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Veranstaltung
Unabhängige Gerichte: „Was in Polen passiert, ist relevant für alle in der EU“

Die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen Prof. Dr. Małgorzata Gersdorfund Ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger diskutierten in Berlin über die Rechtstaatlichkeit in Polen und Europa
Die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen Prof. Dr. Małgorzata Gersdorf
Die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen Prof. Dr. Małgorzata Gersdorf © Thomas Koehler/photothek.net

Eine umfassende Justizreform in Polen bedroht nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs die Unabhängigkeit der Justiz. Im November fällte der Gerichtshof bereits seine zweite richtungsweisende Entscheidung gegen die polnische Rechtspolitik. Über die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen diskutierten, einen Tag nach dem internationalen Tag der Menschenrechte, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerin und Professorin Małgorzata Gersdorf, Erste Präsidentin des Obersten Gerichtshofs in Polen zusammen mit  F.A.Z Korrespondentin Dr. Helene Bubrowski.

„In Europa gibt es besorgniserregende Entwicklungen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit“ – eröffnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Justizministerin a.D. und stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, die Veranstaltung über die Unabhängigkeit der Gerichte und ihren Einfluss auf die Demokratie in Polen. „Die Unabhängigkeit der Justiz in Polen wird untergraben, aber Frau Gersdorf ist geblieben“, begrüßte Frau Leutheusser-Schnarrenberger den Gast aus Polen.

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Der Verbleib Prof. Gersdorfs in ihrer Rolle als Präsidentin des polnischen Obersten Gerichtshofs war bis vor kurzem nicht sicher. Die regierende Partei in Polen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) arbeitet seit 2015 an einer umstrittenen Justizreform. Auch Prof. Malgorzata Gersdorf war davon betroffen. Sie wurde kurzzeitig ihres Amtes enthoben, da die Justizreform vorsah, einen Teil der Richter des Obersten Gerichtshofs vorzeitig in den Ruhestand zu schicken. Von diesem Gesetzesentwurf war Prof. Gersdorf betroffen, bis ein EuGH Urteil im Juli 2019 beschloss, dass dies ein Verstoß gegen die europäische Grundrechtsordnung darstellt.

Die Teilnahme an der Diskussion über den schlechten Zustand der Rechtstaatlichkeit in Polen sei weder einfach noch angenehm, erklärte Małgorzata Gersdorf während ihrer Begrüßung. „In Polen gibt es seit 2015 kein funktionierendes Verfassungsgericht mehr“, so Gersdorf. Bereits die erste Hälfte des Jahres 2019 habe gezeigt, dass sich die Anzahl der bearbeiteten Fälle im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein zehnfaches verringert hat. Die Bearbeitung von Fällen, welche sich kritisch mit der Regierung auseinandersetzen werden „liegen gelassen“. Hasskampagnen gegen Richter und Anwälte sind zur ‚Normalität‘ geworden. Die Regierung stelle die Justiz als Diebe dar, so beschrieb Gersdorf die derzeitige Situation in Polen. Die durch die PiS-Regierung eingesetzte Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof hat in diesem Kontext die Situation nur noch weiter verschärft. Die Disziplinarkammer kann vermeintliche Vorgehen von Richtern maßregeln und setzt Richter und Anwälte weiter unter Druck. Gersdorf kritisierte, dass der Landesjustizrat, der die Richter für die Disziplinarkammer auswählt, bereits Mitglieder nominiert hat, die offensichtlich von einer bestimmten politischen Couleur gefärbt seien und zwar der von PiS: „Im Landesjustizrat sitzen Mitglieder, die von der PiS-dominierten Parlamentsmehrheit bestimmt wurden“, sagte Gersdorf.

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Im November 2019 hat der EuGH diese Angelegenheit an den polnischen Obersten Gerichtshof zurückverwiesen und ermächtigt nach europäischem Recht zu urteilen. Anfang Dezember erklärte dieser die Disziplinarkammer für nicht rechtens. Die Präsidentin des Obersten Gerichtshof Gersdorf bekräftigte während der Diskussion, dass diese Entscheidung richtig war: „Mit dem Eintritt in die Europäische Union hat Polen den Vorrang des EU-Rechts anerkannt“. Die stellvertretende Vorsitzende der Stiftung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, fügte hinzu, dass die Europäische Union nun versuchen müsse mit der polnischen Regierung zu verhandeln, um weiterführende Veränderungen durchsetzen zu können und andere Mitgliedstaaten, die vor ähnlichen Herausforderungen stünden, effektiv beiseitezustehen. „Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie man die Justizsysteme noch robuster machen kann“, so Leutheusser-Schnarrenberger.

Was bisher in Polen passiert sei, sei relevant für alle in der EU, sagte Prof. Gersdorf. „Der Kampf für die europäischen Werte war noch nie so wichtig wie jetzt“.

Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Deutschen Juristinnenbund statt.