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Walther Rathenau

Zwar konnte Walther Rathenau vor seiner Ermordung 1922 nur ein knappes Jahr als Minister wirken, doch setzte der liberale Politiker, Unternehmer und Publizist in diesen umkämpften Anfangsjahren der Weimarer Demokratie deutliche Signale für eine Friedens- und Verständigungspolitik. Im Mai 1921 wurde Rathenau in der neu gebildeten Koalition der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mit dem Zentrum und den Sozialdemokraten zum Reichsminister für Wiederaufbau berufen. Mit dem Eintritt in die Regierungsverantwortung beendete er seine unternehmerische Tätigkeit, legte alle Ämter in der Wirtschaft nieder und schied auch aus der AEG aus, um die neuen Aufgaben „so unpolitisch zu behandeln wie möglich“ und „nicht beeinflusst von wirtschaftlichen Voreingenommenheiten“. Seine früheren Neuordnungsvorstellungen für die Wirtschaft stellte er zurück, um nicht „in der schweren Not unseres Landes Experimentalpolitik zu treiben“.

Politische Versöhnung und Aufbau der Weltwirtschaft

Die Aufgabe des Wiederaufbauministeriums bestand im Kern darin, die Reparationsleistungen zur Wiederherstellung der durch den Krieg zerstörten Gebiete zu koordinieren. Rathenau war zu der Einsicht gelangt, dass die Last des bedrückenden „Versailler Vertrags“ nicht durch Verweigerung, sondern nur durch Kooperation – durch eine Politik der Verständigung – überwunden werden konnte und dass davon ganz Europa profitieren würde. Geschmäht wurde dies von den Gegnern der Republik als „Erfüllungspolitik“. Im Wiesbadener Abkommen vom Oktober 1921 gelang es Rathenau zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Louis Loucheur, die Zahlungspflicht von Geld- auf Sachleistungen umzustellen, was die deutsche Wirtschaft ankurbelte. Für Rathenau gehörte beides zusammen: die politische Versöhnung vor allem mit Frankreich und der Aufbau der durch den Krieg gestörten Weltwirtschaft. Seine erste Ministerzeit war jedoch nur von kurzer Dauer, denn mit dem Rücktritt der Koalitionsregierung Ende Oktober 1921 verlor auch Rathenau sein Amt. Allerdings stand er dem neuen Kabinett weiterhin beratend zur Seite und leitete die deutsche Delegation auf den nächsten Konferenzen in London, Paris und Cannes.

Ende Januar 1922 erlangte Rathenau dann das höchste politische Amt seiner Karriere: In seiner kurzen Amtszeit als Außenminister von nicht einmal fünf Monaten begründete er eine liberale Tradition der deutschen Außenpolitik. In deren Kern stand für ihn die Annäherung an die westlichen Werte mit dem Ziel einer Bindung an den Westen sowie die gleichzeitige Verständigung mit den Nachbarstaaten. Mit dem außenpolitischen Primat des Gewaltverzichts und der Kooperation trug Rathenau – auf lange Sicht – zur Umorientierung der deutschen und gesamten europäischen Außenpolitik bei.

Gleichberechtigte Partner

Seine Ernennung zum Außenminister geschah mit besonderem Blick auf die im April und Mai 1922 bevorstehende Weltwirtschaftskonferenz in Genua. Für diese setzte man insbesondere auf sein Verhandlungsgeschick und die Anerkennung, die er auch bei den Alliierten genoss, etwa beim britischen Premier David Lloyd George. Rathenau betrachtete die Transformation der Kriegsgesellschaften als eine Aufgabe, die nicht in nationalen Alleingängen, sondern nur im Zusammenspiel der europäischen Mächte zu bewältigen sei. Dazu müssten sich alle Beteiligten als gleichberechtigte Partner anerkennen. Die neben der Konferenz getroffenen Absprachen zwischen Deutschland und Sowjet-Russland, der Vertrag von Rapallo, betrafen die Normalisierung des Verhältnisses beider Staaten und bezogen sich auf die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und des Handelsverkehrs sowie die Klärung der Reparationsfrage. Der in dieser Frage sehr vorsichtige Rathenau intendierte weder Neutralität noch Abkehr vom Westen. Im Gegenteil, der Vertrag, so insistierte er kurz vor der Verabschiedung im Kabinett, dürfe auf keinen Fall dazu führen, „mit den Westmächten in Konflikt zu kommen“.

Die Maximen der Außenpolitik Rathenaus waren Gewaltverzicht, internationale Kooperation und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Letzteres hob er am 19. Mai 1922 – wenige Wochen vor seiner Ermordung durch antisemitische rechtsradikale Verschwörer – in seiner großen Abschlussrede auf der Konferenz hervor: „Dieses Vertrauen kann aber nur wiederkehren, wenn die Welt im wahren Frieden lebt. Wie sollte auch nach einem Zerstörungswerk sondergleichen die Welt geheilt werden, wenn nicht sämtliche Länder der Erde sich dazu entschließen, gemeinschaftlich Abhilfe zu bringen.“