EN

Argentinien
Argentinien nach eineinhalb Jahren Milei: Beeindruckende wirtschaftliche Erfolge, aber die Arbeit geht weiter

Javier Milei ist inzwischen seit eineinhalb Jahren Präsident in Argentinien.

Seit eineinhalb Jahren ist Javier Milei Präsident in Argentinien.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Farid Dumat Kelzi

Javier Milei ist inzwischen seit eineinhalb Jahren Präsident in Argentinien. Die Schonfrist, wenn es denn angesichts der Größe der Herausforderungen des Landes je eine gab, ist längst vorbei. Wirtschaftspolitisch hat Milei beeindruckende wirtschaftliche Erfolge erreicht, aber für einen nachhaltigen Aufschwung des Landes, der das reiche Potenzial des Landes nutzt, gibt es noch viel zu tun.

Am 9. Juli 2025 veranstaltete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema „Argentinien im wirtschaftlichen Umbruch“. Die Keynote hielt Tomás Villalba, Chargé d’Affaires an der argentinischen Botschaft in Berlin. Mit dieser Veranstaltung wollte die Stiftung – fast auf den Tag genau ein Jahr nach einer ersten Veranstaltung zu Milei an gleicher Stätte – beleuchten, wie sich die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Lage in Argentinien seitdem entwickelt hat. 

Ein Jahr Wirtschaftspolitik von Javier Milei

Der bekennende Anarcho-Kapitalist Javier Milei ist seit knapp einem Jahr Präsident von Argentinien.

Javier Milei trat im Dezember 2023 das Amt des argentinischen Präsidenten an und kämpft seitdem gegen Hyperinflation, hohe Armut und wirtschaftliche Missstände. Ein Jahr später: erste Erfolge, aber viele Herausforderungen.

Weiterlesen

Vor einem Jahr war das am meisten verwendete Wort im Hinblick auf Milei „Hoffnung“. Bei der Bekämpfung der Inflation – der größten Sorge der Argentinier und entscheidend für seinen Wahlsieg 2023 – und der Reduzierung der überbordenden Staatsausgaben waren bereits erste Verbesserungen zu erkennen, aber es gab noch viele Fragezeichen. Argentinien befand sich, nicht zuletzt aufgrund der begonnenen „Schocktherapie“ in einem wirtschaftlichen Abschwung. Es gab begründete Zweifel, ob die ersten Stabilisierungserfolge nachhaltig seien oder nur durch Einmalmaßnahmen erzielt wurden. Politisch hatte Milei gerade eine schwere Niederlage erlitten, als der Kongress, in dem er mit seiner Partei „La Libertad Avanza“ über keine eigene Mehrheit verfügt, im ersten Anlauf ein umfangreiches Reformpaket abgelehnt hatte. Milei musste weiter mit „Notstandsdekreten“ regieren. Ein „Kulturkampf“ des bekennenden „Anarchokapitalisten“ drohte nicht nur die argentinische Gesellschaft zu spalten, sondern sorgte auch auf internationaler Bühne für vielfaches Kopfschütteln.

Stabilisierungserfolge und Reformdynamik: Argentinien auf dem Weg aus der Krise

Ein Jahr später ist die stabilisierungspolitische Bilanz Mileis beeindruckend. Inflation ist zwar noch präsent, mit einer Jahresrate von „nur noch“ rund 40% ist Argentinien aber auf bestem Wege, diese Erblast hinter sich zu lassen, die Milei bei seinem Amtsantritt von der peronistischen Vorgängerregierung mit der höchsten Inflationsrate der Welt von 211% übernommen hatte. Der Haushalt weist zum ersten Mal seit 14 Jahren einen Überschuss auf. Nach einer Rezession von -2% im letzten Jahr erwarten Analysten (nicht nur solche der Regierung) in diesem Jahr ein Wachstum von 5%. Damit spielt Argentinien plötzlich in der „Champions League“ der wachstumsstärksten Staaten der Welt wie Indien und Indonesien. 

Sein umfassendes Reformpaket hat Milei im letzten Juli dann doch noch, wenn auch in abgespeckter Version, im zweiten Anlauf durch den Kongress gebracht. Ein wichtiger Bestandteil ist ein Sonderprogramm („RIGI“), das für ausländische Großinvestitionen, zum Beispiel in den attraktiven Energie- und Rohstoffsektoren, steuerliche und weitere Anreize für 30 Jahre gewährt und bereits erste Investitionsankündigungen ausgelöst hat.

Marktwirtschaft à la Milei

Javier Milei

Die Kettensäge ist zum Symbol geworden. Mit ihr trat Javier Milei im Wahlkampf auf. Die Botschaft lautete: Nichts bleibt in dieser Nation, wie es über Jahrzehnte war. Richtig so, das dachten wohl die Menschen und wählten ihn mit beachtlichen 56 Prozent zum neuen Präsidenten. Sein Versprechen: Schluss mit Inflation und Protektionismus. Doch die Herausforderung ist enorm – Marktöffnung, Privatisierung und Inflationsbekämpfung stehen an. Ein Blick in die Geschichte mahnt zur Professionalität, so Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Weiterlesen

Selbst das abstruse Wechselkursregime, das mit für ein G20-Land in dieser Tragweite unbekannten Kapitalverkehrskontrollen einherging, ist mittlerweile Geschichte. Milei wollte diese außenwirtschaftliche Liberalisierung aus Furcht vor einem Wertverfall des Pesos und Wiederanstieg der Inflation, ausgerechnet vor den Kongresswahlen im Oktober, eigentlich vermeiden. Der IWF zwang Milei für das Zustandekommen eines neuen USD 20 Milliarden Kreditprogramms im April aber zu seinem eigenen Glück. Seitdem kann sich der Peso in einer Bandbreite gegenüber dem USD von 1000 bis 1400 Peso bewegen. Anders als von Milei befürchtet, brach der Peso nicht ein, und es kam zu keinem Run auf die Banken, obwohl Argentinier nun unbegrenzt USD eintauschen können. Aktuell bewegt sich der Peso fast genau in der Mitte der Bandbreite. Die Abschwächung des USD an den Weltdevisenmärkten unter der erratischen und protektionistischen Wirtschaftspolitik Trumps mag neben einem größeren Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung Argentiniens ebenfalls zur Stabilisierung des Pesos beigetragen haben.

Wandel der Weltwirtschaft?

Argentinien erlebt unter Präsident Milei ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und Stabilität, während USA und Europa mit Schulden und Protektionismus kämpfen. Ein neuer Trend in der Weltwirtschaft entsteht.

Argentinien erlebt unter Präsident Milei ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und Stabilität, während USA und Europa mit Schulden und Protektionismus kämpfen. Ein neuer Trend in der Weltwirtschaft entsteht.

Weiterlesen

Für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung benötigt Argentinien nun vor allem zweierlei: Erstens, eine konsequente Fortsetzung des bisher so erfolgreichen Stabilisierungskurses. Argentinien hat in der Vergangenheit schon zu oft (zuletzt unter der Präsidentschaft Macris vor 10 Jahren) zarte Hoffnungsschimmer erlebt, die sich dann jedoch schnell jäh wieder in Luft aufgelöst haben. Zum zweiten fehlen in Argentinien noch wichtige Strukturreformen zur Verbesserung der angebotsseitigen Voraussetzungen für mehr Wachstum, Investitionen und Beschäftigung: insbesondere Steuerreform, Arbeitsmarktreformen, Föderalismusreform, Rentenreform.

Politische Hürden, gesellschaftlicher Wandel und die offene Zukunft Argentiniens

Für all dies und vieles mehr hat Milei zwar schon Pläne im Köcher (insgesamt rund 3000), aber keine politischen Mehrheiten zu ihrer Umsetzung. Die Chancen hierfür dürften sich nach den Kongresswahlen im Oktober, bei denen rund die Hälfte der Sitze in beiden Kammern neu besetzt werden, verbessern: Laut Umfragen liegt Mileis Partei „La Libertad Avanza“ bei über 30% – eine deutliche Steigerung gegenüber den bisher rund 10%. Eine eigene Mehrheit dürfte er damit allerdings nicht erreichen und somit für Mehrheiten auch weiterhin auf die Zusammenarbeit insbesondere mit anderen reformorientierten Kräften im bürgerlichen Lager angewiesen sein. 

Dass die „Notstandsdekrete“, mit denen Milei seit seinem Amtsantritt regiert, diese Woche auslaufen, kann hierbei durchaus positiv wirken. Zwar waren diese keineswegs undemokratisch, weil vom Kongress gewährt (und von diesem jederzeit widerrufbar) sowie verfassungsrechtlich überprüft. Nachdem sich Argentinien trotz aller weiter bestehenden Herausforderungen – nicht mehr wirklich in einem „Notstand“ befindet, sollten politische Debatten und Beschlüsse über weitergehende Reformmaßnahmen, wie die erwähnten Strukturreformen, nun aber auch dort stattfinden, wo sie in einer Demokratie hingehören im Kongress.

Milei dürfte es also weder vor noch nach den Kongresswahlen langweilig werden. Umso wichtiger wäre es, auf den bisherigen bereits in relativ kurzer Zeit beeindruckend erreichten Erfolgen aufzubauen und den Kurs der wirtschaftlichen Erneuerung des Landes konsequent fortzusetzen. Doch Argentiniens Reformkurs trifft auf eine Region im Umbruch. Welche Akzente Brasilien im BRICS-Format setzt und welche Dynamiken davon für die Nachbarn ausgehen, fassen wir im Überblick zum BRICS-Gipfel zusammen.

Milei ist vor allem mit dem Anspruch angetreten, die wirtschaftliche Misere Argentiniens zu überwinden, und hierauf liegt auch der Fokus seiner praktischen Regierungsarbeit. Darüber hinaus führt Milei aber, insbesondere in Diskursen und sozialen Medien, weiterhin einen „Kulturkampf“, der nur unnötig den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Argentinien gefährdet. So betont Milei etwa fast täglich, wie sehr er Journalisten hasst, in einer bizarren Rede im Januar beim World Economic Forum in Davos nannte er Migranten in einem Atemzug mit Verbrechern und Homosexuelle mit Kinderschändern. Die Leugnung des menschengemachten Klimawandels und überzogene Kritik an multilateralen Organisationen und Foren aufgrund ihrer angeblicher „sozialistischer Agenda“ lösen im Ausland nur unnötige Zweifel am internationalen Verantwortungsbewusstseins Argentiniens aus und schwächen damit auch Mileis Werben um ausländische Investitionen.

Nach eineinhalb Jahren Milei hat Argentinien alle Chancen, den jahrzehntelangen Krisenmodus zu beenden, so dass das Land in alter und neuer Blüte gedeihen kann. Aus „Potenzial“ und „Hoffnung“ kann dann die tatsächliche Nutzung der reichen Ressourcen Argentiniens werden – wenn Milei einen klaren Fokus auf den nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung behält.