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Georgien
Die georgische Demokratie zählt ihre letzten Tage

In Tiflis, Georgien, fordern Familienangehörige von politischen Gefangenen neue und faire Parlamentswahlen und die Freilassung der bei den Demonstrationen Inhaftierten.

In Tiflis, Georgien, fordern Familienangehörige von politischen Gefangenen neue und faire Parlamentswahlen und die Freilassung der bei den Demonstrationen Inhaftierten.

© picture alliance / NurPhoto | Sébastien Canaud

Nach der gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen, der Verhaftung zahlreicher Aktivisten und der Verabschiedung repressiver Gesetze befindet sich das georgische Regime in der finalen Phase autoritärer Konsolidierung. Wie in Russland und Belarus hat es nun eine Stufe erreicht, in der es mit rasanter Geschwindigkeit gegen politische Gegner, Aktivistinnen, unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft vorgeht.

Zusätzlich zu den bereits inhaftierten politischen Gefangenen wurden kürzlich neun weitere Oppositionsführer verhaftet – offiziell, weil sie sich weigerten, an der parlamentarischen Untersuchungskommission teilzunehmen, die von oppositionellen Politikern als illegitim angesehen wird. Diese Weigerung wird inzwischen jedoch strafrechtlich verfolgt. Dutzende Aktivisten und Aktivistinnen wurden auf Basis fadenscheiniger, eigens konstruierter Anklagen und mithilfe falscher Zeugen festgenommen. Die vom Regime kompromittierte und kontrollierte Justiz verhängt dabei Haftstrafen von vier bis fünf Jahren – wie etwa im Fall von Mate Devidze (4 Jahre und 6 Monate) und Giorgi Mindadze (5 Jahre). Diese Strafen sind völlig unverhältnismäßig und typisch für autoritäre Systeme. Seit Kurzem finden die Gerichtsprozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; Medien sind nicht mehr zugelassen. Die gezielte Informationsunterdrückung geht einher mit der systematischen Wiederverwendung derselben falschen Zeugenaussagen. Mittlerweile sitzen über 80 politische Gefangene hinter Gittern – darunter führende Vertreter sämtlicher relevanten Oppositions- und Koalitionsparteien.

Medienfreiheit unter Beschuss und kritische Begriffe zensiert

Gleichzeitig ist es den Medien untersagt worden, bestimmte vom Regime definierte „kritische Begriffe“ zu verwenden – Verstöße werden mit hohen Geldstrafen geahndet. Die regierende Partei hat bereits formelle Beschwerden gegen zwei führende oppositionell ausgerichtete Fernsehsender eingereicht, weil diese in Nachrichtensendungen und Social-Media-Beiträgen Begriffe wie ‚illegitimes Parlament‘, ‚sogenannter Parlamentsvorsitzender‘, ‚Stellvertreter des Oligarchen‘ und ‚Stadtgericht des Regimes‘ verwendet haben. Da die sogenannten kritischen Medien nicht nur gegen ein repressives gesetzliches Umfeld kämpfen, sondern auch mit existenziellen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert sind, ist es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis sie vollständig zum Schweigen gebracht werden.

Es entsteht der Eindruck, das Regime wolle in größter Eile das gesamte politische Spielfeld abräumen und den Diskursraum ausschließlich für sich nutzen. Dieses Vorgehen dient nicht nur dem Machterhalt und der Absicherung korruptionsgetriebener Netzwerke. Viel entscheidender ist die geopolitische Dimension, die sich im Lichte aktueller Entwicklungen im Südkaukasus offenbart:

In Armenien und Aserbaidschan kommt es zu offenen Konfrontationen mit Russland. In Jerewan wurden mutmaßliche Netzwerke russischer Geheimdienste aufgedeckt, ihre Mitglieder verhaftet – diese Aktionen werden als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Putschpläne gewertet. Es ist ein deutliches Zeichen für die strategische Abkehr Armeniens von Moskau. Zeitgleich empfängt Aserbaidschans Präsident Aliyev in Stepanakert im Rahmen einer internationalen Konferenz die Präsidenten der Türkei und des Iran, stärkt die direkte Kooperation mit zentralasiatischen Staaten, während in Baku russische IT-Fachleute und Sputnik-Leute wegen Cyberkriminalität und Drogendelikten verhaftet werden. Die geopolitische Dynamik im Südkaukasus ändert sich rasant: Die Zurückdrängung russischen Einflusses wird zur strategischen Priorität.

In diesem neuen Szenario bleibt Putin im Südkaukasus nur ein einziger verlässlicher Pfeiler: der russische Oligarch georgischer Herkunft und De-facto-Machthaber Bidzina Ivanishvili. Umso drängender wird für ihn der Erhalt uneingeschränkter Macht in Georgien. Eine transparente, rechenschaftspflichtige Demokratie steht diesem Ziel unvereinbar gegenüber. Daher hat das Regime beschlossen, jede demokratische Regung zu ersticken, kritische Stimmen mundtot zu machen und zum nächsten Akt seiner geopolitischen Agenda überzugehen.

Zivilgesellschaft im Visier des Regimes

Nachdem die politische Opposition und Medien bereits unter Beschuss geraten sind, steht nun die Zivilgesellschaft im Fadenkreuz. Der erste Angriff auf unabhängige NGOs erfolgte im Mai 2023 mit der Einbringung des sogenannten „russischen Gesetzes“, das 2024 gewaltsam durchgesetzt wurde. Seither wurden die Repressionsmechanismen verfeinert, Gesetze weiter verschärft und die Regierung hat mit systematischer Umsetzung begonnen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen werden gezwungen, nicht nur ihre – ohnehin bereits transparenten – Finanzen offenzulegen, sondern auch personenbezogene Daten ihrer Mitarbeitenden und Projektbegünstigten preiszugeben. Darüber hinaus ist es ihnen untersagt, ohne Genehmigung der Regierung ausländische Fördermittel zu beziehen – sei es institutionell oder individuell. In der Folge haben viele Organisationen ihre Tätigkeit eingestellt oder das Land verlassen.

So standhaft und kampfbereit sich das georgische Volk auch zeigt – der Handlungsspielraum schrumpft mit jedem Tag.

In diesem ungleichmäßigen Kampf müssen nun die demokratischen Kräfte überleben. Neben der politischen Unterstützung durch die EU und europäische Hauptstädte sind es vor allem sie, die das Rückgrat des demokratischen Widerstands und der gesellschaftlichen Resilienz bilden. Und weil nun alles auf Standhaftigkeit ankommt, bleibt zu hoffen, dass durch gemeinsames Handeln die Autokratie schneller bröckelt – und jene, die mit sauberen Händen für Demokratie kämpfen, die größere Ausdauer beweisen.
 

Nino Kalandadze ist Mitgründerin und Direktorin des Chavchavadze Centers, ehemalige Parlamentsabgeordnete (2004–2008) sowie frühere stellvertretende Außenministerin Georgiens (2008–2012).