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Künstliche Intelligenz
Wirbel in China um ChatGPT

Chat GPT
© picture alliance / CFOTO | CFOTO

ChatGPT sollte in China eigentlich nicht zugänglich sein. Das Interesse ist jedoch riesig. Wer technisch etwas versiert ist, kann den Chatbot des US-Unternehmens OpenAI auch in China nutzen. Peking toleriert das – sofern negativen Vergleiche mit chinesischen Chatbots ausbleiben.

Die neue KI-Technologie ChatGPT der US-Firma OpenAI ist auch in China aufmerksam verfolgt worden. Wang Zhigang (王志刚), Minister für Wissenschaft und Technologie, zeigte sich beeindruckt von dem Durchbruch. Zwar arbeiten neben Baidu und Alibaba, die bereits chinesische Pendants zu ChatGPT haben, derzeit rund ein Dutzend weitere chinesische Firmen an vergleichbaren Technologien. Doch hinkt die chinesische Entwicklung der amerikanischen hinterher. „Es ist wie beim Fußball, jeder kennt die Regeln, aber es ist nicht einfach, so gut wie Messi zu sein”, sagte Wang Anfang März.

Bei der Regulierung hat China allerdings die Nase vorn. Bereits am 11. April veröffentlichte die chinesische Cyberadministration einen Entwurf für neue Regeln zu generativer KI. Diese zeigen Pekings Weitsicht hinsichtlich der Bedeutung dieses Technologiebereichs und potentiellem Missbrauch. Gleichzeitig spiegeln die Regularien den politischen Kontrollreflex Pekings wider. Inhalte müssen im Einklang mit den „Kernwerten des Sozialismus“ stehen. Nichts darf „die Staatsmacht untergraben“ oder „die wirtschaftliche oder soziale Ordnung in Frage stellen“.

In den derzeit auf dem Markt befindlichen chinesischen Chatbots ist die Zensur bereits eingebaut. Die Umsetzung variiert. SuperAI der Firma Shengda Cloud Computing Technology beispielsweise beginnt Konversationen mit einem Hinweis: politische Fragen zu Themen wie Xinjiang werden vermieden. Auch Lily, Produkt von MetaSOTA Technology Inc., weicht „unpassenden“ Themen wie Menschenrechte aus. Hier wird vor „illegalen Aktivitäten“ im Zusammenhang mit Taiwan gewarnt.

Diskussion trotz Verbot

Der US-Chatbot von OpenAI ist in China nicht offiziell zugänglich, sondern nur mit verschlüsselten Netzwerkverbindungen u.a. via VPN. Dies hindert Chinesinnen und Chinesen nicht daran, auf ChatGPT zuzugreifen und lebhaft zu diskutieren. Die Analyse von 530 Kommentaren auf der Kurznachrichtenplattform Weibo, die von dem Plattform-Algorithmus als „heiß (diskutiert)“ bezeichnet werden, zeigen drei Haltungen. Rund 32% sind optimistisch. Sie sehen in der KI viele Zukunftschancen, zum Beispiel in Wissenschaft und Forschung. „Die KI-Technologie hinter ChatGPT hat das Potenzial, eine Veränderung zu bewirken, die unsere Vorstellungskraft übersteigt und geradezu übermenschliche Kräfte hat“, schrieb beispielsweise Nutzer:in „Wujiwujilingyu“. Bei 15% überwiegen Sorgen, unter anderem vor gesellschaftlichen Folgen mit Blick auf Falschinformationen und einem Deutungsmonopol von KI-Chatbots. „ChatGPT tut so, als wäre es ein Experte in jeder Angelegenheit. Es gibt vor, alles zu wissen. Wenn es in Bereiche kommt, die dem Benutzer vertraut sind und auf Fehler hingewiesen wird, gibt es zu, nur ein Sprachmodell zu sein. Dann bittet ChatGPT uns, nachsichtig zu sein“, schrieb Nutzer:in „Yige“. Die meisten Kommentare auf Weibo zu ChatGPT, 53%, enthalten keine Wertung der KI-Technologie.

Große Reichweite unerwünscht

Das Suchwort „ChatGPT“ generierte 150 abrufbare Treffer auf der Webseite „FreeWeibo“. So lässt sich ein Überblick über zensierte Inhalte zum Thema ChatGPT gewinnen. Wenig überraschend ist das Löschen von Kritik an der mangelnden Innovationskraft Chinas (22% der zensierten Beiträge) oder von politisch sensiblen Fragen an den Chatbot (19%). Der Plattformdienst Weibo löschte allerdings auch Diskussionen über soziale Konsequenzen der Nutzung von ChatGPT, zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder Vereinsamung. Schließlich bedeutet die Beliebtheit eines KI-Unternehmens aus den USA nicht nur einen Gesichtsverlust für die chinesische KI-Industrie, sondern bringt auch reale Sicherheitsprobleme mit sich. In Gansu wurde Anfang April ein Mann verhaftet, der ChatGPT für das Verfassen einer Falschmeldung über ein Zugunglück genutzt haben soll. Auch Tutorials und kostenpflichtige Angebote zur Umgehung des Nutzungsverbotes (z.B. über VPN oder Dienstleister im Ausland) wurden laut der Daten von FreeWeibo zensiert.

Themen der zensierten Posts zum Thema ChatGPT auf FreeWeibo

Themen der zensierten Posts zum Thema ChatGPT auf FreeWeibo.

© Eigene Auswertung auf Basis von Daten der Plattform FreeWeibo.com

Die chinesische Regierung  sieht sich scheinbar davon herausgefordert, dass die USA eine Technologie wie ChatGPT vor China auf den Markt gebracht haben. Dass chinesische Chatbot-Varianten bislang wenig überzeugen, verwundert. Denn die Investitionen und die Erfolgsrhetorik der chinesischen Regierung im Technologiesektor sind enorm. Doch mit eingebauter Zensur entfalten generative, KI-basierte Programme offenbar ihr volles Innovationspotenzial noch nicht. Dies bleibt auch in Zukunft fraglich, falls immer mehr Themen oder auch Anwendungsbereiche auf die Tabuliste kommen. Immerhin ist China nun mit der schnellen Regulierung von generativer KI Vorreiter. Das deutet darauf hin, dass die chinesische Regierung die Nutzung der Technologie weiter vorantreiben und ausweiten will – ohne die Kontrolle über den Informations- und Datenfluss zu verlieren.

Wang Ping ist das Pseudonym eines freien Autors aus der VR China. Kristin Shi-Kupfer ist Professorin für Sinologie an der Universität Trier und Senior Associate Fellow bei MERICS. Ihr Text basiert auf dem aktuellen China Spektrum, das Einblicke in Debatten jenseits der Regierungslinie bietet. China Spektrum ist ein von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gefördertes Projekt des China-Instituts der Universität Trier (CIUT) und des Mercator Instituts für Chinastudien (MERICS).

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