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Europa
Muss Europa eine Republik werden?

European Parliament
artjazz via conva.com

Wie soll die Zukunft der Europäischen Union aussehen? Welche institutionellen Reformen sind notwendig, um die EU demokratischer zu machen? Und wie kann der zunehmenden Spaltung in Europa entgegengewirkt werden? Diesen und weiteren spannenden Fragen widmete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit eine digitale Veranstaltung im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas. Neben Ulrike Guérot, Gründern des „European Democracy Labs“ in Berlin und Professorin für Europapolitik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, diskutierte Wilhelm Knelangen, Professor für Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern.

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Guérot vertritt seit einigen Jahren die These, dass Europa zu einer Republik werden müsse mit Rechtsgleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger. Hinter dieser Vision steht die realpolitische Analyse, dass die Europäische Union von Grund auf falsch gebaut worden sei: als technokratisches „Monster“ der Binnenmarktintegration, in der die politische und soziale Integration nicht vorankomme – und auch nicht vorankommen könne, weil laut Guérot die Mitgliedsstaaten als „Herren der Verträge“ die Herausbildung einer echten europäischen Demokratie verhinderten. Der Politikwissenschaftler Knelangen vertrat im Gegensatz dazu die Meinung, dass eine Politik, die sich das Programm einer europäischen Republik auf die Fahnen schreibt, die Spaltung derzeit eher noch vorantreiben würde.

Ein Europa der Bürgerinnen und Bürger

Die aktuell bereits zu beobachtende zunehmende Spaltung Europas wurde von den Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern ebenso kritisch wahrgenommen, wie auch eine wachsende Distanz zur europäischen Idee. Eine Zuschauerin diagnostizierte gar eine Überforderung der Bevölkerung durch zu viel Größe, Komplexität und Vielfalt. Ein anderer Zuschauer wies darauf hin, dass einige Staaten noch im nationalstaatlichen Werden begriffen seien und die Angst vor Machtverlust gegen ein starkes Europa wirke. Nationale Alleingänge, aber auch eine zunehmende Institutionalisierung auf Seiten der EU, sah Professor Knelangen als distanzierenden Faktor: „Die EU ist der einzige Rahmen, in dem sich demokratische Staaten wechselseitig versprochen haben, dass sie sich nicht egal sind. Alle tragen Sorge füreinander, dass Kollisionen der Interessen gemeinsam zusammengeführt werden. Ich kann mir keinen anderen Rahmen vorstellen im Moment. Nationale Antworten auf einzelne Herausforderungen sind zum Scheitern verurteilt.“

Guérots Ansicht nach gibt es eine Krise der Repräsentation. Damit meint sie, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr von den Regierungen vertreten fühlen würden. Sie betonte: Die EU wurde gegründet als Europa der Bürger, nicht der Nationen. Knelangen warnte davor, Regierungen und Bevölkerung gegeneinander auszuspielen, wenn doch Regierungen demokratisch gewählt seien. So sei der Brexit eine Mehrheitsentscheidung britischer Bürgerinnen und Bürger gewesen – eine pro-europäische Haltung, wie sie Ulrike Guérot erkenne, werde nicht unbedingt im Wahlverhalten abgebildet. Darauf entgegnete Guérot: Im Brexit hätte ein Quorum eingezogen werden müssen und zwar eine Zweidrittelmehrheit für den Austritt, diese war jedoch nicht gegeben.

Institutionelle Reformen für die EU

Um den Prozess hin zu einer Republik Europa zu beschreiten, wäre es laut Guérot notwendig, eine verfassungsrechtliche Grundlage in den europäischen Ländern zu schaffen. Es bedürfe dafür Verfassungsänderungen in den Ländern und der europäischen Verfassung. Professor Knelangen schlug vor, zunächst das repräsentative System in Europa sowie die Parteien zu stärken und parteipolitische Positionen sichtbarer zu machen. Das Europäische Parlament brauche außerdem ein Initiativrecht. Konsensdemokratische Elemente, so Knelangen, müssten bestehen bleiben. Europa sollte als Institution angesehen werden, in der es darum geht, das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu verändern. Guérot ergänzte neben institutionellen Reformen als Treiber für die weitere Europäisierung die Industrie und die Wirtschaft, wie die Einführung des Euro– auf Wunsch von Banken und Wirtschaft – gezeigt habe.

Wie soll sich die EU weiterentwickeln? Dieser Frage stellt sich auch die neue Ampel-Regierung in Deutschland. Im Koalitionsvertrag wird das Ziel genannt, Europa zu einem föderalen europäischen Bundesstaat weiterzuentwickeln, das Parlament zu stärken und ein einheitliches transnationales Wahlrecht mit Spitzenkandidatensystem einzuführen. Guérot begrüßte die Zielsetzung der Koalition, die EU zu einem europäischen Bundesstaat weiterzuentwickeln. Auch Knelangen sieht die zentrale Rolle Deutschlands bei der Entwicklung Europas. Er gab aber zu bedenken, dass das allein nicht ausreiche, weil auch die Partnerländer sich einig sein müssten.

„Europäisierung von unten“ für ein starkes Europa

Die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer entwickelten den Vorschlag einer „Europäisierung von unten“ mit dem Ziel, Europa und den europäischen Zusammenhalt zu stärken. Das erreiche man durch mehr Bürgerbegegnungen, mehr Austausch und einen Fokus auf transnational lebende Bürgerinnen und Bürger, die den europäischen Gedanken bereits leben und weitertragen können. Um der zunehmenden Spaltung innerhalb der EU entgegenzuwirken, müsse die Demokratie gestärkt werden. Diese sei keine Selbstverständlichkeit, sondern viel mehr eine Kultur, die gepflegt werden muss – und zwar beispielsweise durch Bürgerausschüsse, Hausparlamente und grenzüberschreitende Konferenzen, um ein Bewusstsein für transnationale Gemeinsamkeiten zu schaffen.

Transnationales Zusammenleben in Europa

Dass es einige Hürden für ein unkompliziertes transnationales Zusammenleben in Europa gibt – beispielsweise im Familien- und Steuerrecht für binationale Paare – war Konsens unter den Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern. Debattiert wurde in diesem Kontext auch ein europaweit einheitliches Sozialversicherungswesen. Da es dafür auch eine einheitliche Rechtsprechung brauche, wurde die Frage aufgeworfen, wie sich die Rolle nationaler Regierungen gestalten würde. Denn unabhängig von der sozialen Integration würden sie nach wie vor gebraucht. Wie und ob die nationalen Regierungen nach und nach ihre Souveränität an eine europäische Regierung abgeben sollen und ob das die Bürgerinnen und Bürger europaweit wirklich wollen, wurde kritisch und lebhaft diskutiert. 

Ein weiterer Wunsch aus dem Plenum war auch eine einfachere Zusammenarbeit in der Europäischen Union auf Unternehmensebene, beispielsweise durch ein für KMU erreichbares Unternehmensregister. Die technischen Möglichkeiten sollten dafür eingesetzt werden, ein starkes Europa schneller und effizienter umzusetzen und Sprachbarrieren abzubauen. Denn neben Rechtsgleichheit seien auch Digitalisierung und ein europäisches Bahnnetz Wege hin zu einem gemeinsamen Europa.

Konferenz zur Zukunft Europas

Diese Veranstaltung war Teil einer Reihe von Veranstaltungen zur Konferenz zur Zukunft Europas. Die Ergebnisse werden über die EU-Plattform zur EU-Zukunftskonferenz eingereicht und leisten somit einen direkten Beitrag zur partizipativen Gestaltung der Zukunft Europas.