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Paraguay
Abstimmung mit ungewissem Ausgang

Paraguay vor dem Superwahlsonntag
Efrain Alegre,

Efrain Alegre

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jorge Saenz

Am 30. April finden in Paraguay Präsidentschafts- und Kongresswahlen statt. Gewählt werden das Staatsoberhaupt und sein Stellvertreter, sämtliche Mitglieder des achtzigköpfigen Abgeordnetenhauses, die dreißig Senatorinnen und Senatoren, schließlich die Gouverneurinnen, Gouverneure und Parlamente der 17 Verwaltungsbezirke. Wahlberechtigt sind knapp fünf der rund siebeneinhalb Millionen Einwohner des Landes. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Wahlen zum Staats- und Regierungschef – wie in fast allen Ländern Lateinamerikas umfasst das Präsidentenamt auch in Paraguay beide Positionen. Amtsinhaber Mario Abdo Benítez darf nach fünf Jahren nicht noch einmal antreten - die Verfassung verbietet die Wiederwahl.

Ein Charakteristikum der paraguayischen Politik ist das robuste Zwei-Parteien-System, das sich bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat: auf der einen Seite die konservative Asociación National Republicana – Partido Colorado (Nationale Republikanische Vereinigung – Rote Partei, kurz PC), auf der anderen die Liberalen, die Partido Liberal Radical Auténtico (Wahre Radikal-Liberale Partei, PLRA). Die PLRA hat die Geschicke des Landes über weite Teile der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt, während die PC den Ton in Paraguay seit dem Zweiten Weltkrieg angibt, mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 2008 und 2013. Andere Parteien finden deutlich weniger Zuspruch. Sie spielen, wenn überhaupt, kommunalpolitisch eine Rolle. Oder taktisch, nämlich als Mehrheitsbeschaffer.

Die größten Chancen auf den Einzug in die Palacio de López, den Präsidentenpalast im Zentrum der Hauptstadt Asunción, haben Santiago Peña, Kandidat der PC, und Efraín Alegre, Spitzenmann der oppositionellen PLRA. Die PRLA hat sich mit rund zwei Duzend kleineren politischen Gruppen, darunter mehrere Parteien mit vor allem kommunalpolitischer Bedeutung, zu einem Bündnis unter dem Namen Concertación Nacional (Nationale Absprache) zusammengeschlossen.

Alegre bemüht sich zum dritten Mal in Folge um das Amt an der Staats- und Regierungsspitze

Bei den Vorwahlen am vierten Adventssonntag vergangenen Jahres hatten sich das Duo Pedro Efraín Alegre und María Soledad Núñez Méndez durchgesetzt. Beide waren seinerzeit auf knapp sechzig Prozent der Stimmen gekommen. Damit waren sie qualifiziert. Der Jurist Alegre ist seit 2016 Vorsitzender der PLRA und verfügt als ehemaliger Parlamentarier, Präsident des Abgeordnetenhauses, Senator und Minister über einen weitgesteckten politischen Erfahrungshorizont. Er bemüht sich in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge um das Amt an der Staats- und Regierungsspitze. Soledad Núñez wiederum, die Vizepräsidentschaftskandidatin, war zwischen 2014 und 2018 Ministerin für Wohnungsbau und Lebensraum und gilt innerhalb der PLRA als eher marktorientiert. Sie könnte mit dieser Grundhaltung der verunsicherten PC im April zusätzlich Wähler abjagen.

Bei der PC wiederum lagen im Dezember Santiago Peña und Pedro Alliana MP vorne. Der Ökonom Peña ist eigentlich ein Gewächs der PLRA. Erst 2016 wechselte er zur PC, während seiner Zeit als Finanzminister im Kabinett Cartes. Kein Wunder also, dass dieser ihn nun nach Kräften unterstützt. Abdo Benítez hingegen hatte sich bei den Vorwahlen für ein zweites Kandidatenduo starkgemacht. Dessen Schlappe war auch seine.

Ein Paukenschlag, für den Washington Mitte vergangenen Jahres gesorgt hatte, ist noch im Wahlkampf als Echo zu hören. Durch Einlassungen ihres Botschafters in Asunción hatten die USA gleich zwei namhafte Vertreter der PC in Verlegenheit gebracht. Einer von ihnen war Ex-Präsident Horacio Cartes, der andere Hugo Velázquez, der amtierende Vizepräsident. Beide brachte US-Botschafter Marc Ostfield mit zahlreichen Korruptionsfällen in Verbindung, beiden entzog er das Visum für die Einreise in die USA. Vor allem die Region des Dreiländerecks Paraguay, Argentinien und Brasilien sowie das Grenzgebiet zu Bolivien gelten als Hotspots des weltweiten Drogenschmuggels und des illegalen Grenzverkehrs terroristischer Organisationen. In den Vorwürfen der US-Botschaft gegen Cartes und Velázquez war viel die Rede von einer versuchten Einflussnahme auf die Justiz. Umgerechnet eine Million US-Dollar sollen geflossen sein, um die Aufklärung von Vorfällen grenzüberschreitender Korruption zu vereiteln. Seinerzeit war die Popularität der PC im Keller. Mittlerweile hat sie sich wieder gefangen. Und kann möglicherweise bald doch wieder das Staatsoberhaupt stellen.

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Alegre und Peña

In Umfragen hat Alegre in den vergangenen Wochen allerdings kräftig aufgeholt. Er liegt dieser Tage mit rund 38 Prozent knapp vor Peña, für den rund 36 Prozent stimmen würden. Weit abgeschlagen folgt Cuba mit rund 15 Prozent auf Platz drei. Die Wahl könnte also mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen enden und damit einen Trend fortsetzen, der derzeit weite Teile Lateinamerika erfasst hat. Zuletzt waren es die Präsidentschaftswahlen in Brasilien, deren Ergebnis illustriert hat, wie gespalten die Gesellschaft letztlich ist.

Auch die Wirtschaftsdaten aus diesem und dem vergangenen Jahr sind wenig ermutigend. Das konstante Wachstum, das Paraguay seit Anfang des Jahrhunderts verzeichnet hatte, ist infolge der Covid-Pandemie in Turbulenzen geraten oder gar völlig zum Stillstand gekommen. Die Armutsquote liegt bei etwa 25 Prozent, deutlich niedriger als im Nachbarland Argentinien, natürlich aber immer noch viel zu hoch.

Eine generelle, aber nicht minder wichtige Herausforderung der politischen Akteurinnen und Akteure dürfte in der Aufgabe bestehen, die Demokratie lebendig zu halten. In den letzten dreißig Jahren scheint sie ihren alten Glanz verloren zu haben. Die Menschen in Paraguay trauen ihren Mechanismen, Institutionen und Repräsentanten einfach immer weniger zu, die Probleme der Nach-Covid-Ära zu lösen. Alle Parteien verzeichnen einen geringeren Zulauf zu ihren Wahlkampfveranstaltungen als noch vor fünf oder zehn Jahren. Sie fürchten eine geringere Wahlbeteiligung und ein sich intensivierendes Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber den Möglichkeiten einer partizipativen Demokratie.

Paraguay steht vor einer Herkulesaufgabe

Im Falle eines Sieges wäre Efraín Alegre der erste aus Wahlen hervorgegangene liberale Staats- und Regierungschef des Landes seit den 1930er Jahren. Federico Franco, der bislang letzte Präsident mit PLRA-Mitgliedschaft, hatte den Palacio de López 2012 nach dem Rücktritt von Fernando Ludo, dessen Vize er war, bezogen. Er blieb dort nur etwas mehr als ein Jahr. Eine Präsidentschaft Alegres müsste man als Liberaler kritisch begleiten. Anders als die PC scheint er dem Gedanken gegenüber nicht ganz abgeneigt, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen und sich stattdessen mit Festland-China ins Benehmen zu setzen. Zum Hintergrund: Paraguay war das letzte Land in Lateinamerika, das offizielle Beziehungen pflegte mit der Republik China. Außerdem soll Lula da Silva, seit Januar altneuer brasilianischer Präsident, Alegre Wahlkampfberater geschickt haben.

Egal, wer am 30. April gewinnt: Paraguay steht vor einer Herkulesaufgabe. Das Land bedarf einer umfassenden Reformagenda. Zwar sind die Steuersätze niedrig. Um die dringend benötigten ausländischen Investoren für sich zu gewinnen, braucht es allerdings vor allem verlässliche Rahmenbedingungen. Hier besteht noch Optimierungsbedarf. Außerdem müssen das Gesundheitssystem, der Bildungsbereich und der Justizsektor generalüberholt werden. Zu tun gibt es also genug.

Dr. Lars-André Richter leitet das Büro La Plata der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Buenos Aires. Fernando Mezzina ist Kommunikationsassistent im Stiftungsbüro.