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Interview
Xi Jinping reist nach Tibet: Mit Militär und Folklore

Xi Jinpin
Der chinesische Präsident Xi Jinping besucht das Drepung-Kloster in der Nähe von Lhasa in der Autonomen Region Tibet im Westen Chinas. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Xie Huanchi  

Überraschend reiste Xi Jinping vergangene Woche in die „Unruheprovinz“ Tibet. Wieso besuchte Xi Tibet gerade jetzt – als erster Präsident seit über dreißig Jahren? Das Design des Besuchs folgt dabei den bekannten Mustern – Folklore, Militär, strahlende Gesichter. Im Interview mit freiheit.org ordnet unsere Expertin Anna Marti den Besuch ein.

Freiheit.org: Frau Marti, Xi Jinping ist der erste chinesische Präsident seit über dreißig Jahren, der Tibet besucht. Wieso hat sich Xi jetzt für die Reise entschieden?

Anna Marti: Peking hält sich da ungewöhnlich bedeckt. Das 70. Jubiläum der „Befreiung“ Tibets durch die Volksbefreiungsarmee wird als Anlass genannt. Der eigentliche Jahrestag war aber schon im Mai. Xi inspizierte während seines Aufenthaltes zudem die fertiggestellte elektrifizierte Zugstrecke nach Lhasa. Aber die Strecke an sich gab es schon seit einiger Zeit, und zur ursprünglichen Fertigstellung war kein Politiker seines Ranges angereist. Ich glaube deswegen nicht, dass das die einzigen Gründe für Xis Besuch waren.

Freiheit.org: Was könnte noch ursächlich gewesen sein?

AM: Tibet ist neben Xinjiang die zweite Provinz, die Peking immer wieder negativ in die Schlagzeilen bringt. Aber das sind nicht die einzigen Gemeinsamkeiten: Ähnlich wie in Xinjiang, wo viele Mitglieder der muslimischen Minderheit der Uiguren leben, gibt es auch in Tibet eine starke autonome Identität, die deutlich mit einer Religion, in diesem Fall dem Buddhismus, verknüpft ist und sich stark vom Han-Chinesentum abgrenzt. Das ist aus Pekings Sicht gefährlich. Die „anti-muslimischen Gesetze“, auf deren Grundlage in Xinjiang Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden, sind bei genauerem Hinsehen vor allem anti-religiöse Gesetze. In Xinjiang hat man die verschiedenen Maßnahmen zur „Han-isierung“ der Bevölkerung jahrelang erprobt. Es ist gut vorstellbar, dass man die „erfolgreichsten Methoden“ jetzt auch in Tibet anwenden will, um auch hier die sprichwörtliche „Ruhe im Karton“ zu schaffen.

Freiheit.org: Der Besuch Xis in Tibet überraschte – anders als sonst üblich gab es keine Vorankündigung. Lief der Besuch auch sonst ungewöhnlich ab?

AM: Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass eine Reise des Staatspräsidenten nicht vorher angekündigt wird. Spontan hat mich aber dieser Besuch, und die Bilder die dort produziert wurden, an meine Studienzeit in China in 2008/2009 erinnert. Damals galt die einfache Faustregel: Wenn aus einer chinesischen Provinz Folkloresendungen im Fernsehen gezeigt werden, gibt es dort vermutlich gerade wieder Unruhen. Wenn also Bilder von glücklichen tibetischen Nomadinnen und Nomaden im Fernsehen zu sehen waren, am besten noch beim Händeschütteln mit einem Parteifunktionär, dann konnte man davon ausgehen, dass es in Tibet wieder zu Zusammenstößen gekommen war.

Die Fotos von Xis Ankunft in Lhasa – mit strahlenden Menschen in traditioneller Kleidung, der Präsident mit dem traditionellen Khata Begrüßungsseidenschal um den Hals – haben mich stark an diese Fernsehsendungen erinnert, der Teil der Reise folgte daher wieder altbekannten Mustern. Die Nachricht, die damit übermittelt werden soll, ist eindeutig: Hier herrscht Harmonie und Frieden. Und ich kann mir gut vorstellen, dass aus diesem Grund vorher nichts über den Besuch bekannt gegeben wurde. Es gibt weltweit viele Menschen, die sich für Tibet einsetzen und sicherlich nicht glücklich sind über solche Inszenierungen Pekings. Reichweitenstarke Kritik an Xis Besuch wollte man sicherlich vermeiden.

Freiheit.org: Mit Xi sind auch Militärs nach Tibet gereist, was hatte es damit auf sich?

AM: Das ergibt Sinn, da Xi ja offiziell des Sieges der Volksbefreiungsarmee in Tibet gedachte. Nun kommt der Besuch aber auch zu einem Zeitpunkt, an dem die chinesischen Beziehungen zu Indien extrem angespannt sind. Tibet grenzt bekanntlich an Indien – und der Dalai Lama floh 1959 über den Landweg nach Dharamsala. Dort ist auch heute noch die tibetische Exilregierung angesiedelt, was ebenfalls ein ständiger Streitpunkt zwischen den beiden Nachbarn ist. Es ist gut vorstellbar, dass das auch Thema des Besuches war. Xi besichtigte während seines Aufenthaltes in Tibet die Baustelle für einen Staudamm, der den Bhramaputra aufstauen soll - sehr zum Ärger Indiens. Der indische Regierungschef Narendra Modi nutzte dann übrigens die Gelegenheit, Peking ebenfalls zu ärgern, indem er bei Twitter verkündete, dass er dem Dalai Lama zum Geburtstag gratuliert habe.

Freiheit.org: Stichwort Dalai Lama – gab es von ihm oder seinem Zirkel Statements zu dem Besuch Xis in Tibet?

AM: Der Dalai Lama selbst hat sich nicht geäußert, der Sprecher der tibetischen Exilregierung Tenzin Lekshay hat den Besuch auf Twitter und in einem Interview kommentiert. Darin rief er dazu auf, dass China den Dialog mit dem Dalai Lama wieder aufnehmen solle. Der Dalai Lama ist dieses Jahr 86 Jahre alt geworden. Wenn ein Dalai Lama stirbt, dann wird eine Suchkommission ausgeschickt, die die neue Inkarnation des Dalai Lamas in Tibet finden soll. Es gibt Befürchtungen, dass die chinesische Regierung das entweder nicht erlauben würde, oder das auserwählte Kind dann, ähnlich wie der Penchen Lama 1995, entführt würde, und an seiner Stelle jemand nach Pekings Gusto eingesetzt werden könnte. Aus diesem Grund hatte der aktuelle Dalai Lama verlauten lassen, dass er nicht sicher sei, ob er sich noch einmal reinkarnieren werde.