Dänemarks EU-Ratspräsidentschaft
Polens Bilanz, Dänemarks Agenda: Ein neuer EU-Ratsvorsitz beginnt

Dänische und EU-Flaggen am dänischen Parlament in Kopenhagen.
© picture alliance / Ritzau Scanpix | Mads Claus RasmussenDie geopolitische Instabilität und Unsicherheit in den transatlantischen Beziehungen bringen Europa in unruhige Gewässer. Während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft wurden mehrere wichtige Strategien zur Stärkung der geopolitischen Handlungsfähigkeit Europas auf den Weg gebracht, die nun umgesetzt werden müssen. Am 1. Juli übernimmt Dänemark in einer kritischen Zeit die Fackel. Die in der zweiten Jahreshälfte beginnenden Haushaltsverhandlungen für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU werden einen Großteil der politischen Diskussionen in Anspruch nehmen.
Sicherheit als Leitmotiv
Polen hatte sich viel vorgenommen – und sich früh festgelegt: „Sicherheit, Europa!“ lautete das Motto. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bestimmte nicht nur die außenpolitische Lage, sondern auch die Agenda in Brüssel. Polen nutzte seine Zeit an der Ratsspitze, um die Verteidigungsfähigkeit der EU in den Mittelpunkt zu rücken. Doch Sicherheit hat für Warschau eine komplexe Bedeutung: Schutz der Binnengrenzen, Energieunabhängigkeit, digitale Resilienz und die Perspektive einer EU-Osterweiterung gehören ebenso dazu. Trotz innenpolitischer Herausforderungen – Stichwort: polnische Präsidentschaftswahlen – und der Übergangsperiode in der EU nach den Wahlen gelang es Polen, die Präsidentschaft mit Engagement und Entschlossenheit anzugehen. Gerade weil viele europäische Prozesse noch in der Neujustierung waren, konnte Polen früh Akzente setzen. Polen hat diese Gelegenheit genutzt.
Europas Verteidigung neu denken
Ein zentrales Ergebnis ist der breite politische Rückhalt für „ReArm Europe“. Dieser ambitionierte Plan zur Modernisierung der europäischen Verteidigungskapazitäten umfasst ein Investitionsvolumen von bis zu 800 Milliarden Euro umfasst. Polen konnte alle Mitgliedstaaten davon überzeugen, den Vorschlag der Europäischen Kommission zu unterstützen. Gleichzeitig drängte Warschau auf mehr finanzielle Spielräume: Künftig sollen neue Verteidigungsausgaben nicht mehr automatisch unter das Defizitverfahren fallen. Von diesem Anliegen profitieren vor allem kleinere Mitgliedstaaten mit knappen Haushalten. Die Kommission folgte dem Vorschlag.
Auch die sogenannte SAFE-Verordnung (Security Action for Europe) wurde durch die polnische Ratspräsidentschaft entscheidend vorangetrieben. Mit einem Volumen von 150 Milliarden Euro soll sie gezielte Aufträge an die europäische Verteidigungsindustrie ermöglichen und bestehende Produktionsengpässe schließen.
Ein Projekt mit besonderer symbolischer und strategischer Bedeutung ist der sogenannte „Schutzschild Ost“, das polnisch-baltische Vorhaben zur Sicherung der EU-Außengrenze. Mit einem Budget von über zwei Milliarden Euro budgetiert und teilweise von EU-Fonds und der Europäischen Investitionsbank kofinanziert (dank Forderungen aus Warschau), wurde es von Europäischem Rat und Parlament als gemeinsamer Beitrag zur europäischen Sicherheit anerkannt. Das Projekt findet sich nun auch im EU-Weißbuch zur Verteidigung – ein politischer Erfolg, der Strahlkraft über die Ratspräsidentschaft hinaus haben dürfte.
Andere Meilensteine der polnischen EU-Ratspräsidentschaft
Auch jenseits der Verteidigung war die polnische Ratspräsidentschaft von sicherheitspolitischen Themen geprägt. So setzte sich Warschau für eine Fortsetzung der Sanktionen gegen Russland ein, was angesichts des Widerstands aus Ungarn und der Slowakei diplomatisches Geschick erforderte. Während das 16. und 17. Sanktionspaket noch verabschiedet wurden, blockierte die Slowakei das 18. – ein Dämpfer kurz vor Ende der Präsidentschaft. Ebenfalls ausgebremst wurde Polens Einsatz für eine Beschleunigung des EU-Beitrittsprozesses der Ukraine. Hier erwies sich erneut das Veto Ungarns als entscheidendes Hindernis. Diese Konflikte gehören nun zum Erbe, das die dänische Ratspräsidentschaft antritt.
Ein bislang tabuisiertes Thema setzte Polen ebenfalls auf die Agenda: die Rückführung illegaler Migranten in ihre Herkunftsländer. Unterstützung kam dabei unter anderem vom neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz.
Neben sicherheitspolitischen Themen machte sich Polen auch um die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der EU verdient. Ein besonderes Anliegen war der Abbau bürokratischer Hürden für Unternehmen. Die EU-Kommission reagierte darauf und veröffentlichte erste „Omnibus“-Pakete zur Vereinfachung gesetzlicher Vorgaben in Bereichen wie Nachhaltigkeit, Berichtspflichten und Investitionen.
Im Rat wurde eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, die sich rasch auf eine sogenannte „Stop-the-Clock“-Regelung einigte. Mit dieser Regelung sollen bestimmte Berichtspflichten vorübergehend ausgesetzt werden, um Unternehmen mehr Luft zum Atmen zu verschaffen. Darüber hinaus wurde das Mehrwertsteuerpaket für das digitale Zeitalter verabschiedet, das steuerliche Prozesse EU-weit vereinfachen und Kosten senken soll.
Solide Bilanz
45.000 Gäste, 22 informelle Treffen der EU-Ministerräte, über 400 Sitzungen im ganzen Land, 37 verabschiedete Rechtsakte und die Aushandlung einer Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten über weitere 18 – so lässt sich die polnische EU-Ratspräsidentschaft in Zahlen zusammenfassen.
Für Polen war es eine Präsidentschaft zur richtigen Zeit: Nach den Europawahlen, in einer Phase der personellen Neuaufstellung, bot sich die Chance, entscheidende Impulse für die kommenden Jahre zu geben.
Nicht alle Ziele der polnischen EU-Ratspräsidentschaft wurden erreicht – das war angesichts der komplexen Gemengelage auch nicht zu erwarten. Doch Polen hat die sechs Monate an der EU-Spitze genutzt, um zentrale Weichen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stellen. Die Agenda war ambitioniert, der Einsatz spürbar, das Ergebnis solide.
Dass sich die NATO-Mitglieder in der Abschlusswoche der polnischen Präsidentschaft auf eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent einigten, ist ein symbolträchtiger Schlusspunkt. Und auch ein indirekter Erfolg polnischer Diplomatie. Dänemark übernimmt nun, mit einem gut gefüllten sicherheitspolitischen Rucksack und der Aufgabe, den eingeschlagenen Kurs weiterzuführen.
Dänemarks EU-Ratspräsidentschaft: Zwischen Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimapolitik
Unter dem Leitmotiv „Ein starkes Europa in einer sich wandelnden Welt“ hat die dänische Präsidentschaft zwei übergeordnete Prioritäten festgelegt: die Gewährleistung eines sicheren Europas und die Förderung eines wettbewerbsfähigen und grünen Europas. Trotz der traditionellen atlantischen Ausrichtung Dänemarks betont die dänische Präsidentschaft, dass die EU ihre eigenen Sicherheitsfähigkeiten ausbauen muss. Dazu gehört die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber komplexen und hybriden Bedrohungen, die Beschleunigung der Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie und die Sicherstellung, dass die EU bis 2030 als unabhängiger Sicherheitsakteur auftreten kann. Ein wichtiger Teil dieser Agenda ist die weitere Unterstützung der Ukraine, die politische, wirtschaftliche, zivile und militärische Hilfe sowie die Stärkung der Zusammenarbeit mit der ukrainischen Verteidigungsindustrie umfasst.
Im Bereich Umwelt wird von Dänemark erwartet, dass es eine Einigung über Klimaziele erzielt. Am 2. Juli wird die Europäische Kommission einen Vorschlag für ein Ziel zur Reduzierung der EU-Emissionen um 90 % bis 2040 gegenüber dem Niveau von 1990 veröffentlichen. Um auf Kurs zu bleiben, um die im Rahmen des Pariser Abkommens der Vereinten Nationen vereinbarten Emissionsreduktionen zu erreichen, muss die EU außerdem rechtzeitig vor der COP30 vom 10. bis zum 21. November in Brasilien ein Ziel für 2035 festlegen, das sich aus dem Ziel für 2040 ableitet.
Eine große Herausforderung für die dänische Präsidentschaft wird es sein, ehrgeizige Umweltpolitik mit Initiativen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden. Ein zentrales Element dieses Balanceakts sind die Omnibus-Gesetzespakete, die insbesondere die Nachhaltigkeitsberichterstattung in den Fokus rücken. Derzeit laufen Verhandlungen im Rat der EU, und die dänische Präsidentschaft wird voraussichtlich auf dieser Dynamik aufbauen und weitere Vorschläge in den Bereichen Chemikalien, Landwirtschaft und nachhaltige Finanzen vorlegen. Der Abbau von Bürokratie wird als Möglichkeit gesehen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken, muss aber sorgfältig mit der Umweltpolitik Europas abgestimmt werden.
Die ab der zweiten Jahreshälfte anstehenden Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Finanzrahmen werden die politische Agenda stark prägen, da es dabei um grundlegende Entscheidungen zur Mittelverteilung und zu den politischen Prioritäten der Union für die kommenden Jahre geht.
Da Dänemark zum achten Mal den Vorsitz innehat, gibt es keinen Zweifel an seiner Fähigkeit, die Verhandlungen zu einem guten Abschluss zu bringen. Die wichtigste Frage ist, ob es die vielen Prioritäten gleichzeitig bewältigen kann. Liberale Politiker werden bei der Umsetzung der Prioritäten der Präsidentschaft eine zentrale Rolle spielen. Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen (Venstre) und Klimaminister Lars Aagaard (Moderate) werden dabei wichtige Positionen in den bevorstehenden Verhandlungen einnehmen. Die derzeitige Dreierkoalition aus Sozialdemokraten, Venstre und Moderaten überbrückt praktisch das politische Spektrum zwischen links und rechts. Dadurch ist sie gut aufgestellt, um politische Differenzen auch auf europäischer Ebene zu überbrücken.