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USA
Biden, Truman und die deutsch-amerikanische Beziehung

Vorschlag eines Neubelebens
Biden unsch Scholz

US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen während eines außerordentlichen NATO-Gipfels im NATO-Hauptquartier am 24. März 2022

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Kappeler

Anfang des Jahres hat ein prominenter deutscher Publizist geschrieben: „Wer unsere freiheitliche Lebensform in einer Zeit des Umbruchs sichern will, sollte alles tun, um das Bündnis mit Amerika neu zu beleben“. Tatsächlich hat die breite Akzeptanz der traditionellen deutsch-amerikanischen Partnerschaft, die den Frieden in Europa für ein halbes Jahrhundert garantierte, auf beiden Seiten des Atlantiks nach der Jahrtausendwende mit seinem Glauben an „das Ende der Geschichte“ (Fukuyama - 1989) mehr und mehr abgenommen.

Die wirtschaftlichen Interessen beider Regierungen - unter Bush II/Obama/Trump sowie gleichzeitig unter Merkel/Steinmeier - haben sich zunehmend zum Osten orientiert, offensichtlich in dem Glauben an „Umwandlung durch Einkaufen“. Die USA hat ihre traditionelle Mittelstandsindustrie mit ihren vielen Arbeitsplätzen durch zwei Dekaden von billigen China-Importen stark angeschlagen, während die Bundesrepublik Deutschland sich im selben Zeitraum durch immer steigende Energielieferungen aus Russland in die katastrophalen geopolitischen Zustände von heute manövriert hat. Das Ergebnis davon ist die kriminelle, unmenschliche Putin-Aggression gegen die Ukraine, unterstützt und gutgeheißen von Peking.

Kurz nach seiner Amtseinführung in Washington proklamierte Joe Biden: „Die USA sind zurück auf der Weltbühne.“ Europa sowie die traditionellen deutsch-amerikanischen Beziehungsbefürworter, sagten: „Gut - aber warten wir erst ab.“  Die gewünschten Beweise kamen mit Gewalt nach dem 24. Februar 2022 mit Bidens Europabesuchen und seinen Versprechen, die Freiheit und die liberale Weltordnung in Europa zu verteidigen. “Wir stehen euch bei. Punkt.“

Bidens Worte verdienen und verlangen eine Antwort aus Deutschland – von ihren politischen, industriellen und kulturellen Führungskräften und Meinungsmachern. Bei der angekündigten gemeinsamen Neuverstärkung der NATO mit den USA gibt es Chancen, auch dessen Zwilling, die deutsch-amerikanische Beziehung, ebenfalls neu zu beleben. Das Jahr 1948 – US-Präsident Harry S. Trumans „Year of Decisions“ - jährt sich nächstes Jahr zum 75. Mal. Hier ergäbe sich eine gute Gelegenheit, das Jahr 1948 als Ursprung der transatlantischen Partnerschaft wieder aufleben zu lassen:                             

„2023 – 1948: 75 Jahre – aus Besatzern wurden Partner“

              Ereignisse des Jahres 1948:

  • Trumans Geburt-der-NATO Rede, Währungsreform, Berliner Luftbrücke, Marshall-Plan 
  • Anerkennung des Staates Israel, Londoner Konferenz für einen westdeutschen Staat
  • US-Genehmigung des deutschen Grundgesetzes, UNO Menschenrechtserklärung, Freie Universität Berlin
  • Wiederwahl von Truman bis Januar 1953 (zum deutschen Grundgesetz, NATO/Bundeswehr usw.)

Normalerweise würde jeder historische Fall in den öffentlichen Print- und elektronischen Medien einzeln behandelt, meist mit einem Datum: ("...jährt sich am.…") Aber da diese vielen folgenreichen historischen Ereignisse mit der Gründung und heutigen Identität der modernen Bundesrepublik verbunden sind, könnte man sie bündeln zu einem attraktiven Anstoß für den deutsch-amerikanischen Dialog im kommenden Jahr: 75 Jahre 2023 - 1948 - Jahr der Entscheidung für Deutschland – aus Besatzern wurden Partner. 

Denkbar wäre eine bundesweite Aktion ähnlich der Aktion "Wunderbar - Gemeinsam" in den USA in den Jahren 2019/20 - allerdings dieses Mal in Deutschland, nicht in Amerika. Ziel wäre es, den hierzulande weitverbreiteten latenten Antiamerikanismus in der Generation der unter 50-Jährigen anzusprechen, die keine persönliche Erinnerung und wenig historisches Wissen oder Interesse an der tatsächlichen Entstehung des heute so wichtigen deutsch-amerikanischen, militärischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen partnerschaftlichen Austauschs besitzen. Wie damals beim "Wunderbar - Gemeinsam", sollten lokale Events überall im Lande stattfinden, und Museen, Schulen und geeignete kulturelle Institutionen zur Kooperation gewonnen werden.

Ein Projektträger müsste gefunden werden, der ähnlich fungieren könnte, wie das Goethe-Institut zusammen mit dem Auswärtigen Amt beim „Wunderbar – Gemeinsam“ es getan hat. Es sollte versucht werden, die Unterstützer/Sponsoren von damals nochmals zu gewinnen: wie die Atlantikbrücke, das Auswärtige Amt, den German Marshall Fund, die Amerika-Exporter beim BDI, AmCham, die lokalen Handelskammern und andere. Natürlich müsste ebenfalls eine professionelle PR-Öffentlichkeitsarbeitsagentur beauftragt werden, um die nationalen und internationalen TV, Print und elektronischen Media wirksam einzuschalten.

Bei der Wiederbelebung der transatlantischen Kooperationen steht zurzeit der Neuaufbau der NATO im Vordergrund. Hier ist das Jahr 1948 verblüffend in seiner erstaunlichen Aktualität. Am 17. März vor 74 Jahren hielt der US-Präsident Harry S. Truman bei einer Sitzung des Kongresses in Washington eine Rede: „Declaration of Support for the free Nations of Europe“, die direkt zur Gründung der NATO ein Jahr später führte. Was Truman vor einem dreiviertel Jahrhundert sagte, gerichtet an Josef Stalin in Moskau, hat eine erstaunliche Aktualität im Hinblick auf Bidens Worte in Richtung Wladimir Putin im März 2022. Truman sagte damals:

„In Europa vollziehen sich rasche Veränderungen, die sich auf unsere Außenpolitik und unsere nationale Sicherheit auswirken. Es besteht eine zunehmende Bedrohung für Nationen, die sich um die Aufrechterhaltung einer Regierungsform bemühen, die ihren Bürgern Freiheit gewährt. Die Vereinigten Staaten sind zutiefst besorgt über das Überleben der Freiheit in diesen Ländern. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir jetzt handeln. ...

Die heutige Situation in der Welt ist ... vor allem darauf zurückzuführen, dass eine Nation sich nicht nur geweigert hat, an der Schaffung eines gerechten und ehrenhaften Friedens mitzuwirken, sondern - was noch schlimmer ist - aktiv versucht hat, diesen zu verhindern. ... Sie wissen um die aufrichtigen und geduldigen Versuche der demokratischen Nationen, durch Verhandlungen und Vereinbarungen eine sichere Grundlage für den Frieden zu finden. Sie sind von einer Nation beharrlich ignoriert und verletzt worden. ...

Dieses rücksichtslose Vorgehen und die klare Absicht, es auf die übrigen freien Nationen Europas auszudehnen, haben zu der kritischen Situation geführt, in der sich Europa heute befindet. ... Angesichts dieser wachsenden Bedrohung gibt es ermutigende Anzeichen dafür, dass die freien Nationen Europas für ihr wirtschaftliches Wohlergehen und für die gemeinsame Verteidigung ihrer Freiheiten enger zusammenrücken ... Ich bin sicher, dass die Entschlossenheit der freien Länder Europas, sich selbst zu schützen, von unserer Seite mit der gleichen Entschlossenheit unterstützt wird, ihnen zu helfen, sich selbst zu schützen.

 Es gibt Zeiten in der Weltgeschichte, in denen es weitaus klüger ist, zu handeln als zu zögern. Handeln ist mit einem gewissen Risiko verbunden - das ist immer so. Aber es besteht ein weitaus größeres Risiko, nicht zu handeln. ... Ich glaube, wir haben gelernt, wie wichtig es ist, militärische Stärke als Mittel zur Kriegsverhütung zu erhalten. Wir haben festgestellt, dass ein solides Militärsystem in Friedenszeiten notwendig ist, wenn wir in Frieden bleiben wollen. In der Vergangenheit haben Aggressoren, die sich auf unseren offensichtlichen Mangel an militärischer Stärke verließen, unklugerweise einen Krieg ausgelöst ... Wir haben einen schrecklichen Preis für unsere Unvorbereitetheit bezahlt. ...“

Trumans damaliger Aufruf führte direkt zur Gesetzgebung, die den Vereinigten Staaten erlaubte, ein Jahr später mit sieben europäischen Nationen sowie Kanada der North Atlantic Treaty Organisation beizutreten. Jetzt gaben US-Präsident Joe Bidens Worte - „Die Nation war noch nie so einig“ - Trumans Worten nach einem Dreivierteljahrhundert eine verblüffende, wichtige Aktualität. 

Der damals 33-jährige US-Präsident hat einen hohen Stellenwert unter amerikanischen Historikern, die ihn neulich in Rankings als die Nummer 6 in der Wichtigkeitsliste der 46 US-Präsidenten einordnete. Im Jahr 2000 haben Präsident Bill Clinton und Außenministerin Madeleine Albright - in Anerkennung der außenpolitischen Leistungen Trumans - das Hauptsitzgebäude des US-Außenministeriums in der C Street in Washington – in „Harry S. Truman Building“ umbenannt. Albright sagte bei der Einweihung: "Es ist uns eine große Ehre, mit Trumans bemerkenswerter globaler Führungsrolle in Verbindung gebracht zu werden, denn keine Führungspersönlichkeit hat mehr für die Gestaltung der globalen Rolle Amerikas in unserer Zeit getan als Harry Truman zu seiner Zeit."

Wenn jetzt Außenminister Antony Blinken und seine Kollegen täglich ihren Amtssitz betreten, werden sie stets an die fruchtbarste Zeit der Zusammenarbeit zwischen dem Weißen Haus und dem US-Außenministerium im zwanzigsten Jahrhundert erinnert. Dort wird – zusammen mit ihrem Präsident Biden im Weißen Haus – in der Tradition von Harry Trumans „globaler Rolle“ am dauernden Kurs des internationalen Engagements der USA weitergearbeitet.

Robert S. Mackay war Executive Vice-President des American Chamber of Commerce in Germany, und langjähriger Vorsitzender der AMCHAM in West-Berlin. Sein Buch Harry S. Truman und die Bundesrepublik Deutschland – Der vergessene Freund - soll Ende 2022 erscheinen.