EN

Hongkong
Exodus oder Groß-Shenzhen? Großbritannien lockert Aufenthaltsbestimmungen für Menschen aus Hongkong

Proteste gegen Sicherheitsgesetz in Hongkong
Sicherheitskräfte und Demonstranten in Hongkong © picture alliance / Geisler-Fotopress | Jayne Russell/Geisler-Fotopress

Großbritannien hat zum 1. Februar 2021 die Aufenthaltsbestimmungen für Hongkonger*innen, die noch zu Kolonialzeiten geboren sind, gelockert. Vor allem junge, gut ausgebildete Menschen denken über das Auswandern nach. Peking ist empört und wertet das britische Verhalten als einen Bruch von Vereinbarungen, analysiert unsere Expertin Anna Marti.

„Hongkong gibt es nicht mehr. Man sollte es mit der Nachbarstadt zusammenlegen und in Groß-Shenzhen umbenennen, das wäre passender. Hongkong ist eine chinesische Stadt geworden wie jede andere auch, nur mit noch strengeren Regeln und Kontrollen. Wir haben das schlechteste aus beiden Welten bekommen“ So wie Kelly Yam (Name geändert) denken inzwischen viele junge Hongkonger*innen über ihre Heimat. Grund dafür ist das neue Sicherheitsgesetz, das massiv Freiheitsrechte einschränkt und auf dessen Grundlage die Polizei bereits Dutzende Demokratie-Verfechter festgenommen hat.

Dabei galt Hongkong lange als sicherer Hafen. Das Hongkonger Grundgesetz, Basic Law, garantierte bürgerliche Freiheiten. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der funktionierende Rechtstaat zogen internationale Unternehmen an, die ihre Asien-Hauptquartiere in Hongkong ansiedelten. Doch seit dem Inkrafttreten des sogenannten Nationalen Sicherheitsgesetzes am 30. Juni 2020 ist das anders.

Die Konsequenzen reichen weit, wie sich nur wenige Monate später zeigte: Als die Parlamentarier*innen der pan-demokratischen Fraktion im Juli gegen das Budget der Regierung stimmen wollten, drohte Regierungschefin Carry Lam ihnen mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz –  Festnahmen folgten. Ein normaler demokratischer Akt ist eine mögliche Straftat geworden. Das liberale und rechtstaatliche Hongkong gibt es nicht mehr.  

Großbritannien bietet neues Visum an

Es verwundert daher nicht, dass viele Menschen in Hongkong darüber nachdenken, auszuwandern. Aber wohin? Neben der demokratisch regierten Insel Taiwan bietet sich nun auch Großbritannien an. Wer noch zu Kolonialzeiten in Hongkong geboren ist, konnte sich bis zur Rückgabe der Kolonie 1997 als „British Nationals Overseas“ (BNO) registrieren. Das sollte das Reisen erleichtert, berechtigte aber nicht dazu, sich im Vereinigten Königreich niederzulassen. Doch mit der Verkündung des Sicherheitsgesetzes entschied sich die britische Regierung dazu, die Aufenthaltsbestimmungen für die Bürger Hongkongs zu erleichtern. Seit dem 1. Februar gilt ein Visum speziell für BNOs: Damit können die betroffenen Hongkonger*innen für fünf Jahre im Vereinigten Königreich arbeiten und studieren, und sich später einbürgern lassen.

Der britische Premierminister Boris Johnson verkündete, seine Regierung rechne damit, dass etwa 300.000 Menschen von diesem Visum Gebrauch machen werden. Das Königreich kann damit doppelt gewinnen: Eine Umfrage der Zeitung MingPao ergab, dass es vor allem junge, sehr gut ausgebildete Menschen sind, die womöglich auswandern wollen. Sie waren es auch, die den Hauptbestandteil der Demonstrierenden ausmachten, die noch im vergangenen Jahr zu Hunderttausenden demokratische Reformen gefordert hatten.

Abstimmung mit den Füßen

Peking reagierte brüskiert auf das britische Visums-Angebot: Man werde den BNO-Pass ab sofort nicht mehr als Reisedokument anerkennen und halte dieses Visum für eine Verletzung der Verträge zur Übergabe Hongkongs von Großbritannien an China vor mehr als 20 Jahren, ließ Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, verlauten. Weitere Schritte behalte man sich vor. Verhindern kann die Volksrepublik die Ausreise der Hongkonger*innen damit jedoch nicht, denn alle Hongkonger Bürger haben auch einen chinesischen Pass, den sie vorzeigen können.

Die Hongkonger*innen hatten nicht die Gelegenheit, über das neue Sicherheitsgesetz an einer Urne abzustimmen. Stattdessen werden sie es mit den Füßen tun –  wer kann, geht dorthin, wo die eigenen Freiheitsrechte respektiert werden. Für Peking wird diese Entwicklung höchstens etwas peinlich sein. Die Abwanderung wird sicherlich durch genügend junge, ebenfalls gut ausgebildete Chines*innen vom Festland ausgeglichen. Und so wird Hongkong noch ein Stück mehr zu einer ganz normalen festlandchinesischen Stadt werden und sich kaum noch von der benachbarten Stadt Shenzhen unterscheiden lassen.

Anna Marti ist designierte Leiterin des neuen FNF-Büros in Taiwan, das 2021 eröffnet wird.