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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Argentinien
Wandel der Weltwirtschaft?

Argentinien, einst eine der reichsten Nationen der Welt, setzt nach langen Jahrzehnten des Verfalls zum Spurt an. Dagegen ersticken die USA im Protektionismus und Europa in Schulden und Staatsgläubigkeit.
Argentinien erlebt unter Präsident Milei ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und Stabilität, während USA und Europa mit Schulden und Protektionismus kämpfen. Ein neuer Trend in der Weltwirtschaft entsteht.

Argentinien erlebt unter Präsident Milei ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und Stabilität.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Nicolas Aguilera

Es ist höchste Zeit, sich die Augen zu reiben – über die globalen ökonomischen Trends des letzten Jahres. Der eigentliche Strukturbruch – gegen den Zeitgeist – findet dabei in einer Nation statt, die bisher allenfalls für guten Fußball, gutes Rindfleisch und guten Wein bekannt war: Argentinien.

Es ist ein Land, das in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu den reichsten der Welt gehörte, aber seither über lange Dekaden durch einen überbordenden Staatsapparat, hohe öffentliche Verschuldung, regelmäßige Staatspleiten und hohe Inflation alle seine (riesigen) Chancen verspielte, fast egal, wer an der Regierung war. Es herrschte die Ideologie des „Peronismus“ – eine krude Mischung aus gläubigem Staatssozialismus und korrupter Staatspraxis.

Damit hat Javier Milei, seit eineinhalb Jahren als Präsident an der Regierung, radikal Schluss gemacht. Sein liberales Wirtschafts- und Finanzprogramm des jähen Schnitts brachte drastische Kürzungen der Staatsausgaben in praktisch allen Bereichen und eine marktwirtschaftliche Öffnung. Dies wirkte: Nach einer scharfen, dramatischen, aber relativ kurzen Rezession, die auch die Armut im Land vorübergehend zunehmen ließ, gab es in den letzten Monaten eine dynamische wirtschaftliche Erholung, zuletzt mit realen Wachstumsraten von fast 6 Prozent. Und dies bei einer Inflationsrate, die von jährlich über 210 (!) Prozent auf unter 40 Prozent absackte – noch immer zu hoch, aber doch schon längst auf dem Weg zu Raten, wie sie stabile Länder auszeichnen, zumal der Staatshaushalt einen Überschuss ausweist – von 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Zeiten, in denen der Finanzminister vom Zentralbankchef „sein“ Defizit mühelos durch Gelddrucken finanziert bekam, sind offenbar vorbei.

Sensationell ist dabei vor allem die außenwirtschaftliche Entwicklung. Gerade in dieser Hinsicht waren Beobachter – wie auch der Verfasser – lange Zeit skeptisch, ob Javier Milei nicht doch aus Angst vor einer Inflationsbeschleunigung die Kapitalverkehrskontrollen und die Nicht-Konvertibilität der argentinischen Währung, des Peso, aufrechterhalten würde. Aber siehe da: Der Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Öffnung des Außenhandels zu beschleunigen, half Milei auf die Beine. Der IWF machte dies einfach zur Bedingung mit Blick auf weitere Stützungskredite, und der libertäre Anarcho-Kapitalist Milei, der eigentlich nichts vom IWF hält, knickte ein – zu Recht, denn es half, den stark abgewerteten Peso wieder zu einem stabilen Zahlungsmittel zu machen, auch im Vergleich zum Dollar. Die marktbedingte Abwertung des Peso fiel sogar geringer aus als befürchtet, wobei die Schwäche des Dollar aufgrund der Trumpschen Politik wie eine ausgestreckte helfende Hand für Argentinien wirkte.

Fazit: eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, zumal die Armut im Land jüngst eher abgenommen hat und die Argentinier sowie Ausländer allmählich darüber nachdenken, ob es sich nicht lohnen könnte, in diesem Land zu investieren – bei marktwirtschaftlicher Orientierung und stabiler Währung. Jedenfalls steht die volle Rückkehr Argentiniens an die internationalen Kapitalmärkte längst bevor, und gerade viele Argentinier selbst denken darüber nach, ihre über Jahrzehnte im Ausland geparkten Ersparnisse in die Heimat zurückzuführen.

Was für ein Wandel der Weltwirtschaft! Das Schmuddelkind Argentinien könnte zum Musterknaben werden – und damit ein weiteres Beispiel für Erfolg in Südamerika, dem wirtschaftlich geplagten Kontinent, neben Chile und Uruguay, wo es allerdings politisch weit weniger spektakulär zuging. Machen wir uns dabei allerdings nichts vor: Auf Milei warten noch tiefe strukturelle Reformen, die nötig sind, um dem ressourcenreichen Land jene Dynamik zurückzugeben, die es vor 100 Jahren hatte. Aber immerhin: Ein mutiger Anfang ist gemacht. Man könnte pathetisch ausrufen: Ein großartiger Kontinent erwacht – endlich.

Was für ein Kontrast zu den USA und Europa: Donald Trump führt sein Land mit hohen Finanzdefiziten von sechs bis sieben Prozent des BIP sowie Wellen des Protektionismus in eine inflationäre Spirale mit Entwertung des Dollar und Verteuerung ausländischer Produkte, eine überaus gefährliche Mixtur aus merkantilistischer Sturheit und ökonomischem Unverstand. Europa wiederum verschuldet sich massiv – offenbar aus einem fehlgeleiteten Glauben an die Allmacht des Staates und die Bedeutungslosigkeit der Interessen künftiger Generationen. Frankreichs Haushaltsdefizit erreicht fast 6 Prozent des BIP, Großbritanniens gut 4,5 Prozent, und die Relation von Schuldenstand zu BIP hat in diesen Ländern längst deutlich die 90-Prozent-Marke überschritten, so wie in den USA. Deutschland hinkt da noch hinterher, aber die Regierung Merz/Klingbeil tut alles, um den Abstand zu verringern. All dies birgt enorme Risiken für die Stabilität der Kapitalmärkte – so wie die Entwicklung vor gut zwei Jahrzehnten im Aufgalopp zur globalen Finanzkrise.

Kurzum: Der globale Norden lebt von seiner Substanz, wobei sich die Frage stellt: Wie lange noch? Und der globale Süden – jedenfalls Argentinien – baut endlich Substanz auf. Man kann dafür objektiv nur Respekt aufbringen, auch wenn Javier Milei kaum eine Gelegenheit auslässt, seinem überzeugenden liberalen Wirtschafts- und Finanzprogramm durch überscharfe populistische Rhetorik die globalen Sympathien zu verscherzen. Aber für ein sachliches Urteil braucht es eben den Blick auf die Substanz der Politik – und nicht nur die Rustikalität der Rede. Und da ist Mileis Bilanz nicht schlecht.

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