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Invasion der Ukraine
Die Medienlage in Russland

Russia: Reporters gather around Russian President Vladimir Putin
© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Aleksey Nikolskyi/Kremlin Pool

Anfang Dezember 2021 glaubte die Hälfte der vom Levada-Zentrum, einem unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstitut, befragten Russen, dass die Vereinigten Staaten und andere NATO-Länder die Schuld am Ausbruch der neuen Krise in der Ostukraine trügen. Nur 4 % der von Levada befragten Personen waren der Meinung, dass Russland den Konflikt verschärft habe.

Zwei Monate später, Anfang Februar 2022, veröffentlichte das Levada-Zentrum die Ergebnisse einer neuen Umfrage über den Auslöser der Krise. Diesmal nannten mehr als die Hälfte die Vereinigten Staaten von Amerika, 15 % die Ukraine, Russland hingegen wurde nur von 3-4% der Russen genannt.

Anfang Februar, zum Zeitpunkt der zweiten Umfrage, führten die westlichen Regierungen monatelang eine sehr aktive Informationskampagne durch. In dieser hoben sie fast täglich die aggressive Haltung Russlands hervor und legten die wachsende Präsenz russischer Truppen an den ukrainischen Grenzen offen. Die Kampagne hatte einen zuvor ungekannten Umfang und eine noch nie dagewesene Reichweite.

Allein, die westliche Kampagne hatte keinerlei Auswirkungen auf die öffentliche Meinung in Russland zeigen wie die Levada-Umfragen zeigen. Der mögliche Krieg hat auch keinen intensiven Diskurs in der russischen Gesellschaft angeregt.

Das war vor sieben Jahren nicht so, als das Land in den ersten militärischen Konflikt mit der Ukraine rutschte. Damals, im Jahr 2014, glich die russische Gesellschaft einem irritierten Bienenstock - die Eliten waren gespalten, zunächst wegen der Maidan-Revolution und später wegen der Krim-Frage. Die Bürger lieferten sich hitzige Debatten auf Facebook und Twitter. Die Debatte beschränkte sich damals aber nicht nur auf das Netz. Im September 2014 gingen in Moskau Zehntausende liberal gesinnter Bürger auf die Straße, um an einer Demonstration gegen den Krieg teilzunehmen. Die liberalen Medien des Landes berichteten ausführlich über die Proteste und trugen somit zur Debatte in der Gesellschaft bei. Im Februar dieses Jahres gingen nur neun mutige Menschen in das Zentrum Moskaus, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren, und wurden allesamt prompt festgenommen.

Einer der Gründe, warum sich die Meinung der russischen Bevölkerung über die Situation in der Ukraine als so starr erwiesen hat, ist die energische Medienkampagne des Kremls – sowohl in den traditionellen und sozialen Medien Russlands. Diese wurde durch die russischen Behörden nach der Maidan-Revolution bzw. der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine gestartet.

In den Jahren 2014-2015 berichteten alle drei liberalen Moskauer Mainstream-Tageszeitungen - Kommersant, RBC, Vedomosti - ausführlich über die Ereignisse in der Ukraine. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Seit 2014 haben diese Medien aufgrund des Drucks des Kremls eine ständige Abwanderung von Journalisten erlebt, was sich auch auf ihre Berichterstattung in die Ukraine ausgewirkt hat.

TV Dozhd, der einzige kremlkritische russische Fernsehsender, stand seit Januar 2014 unter Druck und wurde kurz darauf aus den Kabelnetzen des Landes geworfen. Dennoch, die Journalisten des Senders waren auf der Krim und später in der Ostukraine vor Ort. Nun wurde es aber schwieriger: 2017 verbot die Ukraine die Sendungen von TV Dozhd. Im August 2021 wurde TV Dozhd von der russischen Zensur als ausländische Agentur klassifiziert - diese Einstufung, besiegelt letztlich den Abwärtstrend.

Infolgedessen gibt es nur noch eine einzige Zeitung, in der man eine ehrliche Berichterstattung über die Ereignisse in der Ostukraine finden kann und die für Russen noch als gedruckte Ausgabe erhältlich ist. Die Novaya gazeta - mit einer Auflage von etwa 100.000 Exemplaren (2015 waren es mehr als 200.000 Exemplare).

Das beliebteste Online-Medium im Jahr 2014 war Lenta.ru. Es stand dem Kreml kritisch gegenüber und berichtete ausführlich über die Annexion der Krim. Allerdings wurde es im März 2014, auf Anweisung des Kremls, von seinen Eigentümern gelöscht. Die Journalisten von Lenta zogen nach Riga, wo sie Meduza gründeten. Meduza ist nach wie vor das beliebteste Online-Medium auf Russisch und in Russland. Unlängst wurde Meduza aber, seitens der russischen Behörden, als ausländische Agentur eingestuft und sah sich daraufhin mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. In der Folge verließen viele Mitarbeiter das Portal. Jetzt hat Meduza nur noch begrenzte Ressourcen, um Reporter in die Ukraine zu schicken.

Andere Online-Medien, die früher über die Geschehnisse in der Ukraine berichteten, beschränken sich heute auf die Veröffentlichung von Kurznachrichten und kurzen Kommentaren. Das liegt zum Teil daran, dass es für russische Journalisten in den letzten sieben Jahren schwieriger geworden ist, die Ukraine zu besuchen. So wird beispielsweise jedem, der auf der Krim war, die Einreise in die Ukraine verweigert. Aber auch die Selbstzensur spielt eine Rolle – schnell verliert man als Journalist in Moskau seinen Job oder wird von den Behörden drangsaliert.

Die russischen Behörden engen auch bewusst den Raum für öffentliche Debatten über die Ukraine ein - sowohl in der realen Welt als auch im Netz.

Offline wurde es sehr schwierig sich in Russland zur Ukraine zu äußern. Im Oktober 2021 wurde das Büro des Menschenrechtszentrums Memorial in Moskau während einer öffentlichen Veranstaltung, auf der der ukrainische Film über den Holodomor gezeigt wurde, von kremlfreundlichen Aktivisten angegriffen. Die Polizei rückte an - doch anstatt die Schläger festzunehmen, beendeten die Polizisten die Veranstaltung.  Bald darauf wurde das Memorial selbst von den Behörden verboten und aufgelöst.

Dass der FSB unmittelbar nach der Annexion der Krim eine Jagd auf ukrainische Spione eröffnete, war dem allgemeinen Sicherheitsempfinden und der Meinungsfreiheit sicher auch nicht zuträglich. Seitdem hat der ukrainische Spionagewahn nur noch zugenommen und im ganzen Land - auch auf der Krim - Opfer gefordert. Offen über die Lage auf der Krim zu sprechen ist dadurch unmöglich geworden. Viele Einheimische haben zu viel Angst, um mit Journalisten zu sprechen. Und dem russischen Publikum ist weitgehend unbekannt, wie sich seit der Annexion die Bedingungen auf der Krim verändert haben. Die Menschen in der Ostukraine, die von kremlnahen Kräften kontrolliert werden, sind auch nicht in der Lage das Regime, unter dem sie seit 2014 leben, offen zu kritisieren.

Die Ereignisse in der Ukraine veranlassten die russischen Zensoren, die Online-Medien des Landes schon vor Beginn der Feindseligkeiten anzugreifen: Im März 2014, drei Tage vor dem "Krim-Annexionsreferendum", blockierte die russische Internetzensurbehörde Roskomnadsor drei unabhängige oppositionelle Nachrichtenmedien - Kasparow.ru, Ej.ru und Grani.ru. Bei den drei gesperrten Websites handelte es sich um beliebte liberale Plattformen die kremlkritischen Intellektuellen, Journalisten und Aktivisten ein Forum boten. Die Seiten nach wie vor gesperrt. 

VK, das beliebteste soziale Medium des Landes, wechselte den Besitzer.  Der Grund: Sein Eigentümer hatte sich geweigert persönliche Daten der Demonstranten auf dem Maidan in Kiew an die russischen Sicherheitsdienste weiterzugeben. Seitdem arbeitet VK, das nun vollständig unter der Kontrolle des Kremls steht, eng mit den russischen Sicherheitsdiensten zusammen. Nun werden Hunderte von Bloggern die durch Kreml-Kritik aufgefallen waren unterdrückt. So wurde es immer schwieriger und geradezu gefährlich, auf VK eine Diskussion über die Ukraine zu führen. Ebenso unmöglich wurde es, die Sichtweise der Ukraine zu hören, da die ukrainische Regierung im Mai 2017 die Nutzung von VK in der Ukraine verboten hat. Auch dieses Verbot besteht bis heute.

Im Laufe von acht Jahren haben sich die Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern immer mehr entfremdet. Gewöhnliche Russen wissen immer weniger darüber, was in der Ukraine vor sich geht. Und in all diesen Jahren hat das russische Fernsehen unablässig anti-ukrainische und anti-westliche Propaganda ausgestrahlt.

Die wachsende Entfremdung ist das Ergebnis konsequenter Propaganda und Zensur kritischer Medien. Daher versteht die russische Öffentlichkeit nach und nach weniger von den Vorgängen in der Ukraine. Das erklärt auch, warum nie ein vollständiges Verbot unabhängiger russischer neuer Medien sowie ausländischer Medien eingeführt wurde. Diese Informationen sind immer noch für alle Interessenten verfügbar – Allein den meisten Russen mangelt es an Interesse. Das allgemeine Gefühl der Müdigkeit und die weit verbreitete Abneigung gegen den Westen lähmt.