Wirtschaftsstandort Frankreich
Frankreichs Reformkurs: Vorbild für Innovation und Wirtschaftswachstum in Europa
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron besucht die Messe für Technologie-Start-ups und Innovation VivaTech auf der Pariser Expo Porte de Versailles.
© picture alliance / SIPA | Stephane LemoutonFrankreich hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der attraktivsten Standorte für ausländische Direktinvestitionen (FDI) in Europa entwickelt – und das nicht zufällig. Mit gezielten Initiativen hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die Weichen für eine dynamische Gründerszene gestellt und wirtschaftliche Rahmenbedingungen verbessert. Dies könnte auch für Deutschland und die EU interessant sein, um im Wettlauf mit den USA und China wettbewerbsfähig zu bleiben.
Günstige Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen zu schaffen, war eines der ersten Wahlversprechen Emmanuel Macrons bei seinem Amtsantritt 2017. Ein zentraler Vorteil Frankreichs liegt dabei in seiner politischen Steuerungsfähigkeit: Im Präsidialsystem können Arbeitsmarktreformen oder Steueranpassungen schneller und entschiedener durchgesetzt werden, wenn auch die politischen Kosten ungleich größer ausfallen können. Die Öffnung des französischen Arbeitsmarkts durch Macron senkte den Höchstunternehmenssteuersatz bis 2022 auf 25 % und hob Hürden im Arbeitsrecht auf. All dies führte zu einer sichtbaren wirtschaftlichen Vitalisierung: Frankreichs Arbeitslosenquote sank auf ein Niveau, das seit den frühen Achtzigerjahren nicht mehr zu beobachten war (ca. 7,5 %). Auch die Inlandsnachfrage bleibt stabil stark.
Im direkten Vergleich zu Deutschland zeigen sich diese Reformen unmittelbar in Form der Anzahl an unternehmerischen Neuansiedlungen. Laut der Beratungsgesellschaft EY lag deren Anzahl in Frankreich 2024 am höchsten in ganz Europa. Zudem weist das Land heute eine bessere Kostenstruktur auf: Die aktuellen Produktionskosten – begünstigt durch niedrigere Energiekosten dank des Atomstroms sowie schlankere Verwaltungsvorgänge für Gründungen – haben Frankreich zu einem Vorreiter in Sachen Standortpolitik gemacht.
Gezielte Initiativen für eine dynamische Startup-Szene
Ein wichtiger Pfeiler der Strategie für ausländische Direktinvestitionen Frankreichs ist die Förderung der Startup- und High-Tech-Szene. Das French-Tech-Programm vernetzt französische mit internationalen Gründern, unterstützt das Scale-up von Startups durch Mentoring-Programme und erleichtert den internationalen Talenteinstieg durch spezielle Tech-Visa – eine Maßnahme, die qualifizierten Fachkräften (und ihren Partnern) Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen erleichtert. Diese Initiative, wie auch die VivaTech-Konferenz, die im Juni in Paris stattfand, stehen sinnbildlich für Macrons Anspruch, Frankreich zur „Startup-Nation“ umzubauen. VivaTech ist mittlerweile das zentrale Schaufenster für die europäische Innovationslandschaft geworden. Große internationale Player sowie eine Vielzahl junger Unternehmen präsentieren sich dort – ein Magnet für Venture Capital und Kooperationen.
Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen wurden auch durch die großangelegte Investorenkonferenz Choose France mobilisiert, die jährlich im Schloss von Versailles stattfindet und 2025 mit einer Rekordsumme von 20 Milliarden an FDI aufwarten konnte. Dies sei auch auf den ausgeprägten Grad der Internationalisierung der großen französischen Konzerne zurückzuführen, wie der FAZ-Wirtschaftskorrespondent Niklas Záboji im Web-Talk der Friedrich-Naumann-Stiftung erläuterte. Neben den FDI ist aber auch die Finanzierungsstruktur in Frankreich selbst ein entscheidender Faktor, schließlich ist die staatliche Investitionsbank BPI France sehr aktiv in der Förderung des Ökosystems, wie die deutsch-französische Unternehmerin Andrea Vaugan im Web-Talk mit Niklas Záboji hervorhob.
Schließlich ist das France 2030-Programm zu nennen: Mit 54 Mrd. € zur Förderung von Zukunftsindustrien – etwa Wasserstoff, Quantentechnologie, Batteriezellen – positioniert sich Frankreich als klimapolitisch und technologisch führendes Land in Europa. All diese Strategien basieren auf einem klar orchestrierten öffentlich-privaten Kapitalmix, der Großunternehmen wie KMU gleichermaßen adressiert.
Zwar gibt es bekannte französische Startups, die sich zu relevanten Unternehmen aufgeschwungen haben wie Doctolib oder N26, aber diese sind meist im Low-Tech-Bereich angesiedelt und weniger im zukunftsweisenden Deep-Tech-Bereich. Die französische Deep-Tech-Szene mit Unternehmen wie Mistral AI befindet sich zweifelsohne in einer dynamischen Entwicklungsphase, aber damit komplexe technologiegetriebene Gründungen, die auf künstliche Intelligenz zurückgreifen, auch die entscheidende Innovationsschwelle („Sprunginnovation“) überschreiten können, ist noch viel Forschungsarbeit nötig. Zudem ist Mistral AI zwar ein gelungenes Beispiel für eine französische Tech-Gründung, allerdings basieren die Systeme weiterhin zum überwiegenden Teil auf amerikanischer Technologie. Macrons Versprechen von technologischer Souveränität wird damit bislang nur bedingt Rechnung getragen. Eine grundsätzliche Abhängigkeit von den USA bleibt.
Die hohe Verschuldung droht zum Bremsklotz der französischen Wirtschaft zu werden
Trotz dieser nicht von der Hand zu weisenden Erfolge kämpft die französische Politik mit der andauernd hohen Staatsschuldenlast, die mit über 110 % des BIP im Vergleich zu 64 % in Deutschland deutlich höher zu Buche schlägt. Die Rückzahlung der Schulden ist sogar der erste Ausgabenposten mit 50 Milliarden. Daher ist die Herabstufung Frankreichs durch die anerkannten Ratingagenturen Standard & Poor’s und Fitch wenig verwunderlich – ebenso wie das im Juli 2024 von der Europäischen Kommission eingeleitete Defizitverfahren. Die hohe Staatsverschuldung schränkt den fiskalischen Spielraum erheblich ein, bedingt höhere Zinslasten und birgt das Risiko weiterer Herabstufungen. Die EU-Defizitverfahren erzwingen mittelfristig Konsolidierungspläne, die sich gegen Innovationsförderung und Sozialpolitik auswirken können. Nicht zuletzt wächst die Verschuldung weiter, denn viele Reformen und Förderprogramme wurden auf Pump finanziert.
Weitere strukturelle Herausforderungen bestehen
Die regionale Ungleichheit ist ein weiteres strukturelles Problem: Die Île de France trägt beinahe ein Drittel des BIP, während periphere Regionen deutlich abgehängt sind. Daran ändern auch Versuche, Initiativen wie die French Tech dezentral in weiteren Städten Frankreichs zu verankern und so ein lokales Innovationsökosystem zu schaffen, bislang nur wenig. Die Industrie ist zwar etwas stabilisiert worden, liegt aber mit einem Anteil von rund 10,6 % immer noch weit hinter Deutschland mit etwa 19,7 % im Jahr 2024. Auch die langfristige Struktur der Industrie bleibt angespannt: Die Zahl der großen exportfähigen Mittelständler ist zu gering, die Exportabhängigkeit – hauptsächlich aus dem innovativen Sektor – ist ungleich verteilt.
Hinzu kommt nicht zuletzt die angespannte politische Lage: Gerade erst hat Premierminister François Bayrou ein Misstrauensvotum aus dem linken Lager überlebt, das nur wegen des extrem rechten Rassemblement National nicht zum Fall der Regierung führte. Dass die Partei von Marine Le Pen sich aber im Herbst auch anders entscheiden könnte, ist durchaus möglich und damit sind Neuwahlen nicht auszuschließen.
Es ist zu hoffen, dass Frankreich eine weitere Auflösung der Nationalversammlung bis 2027 erspart bleibt, nachdem Deutschland nach einigen Monaten Stillstand nun endlich über eine handlungsfähige Regierung verfügt. Denn die Potenziale der deutsch-französischen Zusammenarbeit in der EU-Standortpolitik sind durchaus vielversprechend.
Potenziale für deutsch-französische Konvergenz und EU-Standortpolitik
So könnte Deutschland von Frankreichs Entschlossenheit zu Reformen und Innovationsförderung lernen, denn mehr Tempo – auch im föderalen System – könnte die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Frankreich wiederum kann vom deutschen Mittelstandsmodell profitieren – insbesondere durch Ausbau exportaffiner KMU-Netzwerke und dem dualen Ausbildungssystem, das stärker nach konkreten Arbeitsmarktbedarfen ausgerichtet ist als das stärker verschulte französische Universitätssystem.
Und auch EU-weit eröffnen sich Chancen im Sinne einer kohärenteren Industriepolitik, in der Frankreichs Fonds für Zukunftstechnologien (Batterien, Wasserstoff) mit Deutschlands Stärke in Industrieexporten verknüpft werden könnten. Dies würde nicht nur den Binnenmarkt stabilisieren, sondern potenziell auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU im globalen Wettlauf sichern.
Hierfür müssen Frankreich, Deutschland und die EU jedoch ihre Hausaufgaben machen. Der Abbau bürokratischer Hürden, eine integrationsfreundliche Politik gegen den Fachkräftemangel (wenn auch noch weniger spürbar in Frankreich als in Deutschland) sowie massive Investitionen in komplexe Technologien, künstliche Intelligenz und zukunftsweisende Industrien sind wichtige konkrete Schritte, die im nächsten deutsch-französischen Ministerrat im Herbst 2025 besprochen werden sollten.
Jeanette Süß ist seit März 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studienkomittee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) des französischen Instituts für internationale Beziehungen (Ifri). Zuvor war sie als European Affairs Managerin beim Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit tätig, wo sie unter anderem die Frankreich-Projekte der Stiftung betreute.