Palantir Software
Palantir: Wie eine US-Software den Rechtsstaat zur Blackbox macht
Das Logo von Palantir Technologies wird auf einem Mobiltelefon angezeigt.
© picture alliance / NurPhoto | Jonathan RaaIn der Debatte um die innere Sicherheit fällt ein Name immer öfter, mal als Heilsversprechen, mal als Menetekel: Palantir. Die Software des US-Unternehmens Palantir – das einst mit Geldern der CIA gegründet wurde, um den "Krieg gegen den Terror" zu digitalisieren – hält Einzug in deutsche Polizeibehörden. Sie verspricht, aus unüberschaubaren Datenmengen entscheidende Muster zu erkennen und so Straftaten zu verhindern. Doch der Preis für diese vermeintliche Sicherheit ist hoch: Er wird nicht in Euro und Cent bezahlt, sondern in der Währung unserer Freiheitsrechte und der Souveränität unseres Staates.
Die Debatte um den Einsatz von Palantir-Software dreht sich nicht nur um die umstrittene Person des Unternehmers Peter Thiel und seine engen Verbindungen zur US-Administration Trump II. Sie entzündete sich in Deutschland auch deshalb, weil das Land Baden-Württemberg einen Vertrag zum Einsatz von Palantir-Software abgeschlossen hat, ohne eine rechtliche Grundlage. Auch in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen kommt Palantir bereits zum Einsatz. In Hessen und Hamburg führte dies im Februar 2023 zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den damaligen Einsatz für verfassungswidrig erklärte. Zu den Rechtsgrundlagen in NRW und Bayern laufen aktuell noch Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe. Unbeirrt davon lässt Bundesinnenminister Dobrindt derzeit die Möglichkeit des bundesweiten Einsatzes von Palantir prüfen.
Rechtsstaatliche Probleme mit Palantir
Der Einsatz von Palantir erodiert schleichend, aber stetig die Grundfesten unseres Rechtsstaats. Prinzipien, die bislang als unantastbar galten, werden im Namen vermeintlicher Effizienz geopfert und als lästige Hürden bei der Ausführung einer Software betrachtet. Eines der großen rechtsstaatlichen Probleme der automatisierten Datenanalyse, ob durch Palantir oder andere Anwendungen: Die algorithmische Analyse schafft Verdachtsmomente, wo zuvor keine waren, und rückt Menschen in den Fokus der Ermittler, die nie straffällig geworden sind. Denn das Kernkonzept der Palantir-Software besteht darin, alle möglichen Datenquellen miteinander zu verknüpfen. Bis heute ist in Bundesländern, die Palantir einsetzen, nicht ausreichend sichergestellt, dass Daten nur entsprechend ihres ursprünglichen Zwecks genutzt werden und nicht etwa Daten von Zeugen oder Opfern von Straftaten oder auch nur Ordnungswidrigkeiten in die Analyse mit einfließen. Jeder wird potenziell zum Verdächtigen, dessen Daten nur tief genug analysiert werden müssen.
Gleichzeitig wird der Staat zur Blackbox. Entscheidungen, die auf den Analysen von Palantir beruhen, sind für die Betroffenen nicht nachvollziehbar. Wie soll man sich gegen einen Verdacht wehren, dessen Zustandekommen man nicht versteht? Wie sollen Gerichte die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme prüfen, wenn die entscheidenden Algorithmen ein Geschäftsgeheimnis des Herstellers sind? Hinzu kommt, dass der Einsatz von Palantir zwar häufig mit der Abwehr von Terrorismus und schweren Gefahren begründet wird, tatsächlich jedoch in deutlich weniger gravierenden Fällen eingesetzt wird. Allein in Hessen greifen Polizeibehörden jährlich rund 15.000-mal auf das System zu, nur in einem Bruchteil der Fälle (etwa 1 von 20) im Zusammenhang mit schweren Gefahren. Die oft beschworene "Waffengleichheit" zwischen Staat und Straftätern wird zu einer gefährlichen Schimäre, wenn der Staat selbst seine eigenen Regeln bricht und sich intransparenter Methoden bedient.
Das Ende der staatlichen Souveränität
Doch nicht nur die Rechte der Bürger stehen auf dem Spiel, sondern auch die Souveränität des Staates selbst. Indem wir eine Kernaufgabe der Sicherheitsarchitektur – die Analyse und Bewertung von Gefahren – an ein privates und zusätzlich ausländisches Unternehmen auslagern, begeben wir uns in eine fatale Abhängigkeit. Die Software von Palantir ist kein Produkt, das man kauft und dann autonom nutzt. Sie ist ein geschlossenes System, das permanent gewartet, aktualisiert und weiterentwickelt werden muss. Dazu braucht es die Mitarbeit eines Unternehmens, das tief im US-amerikanischen Sicherheitsapparat verwurzelt ist. In einer Zeit geopolitischer Unsicherheiten ist diese Abhängigkeit ein unkalkulierbares Risiko. Was geschieht, wenn politische Interessenkonflikte die Zusammenarbeit belasten? Der Starlink-Einsatz in der Ukraine hat uns die Gefahr einer politisch motivierten Einflussnahme durch private Tech-Unternehmen drastisch vor Augen geführt. Die Vorstellung, dass die innere Sicherheit Deutschlands von den Entscheidungen eines Unternehmens im Silicon Valley abhängen könnte, ist nicht nur beunruhigend, sie ist ein Albtraum für jeden, der staatliche Souveränität ernst nimmt.
Der Grundgedanke hinter Palantirs Versprechen ist, dass ein Unternehmen Verbrechensbekämpfung besser organisieren kann als der Staat. Das Phänomen kennen wir in Deutschland bereits aus der Staatstrojaner-Debatte. Auch dafür kauften Behörden in der Vergangenheit kommerzielle Produkte ein. Wie hilflos das wirkt, macht auch aktuell die Äußerung des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl deutlich, der von einer „Art Google für die Polizei“ sprach. Schon seit fast 10 Jahren haben sich Bund und Länder mit dem Programm Polizei 20/20 (P20) auf den Weg begeben, die bekannten Lücken beim polizeilichen Daten- und Informationsmanagements zu beheben. Wenn sie sich nun unisono für den Einsatz eines privaten Anbieters mit einer Komplettlösung einsetzen, glauben sie wohl selbst nicht mehr daran, das Projekt aus eigener Kraft bewältigen zu können. Der Bundesrat beschloss im März 2025 einen Antrag, der sich dafür ausspricht, dass der Bund eine einheitliche Interimslösung bereitstellt. Es bedarf keiner besonderen hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass damit derzeit die Software von Palantir gemeint ist, auch wenn man sich in der Innenministerkonferenz zu einer Benennung nicht durchringen konnte.
Darf es noch ein bisschen mehr sein?
Die Befürworter von Palantir mögen einwenden, dass die Software auf abgeschotteten Servern laufe und ohne künstliche Intelligenz arbeite. Doch diese Argumente sind bestenfalls eine Momentaufnahme. Pläne zur Ausweitung der Befugnisse, für den Einsatz von KI und die Anbindung weiterer Datenquellen liegen längst in den Schubladen der Innenministerien. Auch Bundesinnenminister Dobrindt begibt sich mit dem zweiten Anlauf für ein sogenanntes Sicherheitspaket auf den Weg, um die rechtlichen Grundlagen für weitergehende Einsätze zu schaffen. Wer sich für Palantir entscheidet, verlagert seine digitale Infrastruktur in ein proprietäres System und passt seine internen Strukturen und Logiken einer Software an. Im liberalen Rechtsstaat sollte sich der Prozess umgekehrt vollziehen: Zuerst stellt sich die Frage, welches Problem gelöst werden soll. Danach kommt die Analyse des praktischen und rechtlichen Ist-Zustands sowie der möglicherweise erforderlichen Anpassungen in Gesetzen, Abläufen und Prozessen. Erst im letzten Schritt folgt die Arbeit an einer entsprechenden Lösung und gegebenenfalls die Beschaffung oder Ausgestaltung eines passenden Tools.
Die demokratische Legitimität unseres Rechtsstaats und das Vertrauen der Bürger in ihre Sicherheitsbehörden speisen sich nicht aus maximaler Überwachungseffizienz, sondern aus seiner Berechenbarkeit, seiner Transparenz und der unbedingten Achtung der Grundrechte. Den Rechtsstaat zum Experimentierfeld zu machen, auf dem mit sensiblen Daten der Bürger nach dem Prinzip Trial and Error hantiert wird, ist kein rein technisches Upgrade mehr, sondern ein Paradigmenwechsel. Es ist der Abschied von einem Staat, der seine Macht durch Recht begrenzt und sich bewusst Fesseln anlegt, hin zu einem präventiven Sicherheitsapparat, der im Trüben fischt und dabei genau die Freiheit aufs Spiel setzt, die er zu schützen vorgibt. Es ist Zeit, diese Entwicklung kritisch zu hinterfragen und eine klare Grenze zu ziehen. Denn Sicherheit, die wir durch den Verlust unserer Freiheit und Souveränität erkaufen, ist am Ende keine mehr.