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CEPA
EU‑Indonesien‑Freihandelsabkommen: Blaupause für resilienten Handel

Indonesien und die EU schaffen mit ihrem Freihandelsabkommen neue Chancen für Wirtschaft und Nachhaltigkeit.

Indonesien und die EU schaffen mit ihrem Freihandelsabkommen neue Chancen für Wirtschaft und Nachhaltigkeit.

© picture alliance / Anadolu | Dursun Aydemir

Der G-20 Staat Indonesien, Südostasiens größte Volkswirtschaft, und die EU haben ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. Zölle werden weitgehend abgeschafft. Indonesien bietet der EU Zugang zu Rohstoffen, zu einer jungen, technologieaffinen Bevölkerung und zu einem schnell wachsenden Markt. Für Europa ist das Abkommen ein Baustein der IndoPazifikStrategie, es erleichtert Diversifizierung von Lieferketten. Indonesien hat die Chance, seine Industrialisierung an einen HochstandardMarkt anzudocken.

Am 23. September haben Indonesien und die Europäische Union ein umfassendes Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Comprehensive Economic Partnership Agreement, IEU-CEPA) unterzeichnet - ein Meilenstein in den bilateralen Handelsbeziehungen. Die Bedeutung des Vertrags reicht weit über die Regionen der beiden Unterzeichner hinaus. In einer Zeit, in der sich Lieferketten wegen geo- und klimapolitischer Herausforderungen ändern, könnte das Abkommen global die Vorlage dafür bieten, wie aufstrebende und fortgeschrittene Volkswirtschaften z. B. bei Standards für Daten, Nachhaltigkeit und Investitionsschutz in Einklang miteinander gebracht werden können.

Obwohl das IEUCEPA unterzeichnet ist, tritt es nicht sofort in Kraft. Das Abkommen muss noch vom indonesischen Parlament, dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU ratifiziert werden. Anschließend bedarf es detaillierter Aktionspläne und Veränderungen von Regularien, damit das Abkommen ab 2027 vollständig umgesetzt werden kann. Es würde dann Indonesien in höherwertige Industrie und Dienstleistungszweige einbinden und europäischen Unternehmen einen diversifizierten, regelbasierten Zugang im IndoPazifik verschaffen. Es könnte Handel ankurbeln und Investitionen in Industrie und Infrastruktur befördern. In einer umkämpften Weltwirtschaft kann es Handelspartnern helfen, Risiken zu minimieren, statt sich abzukoppeln.

Handelsabkommen stehen selten lange in den Schlagzeilen. Sie werden in fensterlosen Räumen verhandelt, in dichter Prosa verfasst und sind mit Akronymen gespickt. Das IEUCEPA bildet keine Ausnahme. Es war neun Jahre in Arbeit, also ab 2016, als Spannungen über Palmöl und Entwaldungsregeln die Debatten dominierten. Der Prozess gewann an Fahrt, als die Zollpolitik der TrumpAdministration globale Lieferketten aufrüttelte. Beide Seiten beschleunigten das Verhandlungstempo. Was als Streit über Palmöl, BiodieselHandelshemmnisse und die EUEntwaldungsverordnung begann, entwickelte sich zu einer breiteren Verhandlung, die Zollsenkungen mit moderner Infrastruktur kombiniert: Ursprungsregeln, Dienstleistungen, Investitionsschutz und Nachhaltigkeit. Es umfasst den Aufbau von Kapazitäten, damit Unternehmen und Kleinbauern die Vorschriften tatsächlich einhalten können. Auch wenn die Abschaffung der meisten Zölle die größeren Schlagzeilen macht, liegt die eigentliche Bedeutung des Abkommens darin, dass es das Regelwerk für einen reibungsloseren, saubereren und berechenbareren Handel bietet.

Beginnen wir mit dem Einfachen. Es ist vorgesehen, dass die EU mehr als 98 Prozent der indonesischen Zollpositionen zollfrei stellt. Und Indonesien wird Zölle auf rund 80 Prozent der EUZollpositionen abschaffen und den Rest in den kommenden Jahren abbauen. Diese Werte sind hoch, aber typisch für moderne Abkommen. Die Finessen stecken in den Ausnahmen: Indonesien dürfte Schutz für sensible Agrargüter wie Reis und Zucker beibehalten, während die EU voraussichtlich Schutzklauseln für Erzeugnisse wie Rind und Milchprodukte wahrt. Diese Ausnahmen sind kein Verrat an der Sache, sondern das Schmiermittel, das die Zahnräder der Handelsdiplomatie am Laufen hält.

Jenseits der Grenze: Standards, Dienstleistungen und Reibungskosten

Da Zölle weltweit gesunken sind, sind heutzutage andere Hemmnisse, wie z.B.  Standards, Lizenzen oder Datenregeln die Herausforderung. Das IEUCEPA koppelt Zollsenkungen an regulatorische Zusammenarbeit und Öffnungen bei Dienstleistungen. Indonesien bietet deutlich erweiterten Zugang bei Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und Verkehr; während die EU Zugang zu öffentlichen Auftragsvergaben bietet. Das klingt abstrakt – bis man sich ein europäisches Logistikunternehmen vorstellt, dass versucht in einer javanischen Hafenstadt zu arbeiten oder ein indonesisches Ingenieurbüro, das in Europa an einer öffentlichen Ausschreibung teilnimmt. Der Gewinn, in einem rechtssichereren Raum arbeiten, einstellen oder bezahlt werden zu können, ist um ein vielfaches höher als der Gewinn, den man durch einen  Prozentpunkt weniger Zoll haben würde.

Ursprungsregeln sind das Thema, bei dem Theorie und Praxis aufeinanderprallen – und dieses Kapitel bleibt ein zentraler offener Punkt. Ziel ist es, eine flexible Balance zwischen beidem zu finden. Vorschläge sehen vor, dass die meisten Industriegüter einen rund 40 prozentigen regionalen Wertschöpfungsanteil haben können und enthalten sog. Kumulierungsbestimmungen, mit denen Materialien aus anderen ASEANLändern auf den Ursprung eines Produkts angerechnet werden könnten. Einfach gesagt: Ein in Indonesien genähter Schuh aus vietnamesischem Stoff könnte trotzdem für eine Präferenzbehandlung in Frage kommen. Das ist wichtig, weil Lieferketten aus Netzwerken bestehen. Es bedarf Regeln, die sinnvolle Beschaffung zulassen, ohne dabei zu riskieren, Präferenzbehandlungen einzubüßen. Für einen kleinen indonesischen oder einen mittelständischen europäischen Möbelhersteller können einfach zu bearbeitende elektronische Dokumente und Eigenerklärungen – ebenfalls Teil des Vorschlags – darüber entscheiden, ob sie überhaupt exportieren.

Kapital, Gerichte und öffentliche Güter

Investitionen sind der leise Motor des Handels. Das IEUCEPA schlägt vor, die Streitbeilegung besser zu regeln, indem ältere bilaterale Investitionsabkommen Indonesiens durch das ständige Investitionsgerichtssystem der EU ersetzt werden, einschließlich einer Berufungsinstanz. Dieses Modell ist zwar Standard in der EU, stellt jedoch eine erhebliche Veränderung in der Rechtsarchitektur dar. Ziel ist es, die unsichtbare Steuer der Unsicherheit für Langzeitinvestoren zu senken – sei es für ein europäisches Unternehmen, das erwägt eine Fabrik in Zentraljava zu bauen, oder für einen indonesischen Gesundheitsdienstleister, der nach Europa expandieren will.

Das Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung soll Antworten auf Fragen von Skeptikern geben. Es widmet sich eines der umstrittensten Themen der Verhandlungen. Die EU drängt auf verbindliche Zusagen zu Arbeitsrechten, Umweltschutz und Klimaschutz. Dem steht Widerstand in Indonesien gegenüber, wo man fürchtet, solche Klauseln könnten als „grüner Protektionismus“ genutzt werden. Ein zentraler Streitpunkt ist die EUVerordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, die für Rohstoffe wie Palmöl und Kaffee Nachverfolgbarkeit und den Ausschluss jüngster Entwaldung verlangt. Indonesische Produzenten stehen vor erheblichen ComplianceKosten. Der in CEPA angelegte Kompromiss könnte darin bestehen, dass die EU technische Hilfe und Finanzierung bereitstellt, um die erforderlichen Systeme zur Nachverfolgung aufzubauen. Auf diese Weise kann dieser Konfliktpunkt die Chancen zur intensiveren Zusammenarbeit bieten.

Rohstoffe, Beschaffung und geistiges Eigentum: Design statt Dogma

Vorhersehbar war auch, dass das Thema Rohstoffe zu Reibungen führt. Indonesien hat Exportbeschränkungen für Nickelerz erlassen, um die heimische Verarbeitung aufzubauen – eine Politik, die im direkten Konflikt mit dem Bedarf der EU steht, Zugänge zu Rohstoffen zu erhalten. Dieses Thema ist so umstritten, dass es bereits Gegenstand eines WTO-Streitfalls ist, in dem die EU eine erste Entscheidung für sich erwirkt hat, gegen die Indonesien inzwischen Berufung eingelegt hat. Zwar will das CEPA solche Fragen in einen regelgebundenen Rahmen überführen, doch lässt sich ein Konflikt, der bereits vor einer anderen Institution ausgefochten wird, nicht leicht lösen. Vor diesem Hintergrund ist das RohstoffKapitel besonders sensibel.

Die öffentliche Auftragsvergabe wird unterschätzt, ist aber wichtig. Die geplante Öffnung von Teilen staatlicher Beschaffung soll Einsparungen und Qualitätsgewinne bringen. Auch der Schutz des geistigen Eigentums steht auf der Agenda: Die EU legt ihren Schwerpunkt auf geografische Angaben, während Indonesien gesundheitspolitische Schutzklauseln für den Zugang zu Arzneimitteln erhalten möchte. Es sollen dabei strukturierte Dialogforen zu Regulierungen entstehen, die Frühwarnkanäle schaffen, um Spannungen zu lösen, bevor sie eskalieren.

Wachstum, Risiken und der strategische Rahmen

Welche Wachstumsimpulse sind realistisch? Prognosen deuten darauf hin, dass nach Abschluss des Abkommens ein erheblicher Anstieg des bilateralen Handels zu erwarten ist – möglicherweise im Bereich von 15 bis 30 Prozent innerhalb weniger Jahre. Wird das Abkommen ratifiziert, sollte sein Erfolg an nüchternen Fragen gemessen werden: Kann ein indonesischer Mittelständler Gummierzeugnisse leichter in die EU verkaufen? Kann ein europäischer MaritimDienstleister berechenbarer mit indonesischen Lizenzanforderungen umgehen? Erhält ein BatterieWerk in Sulawesi EUInvestitionen, weil es sowohl Ursprung als auch Emissionen dokumentieren kann?

Strategisch passt das Abkommen in die Zeit. Für Europa ist es ein zentraler Baustein der IndoPazifikStrategie und der Diversifizierung von Lieferketten. Für Indonesien eröffnet es die Chance, seine Industrialisierung an einen HochstandardMarkt anzudocken. In einer Welt, in der Geopolitik und Klimapolitik den Handel neu ordnen, kann ein unterzeichnetes Abkommen diese Kräfte in konstruktive Bahnen lenken. Durch Investitionen in alltägliche Dinge – Ausschüsse, Dokumentation und klare Regeln – sowie in hochgesteckte Ziele hat das IEU-CEPA die Chance, für ruhigere Grenzen und besser kalkulierbare Externalitäten zu sorgen. In einer Welt, in der zu oft aus den falschen Gründen Aufregung herrscht, ist das ein wertvolles Ergebnis.

*Poltak Hotradero, langjähriger Ökonom an der Börse Indonesiens (IDX), ist dort derzeit als Business Development Advisor tätig. Er ist ein gefragter Redner zu Indonesiens Kapitalmärkten, Digitalbanking, Handel und ASEANKonnektivität.