Georgien
Will We Eat Democracy? Georgien im Konflikt mit PACE
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) droht Georgien mit dem Ausschluss aus der Organisation.
© picture alliance / abaca | Roses Nicolas/ABACAAm 20. August 2025 erreichte die seit Monaten schwelende Krise zwischen Georgien und dem Europarat einen neuen Höhepunkt. 51 Abgeordnete der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der sie Tiflis mit dem Ausschluss aus der Organisation drohten. Sie verweisen darin auf die Resolution 2585 (2025) vom 29. Januar, in der die Akkreditierung der georgischen Delegation nur unter klaren Bedingungen bestätigt wurde: Bis April sollten neue Wahlen angesetzt, politische Gefangene freigelassen und demokratische Standards eingehalten werden.
Doch statt Fortschritten, so die Unterzeichner, habe es nur Rückschläge gegeben. Die Erklärung verweist auf Verhaftungen führender Oppositionspolitiker, zivilgesellschaftlicher Akteure sowie Journalistinnen und Journalisten und erkennt darin einen deutlichen Hinweis auf einen autoritären Kurs der Regierung.
In der offiziellen Deklaration No. 819 formuliert PACE seine Warnung unmissverständlich:
If Georgia makes no progress in reversing its authoritarian course, we will challenge the credentials of the Georgian delegation on substantive grounds and call for the Assembly and the Committee of Ministers to begin the expulsion process of Georgia for serious violations of the basic principles of the Council of Europe mentioned in Article 3 of its Statute.
Die georgische Regierung reagierte mit einer Mischung aus Abwehr und Angriff. Statt auf die konkreten Vorwürfe einzugehen, stellte Premierminister Irakli Kobakhidze die Legitimität europäischer Institutionen grundsätzlich infrage. Ein bemerkenswerter Schritt für ein Land, das einst als demokratischer Hoffnungsträger im Südkaukasus galt.
Von Warnung zur Drohung: Wie es zum PACE-Ultimatum kam
Die Eskalation zwischen Georgien und dem Europarat wird -im institutionellen Kontext erklärbar. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) ist das zentrale politische Gremium der Organisation. Sie vereint Abgeordnete aus 46 Mitgliedsstaaten mit dem Ziel, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Europa zu schützen. Zwar besitzt PACE keine bindenden legislativen Befugnisse, doch durch Resolutionen, Akkreditierungen und öffentlichen Druck entfaltet sie politische Wirkung.
Georgien ist seit 1999 Mitglied des Europarats und damit auch Teil der Parlamentarischen Versammlung. Die Aufnahme markierte für den postsowjetischen Staat einen außenpolitischen Meilenstein. Sie diente nicht nur der internationalen Anerkennung seiner staatlichen Souveränität, sondern wurde auch zu einem zentralen Bestandteil einer außenpolitischen Strategie, die auf internationale Legitimierung, den normativen Anschluss an Europa und eine schrittweise Distanzierung von russischer Vorherrschaft abzielte.
Mit dem Beitritt verpflichtete sich Tiflis zur Achtung der europäischen Grundwerte – wie die Parlamentarische Versammlung ausdrücklich erinnerte:
Die Aufnahme der georgischen Delegation in PACE symbolisierte diesen Anspruch auf Zugehörigkeit zur europäischen Wertegemeinschaft. Ihre Präsenz war mehr als formal. Sie stand für Georgiens Selbstverständnis als demokratischer Akteur in einem gemeinsamen europäischen Raum.
Vor diesem Hintergrund kommt der Resolution 2585 (2025) vom 29. Januar besondere Bedeutung zu: Darin wurde Georgien verpflichtet, die Grundprinzipien des Europarats zu achten und konkrete Schritte zur Stärkung von Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu unternehmen. Doch statt zu reagieren, kündigte die georgische Delegation am selben Tag ihren Rückzug aus der Versammlung an. Die Regierung bezeichnete die Resolution als „unfair“ und warf dem Europarat vor, die nationale Souveränität zu missachten.
Dieser Schritt markierte eine neue Stufe der Konfrontation. Die Spannung ist nicht neu, doch sie spitzt sich nun gefährlich zu: Zwischen dem Selbstverständnis Georgiens als souveräner Staat und den Erwartungen internationaler Institutionen an rechtsstaatliches Verhalten entsteht ein fundamentaler Widerspruch.
PACE versteht sich als Hüter demokratischer Normen. Der Rückzug der georgischen Delegation zeigt, wie fragil das Gleichgewicht zwischen nationaler Autonomie und internationaler Verantwortung sein kann. Die gemeinsame Erklärung der 51 Abgeordneten ist damit nicht nur eine Reaktion auf aktuelle Entwicklungen, sondern eine grundsätzliche Infragestellung von Georgiens Platz in der europäischen Wertegemeinschaft.
51 Stimmen- eine klare Botschaft
Dass 51 Abgeordnete aus 24 Ländern gemeinsam eine Erklärung gegen Georgien unterzeichnen, ist ein seltenes und deutliches Signal: PACE ist bereit, institutionelle Konsequenzen gegen ein Mitgliedsland zu ziehen. Besonders brisant ist, dass unter den Unterzeichnerstaaten auch langjährige Partner Georgiens sind, wie etwa Deutschland und die Ukraine.
Die Deklaration No. 819 geht dabei weit über bloße Kritik hinaus. Sie dokumentiert systematische Rechtsverstöße und aktiviert erstmals formell das Verfahren zur Überprüfung der Delegationsrechte mit möglichem Ausschluss als Endpunkt.
Die offizielle Reaktion aus Tiflis lässt sich durch das Konzept des „Forum Shoppings“ erklären: eine Strategie, bei der Staaten zwischen internationalen Institutionen taktisch wählen, um politische Vorteile zu erzielen. Georgien nutzt seine Mitgliedschaft im Europarat nicht primär zur Einhaltung gemeinsamer Normen, sondern zunehmend als Druckmittel. Durch die wiederholte Drohung, sich aus PACE zurückzuziehen, signalisiert die Regierung: Wer uns kritisiert, verliert unseren Kooperationswillen.
Zugleich betont Tiflis seine geopolitische Relevanz. In einem instabilen Südkaukasus gilt Georgien weiterhin als unverzichtbarer Partner für Europa. Sei es bei Energiefragen, Grenzschutz oder regionaler Sicherheit. Schon in den 2000er-Jahren war westliche Unterstützung entscheidend für Reformen und wirtschaftliche Entwicklung.
Diese strategische Position nutzt die Regierung heute, um Spielräume zu behaupten: Kritik aus Brüssel wird relativiert, innenpolitische Maßnahmen als souveräne Entscheidungen deklariert. Der Vorwurf, sich von demokratischen Grundwerten zu entfernen, wird nicht als Bedrohung, sondern als Druckmittel in der außenpolitischen Kommunikation behandelt.
Zwischen Armut und Desinformation
Die georgische Opposition zeigt sich in der aktuellen Krise weitgehend handlungsunfähig. Nach den umstrittenen Parlamentswahlen im Oktober 2024, begleitet von zahlreichen Wahlfälschungsvorwürfen, boykottierten mehrere Oppositionsparteien das Parlament. Die politische Fragmentierung schwächt jede Kontrolle der Regierung und trägt maßgeblich zur Instabilität bei.
Gleichzeitig ist ein Großteil der Bevölkerung über die Entwicklungen rund um den Europarat kaum informiert. Viele Menschen beziehen ihre Informationen über soziale Medien, die entweder staatlich kontrolliert oder zensiert sind. Die Grenze zwischen Fakten und Propaganda verschwimmt. Eine breite, aufgeklärte Debatte über den demokratischen Kurs des Landes findet nicht statt.
Weder Regierung noch Opposition haben jemals das Volk zur PACE-Mitgliedschaft befragt. Kein Referendum, kein Plebiszit, obwohl die georgische Verfassung unmissverständlich festlegt:
,,Die Quelle der Regierung in Georgien ist das georgische Volk.‘‘
Sozioökonomisch kämpft Georgien mit erheblichen Problemen. Die Arbeitslosenquote lag 2024 bei 13,9 %, und ein signifikanter Teil der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. In einem Klima wirtschaftlicher Unsicherheit, wachsender sozialer Ungleichheit und schwacher staatlicher Unterstützung wird Außenpolitik zur Nebensache. Die Regierung nutzt diese Gleichgültigkeit, um Narrative zu setzen frei von öffentlichem Widerspruch.
Auch außenpolitisch wächst der Druck. Selbst die Ukraine, traditionell enger Partner Tiflis’, meldet zunehmend Zweifel an. Im Januar 2025 erklärte der Leiter der ukrainischen PACE-Delegation:
Georgien steht an mehreren Fronten unter Druck: Die Institutionen sind blockiert, die Opposition zerstritten, die Öffentlichkeit desinformiert, die Gesellschaft verarmt und die internationalen Partner verlieren die Geduld. In diesem Klima wächst die Gefahr, dass Demokratie nicht verteidigt, sondern vergessen wird.
Georgien am Scheideweg
Georgien steht am Scheideweg. Der Konflikt mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarats offenbart mehr als diplomatische Spannungen: Er legt die tiefen Risse im politischen Fundament des Landes offen.
Während die Regierung den Rückzug aus PACE ins Spiel bringt und internationale Kritik als Einmischung diffamiert, fehlt eine klare Strategie für die Zukunft. Reformen bleiben aus, der Dialog mit Europa ist gestört und innenpolitisch dominiert die Angst vor Instabilität, nicht die Suche nach Erneuerung.
Die Zukunft Georgiens hängt davon ab, ob sich das Land wieder zu den Werten bekennt, die einst den Weg nach Europa geebnet haben: Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, demokratische Beteiligung. Dazu braucht es nicht nur außenpolitische Konzepte, sondern vor allem innenpolitische Verantwortung.
Solange aber die Regierung die wirtschaftliche Not der Bevölkerung als Schutzschild für autoritäres Handeln nutzt und reale Probleme zur Ablenkung von demokratischen Defiziten missbraucht bleibt für viele Menschen nur eine bittere Frage offen: