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Krieg in Europa
Der Weltagrarmarkt in Zeiten des Krieges

Feld

Blick auf ein Feld in der Region Donezk in der Ukraine

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picture alliance / AA | Leon Klein

Sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den wichtigsten Agrarexporteuren der Welt. Der Überfall Russlands auf seinen Nachbarn erzwingt nun eine Anpassung des globalen Agrargüterverkehrs. Das russische Angebot fällt teils sanktionsbedingt, teils auch aufgrund eines russischen Getreideexportverbotes für den Weltmarkt aus. Denn während die Ausfuhr von Getreiden wie Weizen, Gerste und Roggen von Russland gestoppt wurde, verhindern die westlichen Sanktionen den Import von Düngemitteln und erschweren gleichzeitig den Import von anderen Agrarprodukten.

Exportmarkt Agrarprodukte Ukraine

Die Ukraine ist einer der wichtigsten Agrarexporteure der Welt

Eigene Darstellung; Quelle: Foreign Agricultural Service (US-Agrarministerium)

Die Ukraine ihrerseits ist durch die kriegerischen Auseinandersetzungen und die Zerstörung der Infrastruktur ohnehin schon schwer getroffen. Hinzu kommt nun die zunehmende Knappheit von Düngemitteln und Kraftstoff, weshalb die Ukraine ihre Exporte kaum aufrechterhalten können wird. Der völkerrechtswidrige Angriff hat zudem zu einer massiven Flüchtlingsbewegung geführt. Gleichzeitig wurden in der Ukraine alle Männer im wehrfähigen Alter für die Landesverteidigung mobilisiert. Beide Entwicklungen haben gravierende Konsequenzen für die Verfügbarkeit von Personal in den landwirtschaftlichen Betrieben. Das Ergebnis ist klar: Die Ukraine und Russland werden in diesem und wohl auch im nächsten Jahr weniger Agrargüter exportieren. Dies wird das Angebot auf dem Weltmarkt verringern.

Die europäische Versorgung mit essenziellen Lebensmitteln ist trotzdem nicht gefährdet. Beispielsweise bei Weizen und Gerste ist die EU weitestgehend autark. Anders ist die Situation beim Mais. Dieser wird von den europäischen Viehzüchtern dringend als Futtermittel benötigt und wurde in der Vergangenheit häufig aus der Ukraine und Russland bezogen. Besonders beim Futtermais haben Importe aus der Ukraine zuletzt rund 20 Prozent des benötigten Volumens ausgemacht. Der zu erwartende Ausfall dieser Importe führte bereits zu Beginn des Krieges zu Allzeithochs an den europäischen Agrarbörsen. Aber auch andere Getreide sind betroffen. So ist beispielsweise seit Beginn des Krieges der Importpreis für Weizen um über 50 % gestiegen. Diese Preisentwicklungen schlagen sich auch auf die Lebensmittelpreise nieder. Das Ergebnis spüren die Verbraucherinnen und Verbraucher schon jetzt im Portemonnaie.

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Im Laufe der vergangenen zwei Jahre haben sich die Weizenpreise auf dem Weltmarkt mehr als verdoppelt

© Quelle: World Bank

Wie sich die Handelsströme zwischen der EU und der Ukraine während des Krieges entwickeln werden, ist ungewiss – auch in Sachen Agrarprodukten. Klar ist nur, dass die europäischen Agrarbehörden und landwirtschaftlichen Betriebe bereits jetzt auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren.

So wird auf europäischer Ebene erstmals die Nutzung der Krisenreserve diskutiert. Diese würde den Mitgliedsländern ein zusätzliches Budget in Höhe von 472 Mio. Euro zur Förderung ihrer Landwirtinnen und Landwirte zur Verfügung stellen. Das Ziel dieser Reserve ist es, die europäischen Landwirte in Krisenzeiten, also bei Dürren oder ähnlichen Extremwetterereignissen, zusätzlich unterstützen zu können. Sie wird durch Rücklagen aus den Agrarbudgets des Vorjahres gespeist und bedeutet daher keine zusätzliche Belastung für den Planungsstand des europäischen Agrarbudgets. Die zusätzlichen Mittel sollen nun den Preisanstieg für Futter, Düngemittel und Kraftstoff abdämpfen. Weiterhin möchte die EU den Mitgliedsstaaten gewisse außerordentliche finanzielle Förderungen ihrer Landwirte freistellen. In Deutschland wird man diese Möglichkeit vollumfänglich nutzen und zusätzlich zu den 60 Mio. aus der europäischen Krisenreserve 120 Mio. Euro aus dem deutschen Haushalt beisteuern.

Gleichzeitig schafft diese neue Situation nun Anreize, den Landwirtschaftssektor grundlegend zu modernisieren. Technologien wie drohnengestützte Düngung, modernste Saaten und automatisierte Maschinen könnten zukünftig die europäische Landwirtschaft noch effizienter gestalten. Das wird auch nötig sein, um die ohnehin wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und auf die Veränderungen im Klima reagieren zu können. Perspektivisch könnten somit schon die kommenden Ernten höher ausfallen und damit die Versorgungsengpässe in anderen Ecken der Welt mildern. Es gilt zu hoffen, dass die zusätzlichen Mittel zumindest anteilig auch für Investitionen in derartige Zukunftstechnologien verwendet werden. Zusätzlich hat die Kommission die ukrainischen Landwirtinnen und Landwirte mit Diesel und Saatgut unterstützt. Das hat bei den notwendigsten Arbeiten geholfen und zumindest im Westen der Ukraine besteht die Hoffnung auf eine gute Ernte.

Auch bei dem heute begonnenen G7-Agrargipfel werden die Landwirtschaftsminister der G7-Länder die Situation in der Ukraine und deren Auswirkung auf die Weltmärkte diskutieren. Eine Kernfrage der Gespräche werden wohl auch die erschwerten Bedingungen eines Exportes ukrainischer Agrargüter sein. Angesichts der zerstörten, verminten, blockierten oder besetzten ukrainischen Hafeninfrastruktur scheint im Augenblick eine Ausfuhr über den Seeweg ausgeschlossen. Daher werden die Minister im Rahmen der Konferenz intensiv die Optionen einer landgestützten Transportinfrastruktur über Eisenbahn und LKWs erörtern. Denn wie beschrieben hängt an der ukrainischen Landwirtschaft nicht nur die ukrainische Bevölkerung, sondern eben auch viele Verbraucher in Nordafrika und Asien.

Fest steht: Die Nahrungsmittelversorgung in Europa scheint gesichert – aber anderenorts ist das längst nicht der Fall. Daher ist es aus Sicht von Europa nicht nur im wirtschaftlichen, sondern eben auch humanitären Interesse soweit möglich, auch Drittländer zu bedienen. Denn während die europäischen Märkte für Lebensmittel weitestgehend autark und souverän aufgestellt sind, ist die Lage in manchen Ländern des globalen Südens prekär. Insbesondere den ehemaligen Hauptabnehmern ukrainischer Agrarprodukte droht nun eine akute Lebensmittelknappheit. Globale Solidarität ist daher gefragt.