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Südkorea
Vor 40 Jahren begann Südkoreas Weg in die Demokratie

Am 18. Mai 1980 erhoben sich die Menschen in der südkoreanischen Stadt Gwangju gegen die jahrzehntelange autoritäre Herrschaft. Das war die Initialzündung für die Transformation des Landes zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Nach tagelangen Massendemonstrationen der Bevölkerung schlug das Militär die Proteste am 18. Mai gewaltsam nieder.
Am 18. Mai begannen in Gwangju Massendemonstrationen gegen das Militärregime. Sie wurden nach neun Tagen gewaltsam beendet. © picture alliance / Yonhap

Auch vier Jahrzehnte nach Beginn des Gwangju-Aufstandes sind viele Fragen ungeklärt und manche Wunden nicht verheilt. Man hat keine wirkliche Klarheit über die Zahl der Opfer. Sogar der Verbleib einiger beteiligten Aktivisten ist ungewiss. 

Perikles‘ Diktum „Freiheit braucht Mut“ ist eine gerade in liberalen Kreisen oft zitierte Einsicht. Diesen Mut stellte vor nunmehr genau 40 Jahren die Bevölkerung der südkoreanischen Stadt Gwangju unter Beweis. Und dass die Unterdrückung von Freiheit mitunter ein besonderes Maß an Feigheit braucht, konnte man damals ebenfalls lernen: Die Beschießung von Zivilisten aus Armeehubschraubern heraus ist schon ein besonders perfides Beispiel für angewandte staatliche Brutalität. Südkorea nähert sich der Wahrheit nun langsam an, doch ist die Situation unbefriedigend, da nicht nur manches Opfer des Massakers unidentifiziert geblieben ist. Genauso bitter ist die Tatsache, dass Verantwortliche für die tödlichen Maschinengewehrsalven bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind. 

Vor diesem Hintergrund hat Präsident Moon Jae-in nun eine Wahrheitsfindungskommission angekündigt. Seit seinem Amtsantritt 2017 hatte der ehemalige Menschen- und Bürgerrechtsanwalt Moon immer wieder betont, wie wichtig es ihm sei, dass endlich die ganze Wahrheit des Gwangju-Massakers ans Licht komme. Bereits im September 2017 hatte das Verteidigungsministerium eine Überprüfung veranlasst, ob von den Militärhubschraubern aus tatsächlich mit Maschinengewehren auf die Demonstranten geschossen worden war. Das Ergebnis war eindeutig: Ja.

Neun Tage, die das Land erschütterten

Gwangju im Mai 1980 war für Südkorea ein Wendepunkt nach mehreren Jahrzehnten autoritärer Herrschaft. Das Land, das in den ersten Jahren nach dem Koreakrieg noch weitgehend zerstört war, stand in der Wiederaufbauphase zunächst wirtschaftlich auf einer Stufe mit dem Sudan und rangierte lange Zeit hinter Nordkorea. Südkorea erreichte in den Folgejahren dann zwar bedeutende Erfolge bei der Schaffung des „Wirtschaftswunders vom Han-Fluß“. Nun aber wuchs auch die Sehnsucht nach demokratischer Teilhabe immer stärker und es gärte im Land. Solcherlei Wünsche erlitten im Dezember 1979 aber einen schweren Rückschlag, als Chun Doo-hwan durch einen Militärputsch an die Macht kam und damit die kurze Amtszeit seines Vorgängers Choi Yu-ha beendete. Zum Präsidenten wurde Chun am 1. September 1980, mehr als drei Monate nach dem Gwangju-Massaker ernannt. 

Der Aufstand des 18. Mai entwickelte sich aus studentischen Protesten gegen die herrschende Militärdiktatur und das Kriegsrecht, mit dem die Junta ihre Macht zu festigen versuchte. Studenten hatten auch die Freilassung des Oppositionspolitikers Kim Dae-jung aus der Haft gefordert, den sie als Führer der Demokratiebewegung betrachteten. Bis Kim Dae-jung 1998 demokratisch gewählter Präsident Südkoreas wurde, sollten von da an noch mehr als anderthalb Jahrzehnte vergehen. 

Nach der gewaltsamen Beendigung der Demonstration am 18. Mai durch das Militär sprangen die Proteste aus dem studentischen Milieu schnell auf Arbeiter und einfache Bürger über, die vor allem die Abneigung gegen das Militärregime einte. Bis zu 200.000 Menschen gingen auf die Straßen des mittlerweile hermetisch abgeriegelten Gwangju und am 20. und 21. Mai gingen die bewaffneten Militärs mit kompromissloser Härte gegen die Bevölkerung vor. Am 27. Mai stürmte die Armee schließlich schwer bewaffnet mit 20.000 Soldaten die Stadt und beendete mit Panzern und Fallschirmjägern den Aufstand. 

Bis heute ist unklar, wie viele Todesopfer und Verletzte diese Niederschlagung forderte – auch darüber soll nun die Wahrheitsfindungskommission Klarheit bringen. Die Zahlenangaben bewegen sich zwischen 170 und über 2.000. Es soll heimliche Erd- und Seebestattungen gegeben haben, deren Umfang sich aber kaum benennen lässt. Fest steht, dass Familien in Gwangju bis heute vermisste Söhne und Ehemänner betrauern, deren Schicksal nie aufgeklärt werden konnte. Die Traumata ihrer Angehörigen können, wenn überhaupt, nur durch Aufklärung eines jeden Vermissten- und Todesfalls überwunden werden.

Die schmerzhafte Suche nach der Wahrheit 

Wie so vieles in Südkorea, hat auch das Gwangju-Massaker jahrzehntelang für Polarisierung gesorgt. Die offizielle Darstellung des Präsidenten Chun Doo-hwan und konservativer Kreise suggerierte, dass die Demokratiebewegung und die Studenten durch nordkoreanische Agitatoren und Agenten infiltriert worden waren und das Regime in Pjöngjang so in Südkorea aufwiegelte, instrumentalisierte und die Fäden zog. 

Kim Dae-jung wurde als Führer der Demokratiebewegung wegen Anstiftung zum Aufruhr zum Tode verurteilt. Unter dem Druck internationaler Proteste wurde das Urteil aber nicht vollstreckt und Kim konnte in die USA ins Exil gehen. 1985 kehrte er nach Korea zurück, wo er zwar unter Hausarrest gestellt wurde, aber den Aufbau der Neuen Demokratischen Partei vorantreiben konnte. Am 18. Dezember 1997 wurde er in demokratischer Wahl zum Präsidenten Südkoreas gewählt. Im Jahr 2000 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. 

Die Wunden des Massakers von Gwangju sind bis heute noch nicht alle verheilt und die Unterschiede in der Sicht auf die Ereignisse des Mai 1980 dauern an. Der damalige Militärmachthaber und spätere Präsident Chun Doo-hwan steht heute im 90. Lebensjahr. Er hat stets bestritten, für den Befehl zum Einsatz jener rigorosen Waffengewalt zur Niederschlagung der Unruhen gegeben zu haben. 1996 wurde er zunächst zum Tode verurteilt. Das Todesurteil wurde später in eine lebenslange Freiheitsstrafe abgemildert. Die Untersuchungskommission wird sich nun sicherlich erneut mit den damaligen Befehlsketten und ihren Verantwortlichen zu befassen haben. 

Der amtierende Präsident Moon Jae-in, der sich als Student ebenfalls in der Demokratiebewegung engagiert hat, stellte zum 40. Jahrestag des Gwangju-Aufstandes klar, dass es ihm in seinem Beharren auf Aufklärung keineswegs um Rache gehe. Vielmehr soll das Finden der Wahrheit den bis heute teilweise erbittert geführten Streit und die Polarisierung in dieser ideologisch hochgradig aufgeladenen Frage überwinden helfen. 

Die Macht der Bilder unterspült die Macht der Diktatur

Dass Bilder von den Unruhen und ihrer Niederschlagung in die Welt gelangen und der Demokratiebewegung internationalen Rückhalt verschaffen konnten, ist zu großen Teilen einem deutschen Fernsehkorrespondenten zu verdanken: Jürgen Hinzpeter, damals Ostasienkorrespondent der ARD in Tokio, war der einzige Journalist, der das Massaker in Gwangju filmen konnte. Er hatte sich auf eigene Verantwortung in das Unruhegebiet begeben und in Gwangju Bilder gemacht, die zur Reportage seines Lebens werden sollten und der internationalen Demokratiebewegung in Südkorea einen wichtigen Schub verliehen. Unter abenteuerlichen Bedingungen schmuggelte er die Bilder aus Südkorea heraus. 

Dem im Januar 2016 verstorbenen Journalisten wurde ein Jahr nach seinem Tod mit A Taxidriver ein Denkmal in Spielfilmform gesetzt, das nach dem koreanischen Kinostart am 2. August 2017 innerhalb von 10 Tagen über sechseinhalb Millionen Besucher in die Lichtspielhäuser zog.

Dr. Christian Taaks ist Projektleiter Korea der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er lebt in Seoul.