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Publikation
Urheberrecht: Ein Balanceakt für die Meinungsfreiheit

Uploadfilter Visual
© Anne-Marie Pappas / Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Das Urheberrecht zählt zu den dynamischsten Rechtsgebieten unserer Zeit. Es ebnet den Weg für digitale Innovationen, die oft auf die Interpretation des Urheberrechtes angewiesen sind. Oft liegt es dann an den Gerichten, zu entscheiden, ob neue Nutzungsweisen in digitalen Ökosystemen mit dem Urheberrecht kompatibel sind oder nicht. Die neue Urheberrechtslinie für den digitalen Binnenmarkt in Europa soll nun Klarheit verschaffen. Sie fordert aber auch eine vorsichtige Abwägung zwischen Rechtsschutz von Urhebern und Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit. Ein von uns in Auftrag gegebenes Gutachten sieht immer noch große Probleme in der Anwendbarkeit. Wir haben mit Philipp Otto, einem der Verfasser der interaktiven Online-Publikation, über die Mängel und Problematiken der Urheberrechtsreform gesprochen. Die volle Publikation finden Sie hier in der interaktiven Online-Version.

Urheberrecht Foleon Vorschau
Eine Bildschirmaufnahme aus der interaktiven Online-Publikation

Interview

2019 wurde die neue Urheberrechtslinie für den digitalen Binnenmarkt in Europa erlassen. Jetzt steht die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie in Deutschland an. Was ist die Hauptproblematik bzw. was sind die Herausforderungen bei der Umsetzung der Urheberrechtslinie?

Das Grundproblem der Umsetzung ist, ein nationales Gesetz zu schaffen, das sowohl die Vorgaben wie auch die Umsetzungsspielräume der Richtlinie intelligent und ausgewogen realisiert. Es muss alltagstauglich für alle und nicht nur für einige sein und dabei die vielfach diskutierten und proklamierten nationalen Zielstellungen im Umgang mit der Richtlinie berücksichtigen. Das ist nicht die Quadratur des Kreises, aber eben auch nicht trivial. Welche Aspekte hier relevant sind, zeigen wir sehr detailliert in unserer Studie.

Die Bundesregierung hat sogar schriftlich versprochen, dass die EU-Urheberrechtsrichtlinie nicht zu Uploadfiltern führen wird. Die Informations- und Meinungsfreiheit werden dadurch gefährdet. Wird die Bundesregierung ihr Versprechen halten können oder nicht?

Das lässt sich im Moment noch nicht absehen, denn im Moment sieht es nicht danach aus, dass diese Filter unbedingt vermieden werden sollen. Offenbar ist man in den betreffenden Ministerien beispielsweise damit einverstanden, das Kennzeichnen legaler Inhalte nur nachträglich zu ermöglichen. Das würde aber bedeuten, dass vermeintlich illegale Inhalte vorher bereits herausgefiltert werden müssen. Wie soll das ohne Uploadfilter gehen?

Auch die Pläne, den Kontrahierungszwang dahingehend zu lockern, dass Plattformen Inhalte sperren können, wenn der Lizenzerwerb nicht attraktiv ist, funktioniert ja nur, wenn diese Inhalte vorher gefiltert werden können. Das klingt alles nicht so sehr nach „versprochen – gehalten“.

Warum sind Uploadfilter eine Bedrohung für die Freiheit im Netz?

Eines der vielen Probleme bei Uploadfiltern ist die Tatsache, dass sie automatisch filtern. Dahinter liegt ein Algorithmus, der zu wenig künstlerische Feinheiten kennt, um Satire oder andere Kontexte zu erkennen, in denen kein Verstoß vorliegen würde.

Außerdem werden kleine Unternehmen benachteiligt und in ihrer Freiheit beschränkt. Die großen Player haben längst Verfahren entwickelt, um solche Filter-Technologien einzusetzen. Die kleinen Unternehmen aber nicht. Sie müssen sie im Zweifel von den Großen dazukaufen. Das macht abhängiger, nicht freier.

Urheberrecht ist ein absolutes Gesellschaftsthema.

Philipp Otto
Philipp Otto

Geistiges Eigentum muss auch in der digitalen Welt existieren. Wie steht es dabei um das Erstellen und Teilen von Memes? Sind Batman- oder Star-Wars-Memes bald illegal?

Oftmals werden solche Memes leider nicht auf ihren Parodiewert überprüft, sondern de- oder rekontextualisiert. Wir bräuchten also einen digitalpolitischen Bat-Belt, der eine Regelung nach dem amerikanischen Fair-Use-Prinzip in petto hat. Eine solche Regelung wäre zum Beispiel eine Bagatellklausel für öffentliche Privatnutzungen, die keine kommerziellen Interessen verfolgen.

Ihr Fazit: Wie beurteilen Sie den aktuellen Gesetzesentwurf zur Urheberrechtslinie?

Ich sehe noch immer große Probleme in der Anwendbarkeit und leider trägt der Entwurf an vielen Stellen nicht zu mehr Klarheit bei, sondern eröffnet noch mehr Fragen. Die Stichworte sind hier und auch in unserer Studie bereits gefallen. Den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft entspricht der Entwurf leider noch überhaupt nicht. Hier muss nachgesteuert werden.

Wie kann man es besser machen? Wie sollte ein modernes Urheberrecht gestaltet werden?
(Szenario 2030)

Ein modernes Urheberrecht muss einheitlich sein und es muss EU-weit gelten. Es darf keinen Wildwuchs von nationalstaatlichen Ausnahmen und Schrankenbestimmungen geben.
Außerdem müssen alltägliche digitale Handlungen rechtlich anders bewertet werden als vor 20 Jahren. Denn damals gab es diese Handlungen noch gar nicht. Wir brauchen also zum Beispiel Bagatellklauseln – für Memes und Vergleichbares.
Ein weiterer Aspekt ist ein Äquivalent zum Fair-Use-Prinzip, etwa eine subsidiäre Generalschranke, die wir in der Studie wie viele weitere Vorschläge für ein modernes Urheberrecht beschreiben.
 

Was sind die drei wichtigsten Erkenntnisse der Studie?

Es gibt sehr viel mehr als drei, daher fällt die Beschränkung schwer. Aber hier würde ich auf jeden Fall nochmals das Thema Uploadfilter nennen wollen, also die Einschränkung der Haftungsprivilegien von Plattformen für nutzer*innengenerierte Inhalte. Hier zeigt sich nämlich ganz besonders das Problem von Interessensausgleich bei gleichzeitiger Alltagstauglichkeit eines modernen Urheberrechts.

Außerdem zeigt die Studie sehr klar, dass noch einiges im Bereich der Öffnungsklauseln bei bestehenden Schrankenregelungen zu tun ist. Hier herrscht Nachholbedarf im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen und verändertem Nutzungsverhalten der Menschen in einer digitalen Gesellschaft wie der unseren. Auch hier also: Alltagstauglichkeit bei angemessenem Interessensausgleich ist das Gebot der Stunde.

Was ich zudem sehr wichtig finde, ist die Tatsache, dass das Urheberrecht nicht nur einige besonders kunst- oder medienaffine Digital Natives betrifft, sondern wirklich so ziemlich alle Menschen in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt. Wir zeigen das sehr deutlich mit unseren in der Studie dargestellten Personas. Urheberrecht ist ein absolutes Gesellschaftsthema.

Dieses Interview wurde am 07.11.2020 geführt.

Die volle Publikation finden Sie hier in der interaktiven Online-Version.

Über die Person

Philipp Otto ist Direktor des iRights.Lab. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der strategischen Entwicklung von Strukturen, Konzepten und Modellen zur schnellen und konstruktiven Bewältigung von Herausforderungen, die durch die Digitalisierung und das Internet für die Politik sowie für öffentliche und private Einrichtungen entstehen.

Er war Visiting Researcher beim Berkman Center for Internet & Society an der Harvard University. Er hat eine Vielzahl an Büchern, Aufsätzen und strategischen Analysen an der Schnittstelle zwischen Recht, Technik, Gesellschaft und Politik im Kontext der Digitalisierung veröffentlicht, unter anderem „Das Netz. Jahresrückblick Digitalisierung und Gesellschaft“ und den Sammelband „3TH1CS – Die Ethik der digitalen Zeit“. Zudem ist er der Leiter des Innovationsbüros des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.