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Myanmar
„Diese Wahlen werden nicht frei und fair sein“

Myanmar Election

People's Party Election Billboard in Myanmar 2025

© Friedrich Naumann Foundation for Freedom

Myanmar steht seit Februar 2021 unter Militärherrschaft. Nun organisiert die Junta Wahlen, die von vielen internationalen Beobachtern als Farce bezeichnetwerden. Wenige Wochen vor den Wahlen interviewte die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zwei Politiker in Yangon, Myanmar. Beide sind Demokraten.Einer von ihnen tritt bei der bevorstehenden Wahl als Kandidat an. Er glaubt, dass sie wenigstens in Ansätzen wieder zivile Politik ermöglichen wird. Der andere Politiker hat bei vergangenen Wahlen kandidiert, wird dieses Mal aber nicht antreten. Er hat kein Vertrauen in den Wahlprozess. Beide bleiben anonym, wir nennen sie NT und T – Nicht-Teilnehmer und Teilnehmer. Warum schlagen sie so unterschiedliche Wege ein?

NT, warum kandidieren Sie bei der Wahl nicht?

NT: Ich habe seit 2015 an zwei Wahlen teilgenommen. Dieses Jahr kandidiere ich aus drei Gründen nicht. Erstens vertraue ich der Wahlkommission nicht, insbesondere auf Wahlkreisebene. Viele wichtige Verfahren hängen von einzelnen Beamten ab, und ich glaube nicht, dass die Auszählung der Stimmen sauber sein wird. Zweitens vertraue ich der derzeitigen Führung, die den Prozess überwacht, nicht. Im Vergleich zu der Wahl 2010 unter Than Shwe finde ich die heutige Führung weitaus unberechenbarer. Diese Unberechenbarkeit bedroht meine persönliche Sicherheit. Drittens denke ich über meine langfristige politische Glaubwürdigkeit nach. Ich habe mir einen Ruf als ethischer Politiker aufgebaut. Die Teilnahme an einer Wahl, die viele meiner Anhänger als illegitim ansehen, könnte meinem Ansehen schaden. Das ist nicht das Ende meiner politischen Karriere, sondern nur eine Pause.

T, warum nehmen Sie an der Wahl teil?

T: Ich möchte den schrumpfenden politischen Raum in Myanmar erweitern. Dazu brauchen wir Politiker im Parlament. Ich bin mir bewusst, dass diese Wahl keine vollständige Veränderung bringen wird, aber sie kann eine minimale Plattform für die zivile Politik schaffen. Wenn ich in Dörfer reise, sehe ich viele Bezirks- und Dorfvorsteher, die eng mit dem Militär verbunden sind. Korruption und Einschüchterung sind weit verbreitet. Seit 2021 habe ich niemanden gesehen, der sich für dieeinfachen Leute einsetzt. Diese Menschen haben niemanden, auf den sie sich verlassen können. Ich möchte diese Menschen vertreten und mich für sie einsetzen. Deshalb habe ich mich entschlossen, bei der Wahl anzutreten.

Glauben Sie, dass Ihre Ablehnung der Wahl eine allgemeine Stimmung im Land widerspiegelt?

NT: Meine Haltung wird vor allem von urbanen, gebildeten und berufstätigen Bevölkerungsgruppen geteilt, insbesondere in Städten wie Yangon und Mandalay. In den meisten abgelegenen Gebieten spiegelt meine Entscheidung nicht die allgemeine Stimmung wider. Die Einstellung der Menschen dort hängt weitgehend von den lokalen Autoritäten oder den regierenden Behörden ab. In vielen Teilen Myanmars, insbesondere in ländlichen Gebieten, neigen die Menschen dazu, den Anweisungen oder dem Druck der lokalen Machthaber zu folgen. Dies unterscheidet sich stark von der städtischen Bevölkerung, die individualistischer ist und Entscheidungen eher aus eigener Überzeugung als aufgrund von Druck trifft. 

Wie sehen die Menschen angesichts der anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen auf dem Land die Wahlen?

T: Nur in manchen Dörfern wird es Wahllokale geben, während in anderen keine Wahl stattfinden wird. Viele Dorfbewohner glauben nicht an die Wahl oder daran, dass daraus eine echte Volksvertretung hervorgehen kann. Tatsächlich haben viele Menschen in Konfliktgebieten nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken, ob Wahlen von Vorteil sind. Ihre tägliche Sorge ums Überleben überschattet politische Überlegungen. Oft mangelt es ihnen an Vertrauen in die Kandidaten und sie sehen kein Potenzial für Verbesserungen.

Was sind die größten Herausforderungen für Kandidaten und Wähler?

T: Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit. Eine Kandidatur ist gefährlich. In einigen Gebieten wurden Kandidaten von bewaffneten Oppositions-Gruppen festgenommen, in anderen wurden Helfer, die über die Wahl informierten,inhaftiert.

NT: Selbst dort, wo Wahlen stattfinden, können große Teile der Bevölkerung nicht daran teilnehmen. Das Militär hat große Teile des Landes nicht unter Kontrolle und kann keine sicheren Wahllokale einrichten. InMonywa beispielsweise herrschen in der Stadt selbst und den umliegenden Dörfern sehr unterschiedliche Sicherheitslagen. Während in der Stadt Monywa Wahlen stattfinden können, können die Bewohner der umliegenden Dörfer nicht in die Stadt reisen, um zu wählen. Ihnen wurde von bewaffneten Wahl-Gegnern gedroht, sie würden erschossen, sollten sie esversuchen. Darüber hinaus gibt es in den von anhaltenden Konflikten betroffenen Dörfern nicht genügend Informationen, um beurteilen zu können, ob die Bewohner an der Wahl interessiert sind oder wie sie den Prozess und mögliche Ergebnisse sehen. Viele Menschen wissen nicht, wer die Kandidaten sind, wo sich die Wahllokale befinden oder wann die Wahlstattfindet.

Wurden Sie unter Druck gesetzt, an der Wahl teilzunehmen?

T: Nein. Tatsächlich wurde ich unter Druck gesetzt, nicht teilzunehmen. Unsere Partei wurde von den Behörden verboten, weil sie sie als Bedrohung für ihre Gewinnchancen ansahen. Trotzdem habe ich mich entschlossen, als unabhängiger Kandidat anzutreten, um zu zeigen, dass sie uns nicht politisch auslöschen können. Seit Jahren beschränkt sich die politische Diskussion auf Teestuben, was niemandem nützt. Wenn wir im Parlament vertreten sind und legal über Politik debattieren können, wäre die Wirkung viel größer. Überparlamentarische Arbeit können wir den politischen Raum erweitern, die Menschen wirklich vertreten, die Bürger für Lösungen mobilisieren und jüngeren Generationen helfen, demokratische Verfahren zu verstehen. Das ist gerade jetzt besonders wichtig, da junge Menschen sehen müssen, wie sehr das Militärden vermeintlichen Übergang zur Demokratiemanipuliert hat. Sie müssen lernen, wie sie die Demokratie zurückgewinnen können. Manchmal erfordert politisches Engagement, dass man mit seinen Gegnern zusammenarbeitet.

Werden die Wahlen frei und fair sein?

NT: Nein.

T: Nein.

NT: Es herrscht ein tiefes Misstrauen gegenüber denjenigen, die die Wahlergebnisse präsentieren.Außerdem ist der Wahlkampf stark eingeschränkt. Diese Faktoren machen die Wahl weder frei noch fair. Das Ergebnis wird davon abhängen, wer wählt. Wenn nur Anhänger des Militärs wählen, wird die Militärpartei gewinnen. 

T: Die Beteiligung der Wähler findet innerhalb einesstark kontrollierten Status quo statt. Das Militär wird die Ergebnisse nach seinen Vorstellungen gestalten und Kandidaten zahlreiche Hindernisse in den Weg legen. Die Regeln für die Registrierung von Parteien sind komplex, unklar und werden selektiv durchgesetzt. Selbst ein gewonnener Sitz ist keine Garantie, da die Ergebnisse später durch Vorschriften für ungültig erklärt werden können. Der Wahlkampf unterliegt in der Tat starken Einschränkungen. Wir können uns in der Öffentlichkeit nicht frei äußern. Wir sind auf bestimmte Orte wie Fußballplätze beschränkt, wo nur wenige Menschen hingehen. Die Verfahren für die vorzeitige Stimmabgabe sind fragwürdig, die Wähleraufklärung ist mangelhaft und die Wahlhelfer sind schlecht ausgebildet. Verschiedene Gemeinden setzen unterschiedliche Regeln durch, was oft Kandidaten benachteiligt, die bei den Behörden nicht beliebt sind. Insgesamt ist das System darauf ausgelegt, das Ergebnis zu kontrollieren.

Viele internationale Beobachter und Exilgruppen haben die Wahl als Farce bezeichnet. Wie sehen Sie solche Aussagen?

T: Das ist schwer zu sagen. Internationale Akteure und Exilgruppen haben ihre eigenen Maßstäbe für die Bewertung der Wahlen. Der Prozess entspricht nicht ihren Normen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum sie ihn ablehnen. Im Inland haben wir jedoch keine Alternative. Wenn wir eine hätten, würden wir sie nutzen. Internationale Akteure haben ihreAußenperspektive, sie können uns weder politisch noch militärisch schützen und auch keine Veränderungen herbeiführen. Unsere lokale Politik muss neue Plattformen für Veränderungen schaffen. Angesichts unserer begrenzten Möglichkeiten ist die Teilnahme an den Wahlen eine Möglichkeit, den Einfluss des Militärszu verkleinern und den politischen Raum zu vergrößern. Dies könnte ein Schritt in Richtung einer umfassenderen Transformation sein. 

NT: Ich stimme zu, dass wir in Myanmar nur sehr wenige Optionen haben. Eine anhaltende, vollständige Machtübernahme durch das Militär wäre katastrophal. Den laufenden Verhandlungen fehlt es an politischem Willen. Die Wahlen könnten diese Stagnation durchbrechen. Obwohl ich nicht teilnehme, halte ich Wahlen dennoch für eine bessere Option als einen anhaltenden militärischen Konflikt. Ihre Auswirkungen hängen davon ab, wer daran teilnimmt und wie sich der Prozess entwickelt.

Sie haben bereits mehrere politische Veränderungen erlebt. Wie lässt sich diese Wahl mit früheren vergleichen?

T: Die Ausgangslagen in den Wahljahren 2010, 2015 und 2025 unterscheiden sich stark. Früher gab es weniger Konflikte und keinen groß angelegten bewaffneten Widerstand wie heute. Jetzt sind bewaffnete Konflikte weit verbreitet, und die neue Regierung nach der Wahl wird vor enormen Herausforderungen stehen. Wenn die neue Regierungdas Land nicht irgendwie stabilisieren kann, ist ein weiterer Staatsstreich möglich. Eine sinnvolle parlamentarische Beteiligung ist für jede positive Veränderung unerlässlich.

NT: Nach der Wahl muss die neue Regierung effektiv regieren, auch wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung begrenzt sein wird. Im Jahr 2010 standen wirtschaftliche Verbesserungen an erster Stelle, gefolgt von politischen Reformen. Im Jahr 2025 erschweren Fragmentierung und bewaffnete Konflikte Fortschrittsbemühungenerheblich. Eine neue Regierung sollte eine neue Verteilung der Macht anstreben. Hoffentlich gibt es politischen Willen dazu. Das Parlament könnte zu einer Plattform für Diskussionen über Föderalismus und für Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen werden. Letztendlich hängt es von der Bereitschaft der neuen Regierung ab.

Welcher Weg bietet die besten Chancen, die Gewalt zu reduzieren und eine politische Lösung zu erreichen?

T: Verhandlungen sind der einzige gangbare Weg. Alle Beteiligten müssen die Interessen der Bevölkerung über politische Dominanz stellen. Das wäre der Ausweg für Myanmar.

NT: Ich stimme zu. Verhandlungen erfordern, dass eine Seite den Dialog initiiert. Militärische Gewalt ist nur ein Mittel, keine Lösung. Echte Verhandlungen erfordern Kompromisse. Hoffentlich können eine gewählte Regierung und ein gewähltes Parlament alle Beteiligten an einen Tisch bringen.