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China Spektrum
Aufstieg des Ostens und Fall des Westens?

Chinesische Expertinnen und Experten analysieren Risiken in den Beziehungen zur EU
Der chinesische Präsident Xi Jinping

Der chinesische Präsident Xi Jinping

© picture alliance / Xinhua News Agency | Li Xueren

Was ist passiert?

Die Beziehungen zwischen der EU und China befinden sich seit den wechselseitigen Sanktionen im Jahr 2021 in einem Dauertief. Auch vor dem Hintergrund anhaltender Spannungen mit Washington sucht die chinesische Regierung nun nach Möglichkeiten, die Beziehungen zu Europa durch diplomatisches Engagement zu verbessern.

So erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin (汪文斌), am 18. Januar, China wolle die Beziehungen zu Europa vertiefen. Er sagte: „In der nächsten Phase ist China bereit, den Dialog und die Zusammenarbeit mit der europäischen Seite auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts weiter zu stärken und gemeinsam neue Fortschritte in der umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen China und Europa zu machen.“

In einem Interview mit der South China Morning Post Ende Dezember 2022 sagte Fu Cong (傅聪 ), Chinas neuer Botschafter bei der EU, zu seinen obersten Prioritäten gehörten „die Aufrechterhaltung und Wiederaufnahme von Kontakten auf allen Ebenen, die Stärkung der Zusammenarbeit bei globalen Themen wie dem Klimawandel und die Intensivierung des Austausches im kulturellen Bereich“.

Tabelle

Was sagen Chinas Expert:innen?

Wir wollten wissen, wie chinesische Top-Wissenschaftler:innen und Beratende den Stand der Beziehungen zwischen der Volksrepublik und der EU bewerten, insbesondere die Risiken und Konfliktpotentiale. Wir haben dazu 17 Veröffentlichungen von sieben der renommiertesten staatlichen chinesischen Einrichtungen zu EU-Forschung aus den Jahren 2021 und 2022 analysiert. Chinas Wissenschafter:innen identifizieren Risiken in drei Bereichen:

Strategische Verschiebung in der EU-Politik

Das Europäische Parlament sei in der China-Politik der EU-Mitgliedstaaten aktiver geworden, und sein Einfluss dürfe nicht unterschätzt werden, so lautet etwa die Einschätzung des Zentrums für chinesisch-europäische Beziehungen an der Fudan-Universität. Die EU habe in ihrem ersten „Bericht über die politischen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan“ auch das „Ein-China-Prinzip“ in Frage gestellt. Sie gebe sich mittlerweile nicht mehr nur mit ihrem Vetorecht durch das Investitionsschutzabkommen zufrieden, sondern ergreife auch zunehmend Initiative, um die politische Agenda von Mitgliedstaaten gegenüber China mitzugestalten, so der Shanghaier Thinktank.

Geopolitische Spannungen

Die strategische Nähe zwischen China und Russland (中俄在战略上的接近) fungiere als Katalysator für die Veränderung der EU-Politik gegenüber China. Da die Situation in der Ukraine zu „unrealistischen europäischen Assoziationen“ führen könne, sei eine weitere Verhärtung der Haltungen zur Taiwan-Frage in der EU und ihren Mitgliedstaaten zu erwarten. Ein Infragestellen der chinesisch-europäischen politischen Beziehungen stelle ein reales Risiko dar.

Die Analysten sehen zudem die Indo-Pazifik-Strategie und die Initiative Global Gateway im direkten Wettbewerb mit chinesischen strategischen Bestrebungen. Die EU signalisiere hiermit eine Ausdehnung ihrer geopolitischen Ambitionen in bisher stark von China beeinflussten Regionen. Dies gilt insbesondere für den westlichen Balkan und die Länder aus Ost –und Südeuropa.

Wirtschaftliche Entkoppelung

Die Einführung des EU-Instruments zur Abwehr von wirtschaftlichem Zwang (anti-coercion instrument) und des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten verstärke die Politisierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, analysieren das Zentrum für strategische und sicherheitspolitische Studien und das Institut für internationale Beziehungen an der Tsinghua-Universität.

Im Bereich Wirtschaft und Handel schauen die Wissenschaftler:innen kritisch auf EU-Maßnahmen, die – wenn auch nicht direkt auf China abzielend – wirtschaftliche und handelspolitische Abhängigkeit von China verringern sollen. Die EU reduziere dadurch ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt, dessen Rohstoffen und Industrieketten. Handel und Wirtschaftsbeziehungen würden so als „Grundpfeiler“ (压舱石) der beiderseitigen Beziehungen immer mehr an Bedeutung verlieren.

Was bedeutet das?

Chinas führende Expert:innen zeichnen ein durchweg pessimistisches Bild der Beziehungen zur EU. Die Bemühungen der chinesischen Zentralregierung um eine Verbesserung des Verhältnisses überraschen daher nicht. Die Analysen zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Materie. Es finden sich allerdings keine abweichenden oder den allgemeinen Konsens hinterfragenden Betrachtungen, weshalb die Forschungsergebnisse durchaus Fehleinschätzungen enthalten und „politische Korrektheit“, also eine Übereinstimmung mit offiziellen chinesischen Regierungsstandpunkten, überwiegt.

Mit ihren ideologisch geprägten Interpretationen sehen die Expert:innen die EU in der primären, wenn nicht sogar alleinigen Verantwortung, an dem angespannten Verhältnis etwas zu ändern. Handlungsanweisungen für ihr eigenes Land sprechen sie in der Regel nicht aus bzw. diese werden zensiert, so wie die von Yan Xuetong (阎学通), Politikwissenschaftler an der Tsinghua-Universität im Juli 2022:

„Wir können entweder unsere Offenheit gegenüber Europa erhöhen, indem wir vor allem Europäern, Unternehmen und Organisationen die Möglichkeit geben, zu Kooperationszwecken nach China zu kommen. Oder wir versuchen, Konflikte mit der europäischen Öffentlichkeit in Menschenrechtsfragen zu verringern, indem wir Menschenrechtskonflikte auf die Ebene zwischen Regierungen beschränken und nicht auf die gesellschaftliche Ebene ausweiten.“

一是加大对欧开放,主要是允许欧洲人、企业、组织来中国进行合作,二是将人权冲突限于政府之间而不扩大到社会层面,减少与欧洲大众在人权问题上的冲突.

Hier geht es zum China-Spektrum.

China Spektrum Reader Februar 2023

  • Das Ende von Null-Covid + TikTok unter Druck + Beziehungen zur EU

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