EN

China
Chinas Einfluss in Deutschland: Wissenschaft und Medien sind die Achillesferse

Chinas Präsident Xi Jinping

Chinas Präsident Xi Jinping

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Selim Chtayti

Ist Deutschland Ziel chinesischer Einflussnahme? Der in Taiwan ansässige Thinktank Doublethink Lab kommt zum Ergebnis: Ja, und zwar in erheblichem Maße. Doublethink Lab hat vor kurzem seine China-Index-Initiative gestartet. Ziel des überregionalen Projektes ist es, den Einfluss der Volksrepublik China (VRC) in verschiedenen Ländern der Welt - darunter auch Deutschland – zu analysieren.

Der China-Index untersucht neun Bereiche, in denen China Länder gezielt beeinflussen will: Medien, Außenpolitik, Wissenschaft, Innenpolitik, Wirtschaft, Technologie, Gesellschaft, Militär und Strafverfolgung. Für jeden Bereich gibt es elf Schlüsselindikatoren, was die Vergleichbarkeit der Daten ermöglicht. Für jeden Indikator wird eine Punktzahl zwischen 0 (keine Beeinflussung) und 4 (starke Beeinflussung) vergeben. Das entspricht einem Maximum von 44 Punkten je Bereich. Der chinesische Einfluss wird dann entlang der Dimensionen Exposition, Belastung und Wirkung bewertet. Der Index ist kein absolutes Mittel zur Bestimmung des Einflusses der VR China, sondern zielt darauf ab, relative Kriterien festzulegen, die helfen können, den Einfluss Pekings international zu vergleichen.

Wie Deutschland betroffen ist

In Deutschland ist der Einfluss der VR China durchschnittlich. Aber: Die Messwerte für die Exposition Deutschlands für chinesischen Einfluss und die damit verbundene Belastung sind relativ hoch im Vergleich zu den Messwerten für chinesischen Einfluss auf andere europäische Länder. In Deutschland sind die am meisten gefährdeten Bereiche die Wissenschaft und die Medien.

Im Bereich der Wissenschaft erreichte Deutschland 36 von 44 Punkten, das ist der zweithöchste Wert unter den 36 untersuchten Ländern. Die sprichwörtliche Achillesferse sind den Daten zufolge institutionelle Partnerschaften, finanzielle und personelle Unterstützung sowie Angebote von Talentanwerbungsprogrammen aus der VR China. Der China-Index fand auch Fälle von Selbstzensur an deutschen Instituten und Formen der Repression von Seiten der VR China gegen Forschungseinrichtungen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Arbeit Pekings Zielen zuwiderläuft. Letzteres trifft beispielsweise auf das Mercator Institute for China Studies (MERICS) zu, gegen das Peking als Vergeltung für seine offenen Analysen Sanktionen verhängt hat.

Darüber hinaus ist es üblich, dass deutsche Universitäten oder Forschungsinstitute Partnerschaften mit Einrichtungen eingehen, die mit der VR China verbunden sind. Im Idealfall sollte dies ein Beispiel für einen globalisierten akademischen Austausch sein. Aber das Fehlen von Beschränkungen für die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der VR China führt manchmal zu einer indirekten Finanzierung oder Unterstützung fragwürdiger Forschung: Dr. Tang Kun, ein chinesischer Spezialist für die genetische Vielfalt des Menschen, forschte mit DNA-Proben, die er 2018 von 612 Uiguren in Xinjiang entnommen hatte, wo es massive Internierungslager und Überwachung gegen die muslimische Minderheit gibt. Die deutsche Forschungseinrichtung Max-Planck-Gesellschaft war einer von Tangs Geldgebern während seiner Zusammenarbeit mit der chinesischen Polizei. Das Max-Plank Institut gab an, Tang habe es versäumt, die Angelegenheit wie vorgeschrieben zu melden.

Eine kürzlich durchgeführte gemeinsame Untersuchung hat außerdem ergeben, dass mehrere führende deutsche Forschungseinrichtungen, wie etwa die Universität Bonn, die Universität Stuttgart und einige Fraunhofer-Institute in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Kernwaffen und Quantenforschung eng mit chinesischen Kollegen zusammenarbeiten, die der Nationalen Universität für Verteidigungstechnologie der Volksbefreiungsarmee (PLA) angehören.

Deutsche Tageszeitungen veröffentlichen bezahlte Inhalte

Der zweite Bereich, in dem Deutschland stark vom Einfluss der VR China betroffen ist, sind die Medien. In diesem Bereich misst der Index, wie die VR China die öffentliche Debatte und die Medienberichterstattung über die VR China im untersuchten Land beeinflusst.

Deutschland erreicht hier 28 von 44 Punkten und liegt zusammen mit Australien auf Platz 4 der Länder mit dem größten Einfluss. Mehrere chinesische Diaspora-Medien produzieren Inhalte in deutscher Sprache - mit unterschiedlichem Einfluss oder Unterstützung durch den Parteistaat. Renommierte deutsche Tageszeitungen wie das Handelsblatt oder die FAZ veröffentlichen nachweislich bezahlte Inhalte, die von chinesischen Staatsmedien bereitgestellt wurden, und nahmen an bezahlten Medientouren in China teil. Erwähnenswert ist der Fall von Patrick Köllmer, einem deutschen Social-Media-Influencer, der an einer Xinjiang-Reise teilnahm, die unter der Schirmherrschaft der Cyberspace Administration of China (CAC) stattfand. Er erstellte daraufhin Inhalte, die pro-Peking Propaganda und chinesische Narrative bekräftigten und die der Kritik an Menschenrechtsverletzungen in der Region entgegenwirken sollten. Ein Beispiel hierfür ist sein Video "'Xinjiang in den Augen eines deutschen Jungen", das eine gekürzte Version eines Interviews ist, in dem er ausländische Medien für ihre Kritik an China anprangert und behauptet, dass in Xinjiang alles in Ordnung sei. Mit solchen Bemühungen soll ein positives Bild der VR China vermittelt werden.

Deutsches Wissen könnte Chinas Militär zugutekommen

Die einseitige Offenheit eines Landes auszunutzen ist eine zentrale Strategie der VR China, um ihren Einfluss auf Deutschland und andere liberale Demokratien auszuüben.

Im Falle der jüngsten Zusammenarbeit deutscher Forschungseinrichtungen mit der PLA nahestehenden Wissenschaftlern sollten zwei Risiken berücksichtigt werden: Erstens die mögliche Dual-Use-Anwendung dieser Forschungsarbeiten und zweitens das Risiko eines illegalen Transfers. Das bedeutet, dass aus Deutschland erworbenes Wissen direkt der PLA zugutekommen könnte. Dies ist besonders dann besorgniserregend, wenn das politische System der Volksrepublik China die Forschungsergebnisse für die militärischen Pläne der Kommunistischen Partei Chinas mitbenutzt.

Was die Medien betrifft, so trägt die zunehmende Interaktion mit der VR China auf der Ebene der Content-Provider dazu bei, dass Peking auch ohne direkte Einmischung Einfluss auf politische Debatten und die öffentliche Wahrnehmung der Deutschen in Bezug auf die VR China ausübt. Da Deutschland der Belt and Road Initiative (BRI) nicht beigetreten ist, gibt es weniger formellen institutionellen Zugang durch das BRI-Netzwerk. Dies ist jedoch ein besorgniserregendes Phänomen, das sich in Südosteuropa immer mehr ausbreitet.

Wir brauchen einen neuen Ansatz für den Umgang mit China

Die VR China wird von deutschen Akteuren in den letzten Jahren mit größerer Vorsicht beobachtet. Berlin teilt die Einschätzungen und den vielschichtigen Ansatz Brüssels, China als Partner, Konkurrenten und systemischen Rivalen zu betrachten. Vorfälle wie die wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen der VR China gegen Litauen und die Unterstützung des Kremls im Ukraine-Krieg haben jedoch gezeigt, dass Peking weniger bereit ist, sich an eine regelbasierte internationale Ordnung zu halten, und dass es für ein autoritäres Regierungsmodell wirbt.

Es ist daher an der Zeit, dass die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger die VR China in erster Linie als Konkurrenten behandeln und bei der Zusammenarbeit mit Akteuren aus der VR China Transparenz verlangen, während sie gleichzeitig die Offenheit der deutschen Gesellschaft wahren. So ist es zwar wichtig, die Freiheiten in der Forschung nicht zu verletzen, aber in einem stark betroffenen Bereich wie der deutschen Wissenschaft sind Hintergrundüberprüfungen für chinesische Wissenschaftler und/oder strengere Regeln für das Risikomanagement bei der Zusammenarbeit in sensiblen Bereichen eine praktische politische Empfehlung.

Schlussendlich ist jeder vom China-Index analysierte Bereich mit detaillierten Fragen verknüpft, die eine eingehendere Untersuchung bedürfen; das Gesamtergebnis des Index ermöglicht dennoch ein breiteres Verständnis, das möglicherweise das Problembewusstsein globaler Akteure schärfen kann. Was in Deutschland noch aussteht, ist die neue China-Strategie, die für Ende 2022 erwartet wird. Angesichts des bedeutenden Einflusses der VR China im Land ist die Entwicklung eines sicherheitsbewussteren und rigoroseren Ansatzes im Umgang mit der VR China in verschiedenen Bereichen eine Priorität.

Hier finden Sie den kompletten China-Index.

Prof. Dr. Puma Shen ist Assistenzprofessor an der Graduate School of Criminology der Nationalen Universität Taipei, Vorsitzender des Doublethink Lab und Vizepräsident der Taiwan Association for Human Rights (TAHR). Er war Rechtsanwalt und Experte für Wirtschaftskriminalität, einschließlich Staatskriminalität, Desinformationskampagnen und Finanzkriminalität. Er veröffentlichte mehrere Arbeiten über chinesische Informationsoperationen in Taiwan und den USA und untersucht nun auch die Aktivitäten der United Front in Taiwan und Südostasien.

Yu-Fen Lai hat als Expertin vor Ort mit Doublethink Lab am China Index, für die Fallstudie Deutschland zusammengearbeitet. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Taiwan, Hongkong, die Beziehungen zwischen beiden Seiten der Straße, Desinformation aus China und chinesische Diaspora-Medien. Yu-Fen Lai hat einen MA-Abschluss von der Freien Universität Berlin und einen BA-Abschluss von der National Tsing Hua University, beide in Soziologie.

Für das China Bulletin können Sie sich hier anmelden.