

McCarthys Rückzieher ist ein klarer Hinweis auf sein eigenes Kalkül, wie er in Trumps Gunst bleiben und gleichzeitig versuchen kann, eine breitere Koalition aufzubauen, um seiner Partei zu helfen, bei der nächsten Wahl die Mehrheit zurückzugewinnen.

Er ist auch ein klares Zeichen dafür, wie viel Macht Trump noch über die Partei ausübt. Cheney ist bisher die einzige Person, die sich entschlossen hat, das zu tun, was die meisten Trump-Skeptiker innerhalb der Partei vier Jahre lang nicht tun wollten: Trumps Lügen öffentlich infrage zu stellen. Dafür wird sie nun bestraft, denn Kritik an Trump wird in der aktuellen GOP nicht toleriert. So werden sogar Daten bewusst zurückgehalten, die zeigen, dass Trumps Zustimmungswerte seit dem 6. Januar in vielen wichtigen Wahldistrikten, vor allem bei den für Republikaner wichtigen Wechselwählern, stark gesunken ist.

Der Cheney-Moment hätte ein echter Wendepunkt für die Republikaner sein können, eine Chance für die Partei, sich wieder auf die Seite der Wahrheit zu stellen. Doch stattdessen haben Trumps gefährliche Lügen, wie schon so oft in den vergangenen Jahren, wieder einmal gesiegt.

Das Ergebnis der Beseitigung aller Anti-Trump-Stimmen innerhalb der Partei wird dann eine Partei sein, die nur aus Mitgliedern besteht, die Trumps Verschwörungstheorien unterstützen und fördern. Es sei denn, diejenigen, die sich zu Wort melden wie Cheney, sind bereit, Führungspositionen (oder ihre politischen Karrieren) dafür zu verlieren.

Allerdings könnte die Entscheidung der republikanischen Partei, auf totale Treue zu Trump zu setzen, sie tatsächlich mehr schädigen als ihr helfen. Die politische Realität, mit der Republikaner derzeit konfrontiert sind, ist: sie kontrollieren weder das Weiße Haus, noch den US-Senat oder das US-Repräsentantenhaus. Sie können es sich nicht leisten, bei den nächsten Wahlen eine einzige Stimme zu verlieren. Darüber hinaus ist Trump bei den Wählern, die nicht zu seiner Anhängerschaft zählen, zutiefst unbeliebt. Indem sie ihre Partei noch "trumpier" machen, indem sie jede Anti-Trump-Stimme innerhalb der Partei unterdrücken, riskieren die Republikaner letztlich Wähler zu verlieren.