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Wahlen in Paraguay
Wieder nur Zweiter

Paraguay: Liberale nach Superwahlsonntag vor Scherbenhaufen
Efraín Alegre,

Efraín Alegre, der Spitzenkandidat des linksliberalen Parteienbündnisses Concertación Nacional (Nationales Abkommen).

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jorge Saenz

Efraín Alegre, der Spitzenkandidat des linksliberalen Parteienbündnisses Concertación Nacional (Nationales Abkommen), hat es wieder nicht geschafft. Zum dritten Mal in Folge hat er sich um das Präsidentenamt beworben, zum dritten Mal haben ihm Paraguays Wählerinnen und Wähler eine Abfuhr erteilt. Diesmal fiel sie besonders demütigend aus. Bei den Wahlen vor fünf Jahren hatte der Top-Liberale immerhin noch rund 45 Prozent der Stimmen erhalten, nicht viel weniger als der damalige Wahlgewinner, der heutige Präsident Mario Abdo Benítez. Diesmal kamen Alegre, zugleich Vorsitzender der PLRA (Partido Liberal Radical Auténtico, Wahre Radikal-Liberale Partei), und seine Vizepräsidentschaftskandidatin Soledad Núñez, nur noch auf blamable 27,5 Prozent.

Klar gewonnen hat die Präsidentschaftswahl am Sonntag Santiago Peña, der Spitzenmann der Asociación National Republicana – Partido Colorado (Nationale Republikanische Vereinigung – Rote Partei, kurz ANR). Im Gespann mit Pedro Alliana, seinem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, erreichte er 42,7 Prozent der Stimmen, rund 15 mehr als der damit komplett deklassierte Alegre. Eine einfache Mehrheit genügt in Paraguay für den Einzug in den Palacio de López, den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Asunción. Am 15. August übernimmt Peña das Amt des Staats- und Regierungschef von seinem Vorgänger und Parteifreund Benítez. Für die Organisation der Machtübergabe lässt sich Paraguay traditionell mehrere Monate Zeit. Benítez selbst durfte nicht wieder antreten. Die paraguayische Verfassung hat der Wiederwahl einen Riegel vorgeschoben.

Emotionale, fast religiöse Frage

Die parteipolitische Landschaft in Paraguay hat sich im späten 19. Jahrhundert formiert. Über Jahrzehnte kannte sie nur zwei Farbdominanten: die rote und die blaue. Rot steht, wie der Name bereits verrät, für die ANR, blau für die PLRA, heute größter Player im Concertación-Bündnis. Die Zugehörigkeit zu einem der beiden politischen Lager war eine emotionale, fast religiöse Frage. Ein parteipolitisches Bekenntnis wurde vererbt, es war Teil der Persönlichkeitsentfaltung und der Alltagskultur. Die Situation in Paraguay glich über Jahrzehnte ein wenig derjenigen im konfessionell gespaltenen Deutschland in den Jahren des Kulturkampfes.

Mit der Abstimmung von Sonntag scheint die Ära des Zwei-Parteien-Systems nun an ihr Ende gekommen zu sein. Zum ersten Mal seit dem Sturz des Militärregimes Ende der Achtzigerjahre hat eine dritte Partei einen sichtbaren Erfolg verbuchen können. Auf satte 22,9 Prozent kam das Duo Paraguayo Cubas und Stilber Valdes mit ihrer rechtspopulistischen Partido Cruzada Nacional (Partei Nationaler Kreuzzug, PCN). Eine handfeste Überraschung! Bis zur Auszählung war der PCN lediglich eine Außenseiterrolle zugeschrieben worden; selbst in den Tagen unmittelbar vor der Wahl hatten ihr die Umfragen maximal zehn Prozent vorausgesagt. Den Großteil des Zuspruchs dürften Cubas und seine Running mate der massenhaften Abwanderung aus dem Wählerreservoir der PLRA zu verdanken haben.

Durch keinen Skandal zu erschütternde Aura

Dass die Colorados bei den diesjährigen Wahlen als souveräne Siegerin durchs Ziel gehen würde, galt lange Zeit als wenig wahrscheinlich. Zwei ihrer Spitzenvertreter, Ex-Präsident Horacio Cartes, Staatschef von 2013 bis 2018, und Vizepräsident Hugo Velázquez sahen sich Mitte vergangenen Jahres mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Die Anschuldigungen ließen die Öffentlichkeit aufhorchen. Sie kamen von Marc Ostfield, US-Botschafter in Asunción. Beiden Colorado-Politikern wurde das Visum für die USA entzogen. Ein beispielloser Vorgang. Dass die Partei das höchste Staats- und Regierungsamt dennoch verteidigen konnte, dürfte vor allem an zwei Faktoren gelegen haben: An ihrer mittlerweile über Generationen gewachsenen, durch keinen noch so aufsehenerregenden Skandal zu erschütternden staatstragenden Aura und am eher unverbrauchten Gesicht des dynamischen Spitzenkandidaten. Als vormaliger PLRA-Vertreter wird der weltläufige Ökonom und ehemalige Finanzminister Peña nicht so sehr mit dem Colorado-Establishment und den zahlreichen parteiinternen Seilschaften in Verbindung gebracht.

Die PLRA indes liegt nach der Wahlschlappe am Boden. Sie ist programmatisch, moralisch und personell eigentlich am Ende. Der Stimmeneinbruch bei den Präsidentschaftswahlen war nur der am stärksten beachtete Teil eines ganzen Reigen von Niederlagen. Die Liberalen bleiben sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat in der Opposition. Im Abgeordnetenhaus verfügen sie künftig über 23 der achtzig Sitze (ANR: 48), Senatorinnen und Senatoren stellt sie fortan zwölf von 45 (ANR: 23). Auf regionaler Ebene sieht es noch düsterer aus: Hier gewannen PLRA-Kandidaten die Gouverneursposten in lediglich zwei der 17 Verwaltungsbezirke des Landes.

Für den missmutigen Sound ihrer Kampagne abgestraft

Immerhin konnte die Concertación den Colorados den bevölkerungsreichsten Bezirk Central abnehmen. Der künftige Gouverneur, Ricardo Estigarribia, kritisierte noch am Wahlabend die mangelnde Geschlossenheit innerhalb des Concertación-Bündnisses, aber auch die Kampagnenstrategie, ein negative campaining, das die Aufmerksamkeit weniger auf die eigenen Pläne, Visionen und Stärken und mehr auf die Korruptionsvorwürfe gegen führende Köpfe der politischen Konkurrenz gerichtet hatte. Der Souverän hat die Liberalen allem Anschein nach auch für den missmutigen Sound ihrer Wahlkampagne abgestraft.

So banal es klingt: Für die PLRA liegt in der Krise auch die Chance eines Neuanfangs. Die Partei muss sich entscheiden, ob sie sich weiter nur am politischen Gegner abarbeiten oder ob sie sich als ernst zu nehmende Alternative zu den dauerregierenden rechten Colorados – aber auch zu den noch rechteren Cubas-Truppen – in Stellung bringen will. Dazu muss sie einen personellen Neuanfang wagen, die Organisationsstrukturen reformieren und ein verbindliches, leicht zu verinnerlichendes und leicht kommunizierbares Programm zu Papier bringen. Wenn sie sich weiter nur mit sich selbst beschäftigt, dürfte sie bei den nächsten Abstimmungen vollends unter die Räder der PCN kommen.

Fest an der Seite der USA

Peña sieht Paraguay fest an der Seite der USA. An den offiziellen diplomatischen Kontakten zu Taiwan – ein Alleinstellungsmerkmal seines Landes in Lateinamerika – will er festhalten. Beides ist viel wert in einer Zeit, in der die Volksrepublik China in der Großregion zwischen Mexiko und Feuerland immer stärker Präsenz zeigt. Alegre hatte laut über ein Ende der Beziehungen zur Republik China nachgedacht.

In jedem Fall wird der neue Mann im Palacio de López einiges zu tun haben. Das Land bedarf einer umfassenden Reformagenda. Es braucht Investionen. Und diese brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Außerdem müssen das Gesundheitssystem, der Bildungsbereich und der Justizsektor generalüberholt werden. Zu tun gibt es also genug. Die Mehrheiten im Kongress hat Peña. Bleibt zu hoffen, dass er auch den Willen hat.

Dr. Lars-André Richter leitet das Büro La Plata der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Buenos Aires.
Fernando Mezzina ist Kommunikationsassistent im Stiftungsbüro.