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Südafrika: Auf der Suche nach einer Alternative

Eine Wählerin gibt ihre Stimme in Südafrika ab.
Eine Wählerin gibt ihre Stimme in Südafrika ab. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Denis Farrell

Für wen stimmt man, wenn keine der zur Wahl stehenden demokratischen Parteien eine ansprechende Alternative darstellt? Vor diesem Dilemma standen Millionen Südafrikanerinnen und Südafrikaner vor den am Montag abgehaltenen Kommunalwahlen.

Mit Blick auf die politische, wirtschaftliche und soziale Gesamtlage in Südafrika herrschte sowohl in der Bevölkerung als auch unter den politischen Parteien wohl in nur einem Punkt Einigkeit: Das Land am Kap steht vor den größten Herausforderungen seit dem Ende der Apartheid. Korruption, Missmanagement und ökonomische Krisen haben das politische und wirtschaftliche System über Jahrzehnte ausgehöhlt – gipfelnd im Verlust von geschätzten 85 Milliarden Euro durch das „State Capture“ während der Amtszeit des ehemaligen Staatspräsidenten Jacob Zuma. Für einen Staat mit der Wirtschaftskraft Niedersachsens wirkt sich ein solcher ökonomischer Schaden nachhaltig verheerend aus; die massiven Einschränkungen zur Bekämpfung der in Südafrika besonders stark wütenden Corona-Pandemie tun ihr Übriges. So leidet Südafrika gegenwärtig unter einer Rekordarbeitslosenquote von 44,4 Prozent, einer Energiekrise, die zu stundenlangen Stromausfällen führt, und einer breiten Unzufriedenheit mit der Bereitstellung öffentlicher Dienste wie der Polizei, Wasserversorgung und Verkehrsinfrastruktur.

Hinzu – und dadurch bedingt – kommt das Aufbrechen alter Wunden und sozialer Konflikte, die lange Zeit unter der gesellschaftlichen Oberfläche schwelten, und mit der rechtmäßigen Verurteilung Jacob Zumas wegen Missachtung der Justiz im Juli dieses Jahres eruptierten. Die gewaltsamen und teilweise rassistisch motivierten Ausschreitungen mit mehr als 330 Toten haben auf schockierende Weise gezeigt, wie labil der gesellschaftliche Zusammenhalt in der selbsterklärten Rainbow-Nation noch immer ist.

Diese innere Zerrissenheit spiegelte sich auch im Vorlauf der Kommunalwahlen wieder, in dem mindestens zehn Kandidaten mutmaßlich Opfer politischer Morde und so Teil der traurigen Statistik von über 400 gezielt getöteten Menschen aus der Politik und dem politischen Umfeld in den letzten zwanzig Jahren wurden. Um das Ausbrechen von Unruhen zu verhindern, mussten rund zehntausend Soldaten Wahllokale und potenzielle Brennpunkte bewachen.

Demokratie ohne Vertrauen

Gründe dafür lassen sich im erodierenden Vertrauen der südafrikanischen Bevölkerung in die politischen Parteien identifizieren. Der traditionell dominierende ANC gilt in weiten Kreisen der Gesellschaft – spätestens seit dem Bekanntwerden der Korruptionsvorfälle unter Jacob Zuma – als nicht wählbar, gar als Wurzel der aktuellen Probleme. Eine im Juli durchgeführte Umfrage des renommierten Afrobarometers ergab, dass lediglich 27 Prozent der Befragten dem regierenden ANC noch Vertrauen schenken. Was in manch anderem Land für unverhohlene Schadenfreude unter den politischen Konkurrenten führen dürfte, löst in Südafrika vor allem Sorgen über die Stabilität des politischen Systems aus. So zeigte sich eine breite Mehrheit von 67 Prozent der Befragten willens, auf grundlegende demokratische Rechte wie freie Wahlen zu verzichten, wenn eine nicht gewählte Regierung für Sicherheit, Wohnraum und Arbeitsplätze sorgen könnte. Das Vertrauen in fast alle demokratischen Institutionen ist extrem niedrig – und es sinkt immer weiter.

Langfristig sieht sich die südafrikanische Demokratie so auch mit einem massiven Legitimitätsproblem konfrontiert. Nach ersten Hochrechnungen haben nur 28 Prozent der Wahlberechtigten bei den Kommunalwahlen ihre Stimme abgegeben – für viele eine bewusste politische Entscheidung. In einem Land, in dem Tausende Menschen im Kampf für die Demokratie und Freiheitsrechte gestorben sind, hat ein solcher Schritt immer auch eine große symbolische Bedeutung.

Die geringe Wahlbeteiligung ist nicht zuletzt auf die Schwäche der politischen Opposition, der wiederum lediglich 24 Prozent der Menschen vertrauen, zurückzuführen. Die Democratic Alliance, seit Jahren Herausforderin des ANC und Hoffnung vieler liberaler Südafrikanerinnen und Südafrikaner, leidet unter internen Grabenkämpfen und Rassismusvorwürfen. Einschlägigen Umfragen zufolge wird die Partei ein Ergebnis zwischen 20 und 24 Prozent erzielen, was einem deutlich schlechteren Ergebnis als noch bei der letzten Kommunalwahl vor fünf Jahren entspräche (26,9 Prozent).

Die linkspopulistischen Economic Freedom Fighter wiederum werden mit einem fast zweistelligen prozentualen Stimmenzuwachs rechnen können und voraussichtlich ein Ergebnis um die 14 Prozent erzielen. Mit ihrer scharfen Rhetorik und Forderungen nach der Enteignung weißer Farmer verschrecken sie jedoch große Teile der Wählerschaft und werden kaum als eine potenziell staatstragende Kraft wahrgenommen.

Gehört die Zukunft politischen Bewegungen?

So verwundert es nicht, dass bei den diesjährigen Kommunalwahlen eine Rekordzahl an unabhängigen Kandidatinnen und Kandidaten für die öffentlichen Ämter kandidierten. Auch stehen zahlreiche Bürgerbewegungen und Kleinparteien, die bestimmte und oftmals lokal begrenzte Themen adressieren, erstmals zur Wahl. Einige der unabhängigen Kandidatinnen und Kandidaten werden von der neugegründeten Bewegung One South Africa unter der Leitung des ehemaligen Oppositionsführers Mmusi Maimane unterstützt. Ihm gehe es darum, so Maimane, „die Kommunalverwaltung von den Fesseln der politischen Parteien zu befreien.“ Kann das funktionieren?

Das durchschnittliche Alter eines Südafrikaners beträgt 28, das eines Abgeordneten im Parlament 50 Jahre. Ein oft geäußerter Vorwurf lautet daher, dass Politiker die Bedürfnisse junger Menschen nicht kennen oder gar ignorieren. Dass viele der unabhängigen Kandidaten vergleichsweise jungen Alters sind, stimmt hoffnungsvoll – und ist längst überfällig. Denn junge Menschen begegnen den politischen Parteien zunehmend mit Verdruss, wie der besorgniserregend niedrige Anteil an registrierten Wählern im Alter zwischen 18 und 35 Jahren zeigt. Lag dieser 2004 noch bei 44 Prozent, beträgt er nunmehr lediglich 17,5 Prozent.

Welche Potenziale One South Africa langfristig entfesseln kann und ob die Zukunft im verkrusteten südafrikanischen Parteiensystem unabhängigen Kandidaten und Bewegungen gehört, bleibt abzuwarten. Eine der größten Herausforderungen für Mmusi Maimane und seine Mitstreiter wird es sein, junge Menschen gezielt anzusprechen und wieder zum Wählen zu motivieren. Ein Argument haben sie dabei auf ihrer Seite: Sie sind eine echte Alternative.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat es sich zum Ziel gemacht, junge Südafrikanerinnen und Südafrikaner zum Wählen zu motivieren. Informationen über das Projekt finden Sie hier.

 

Anmerkung: Die offiziellen Ergebnisse der Kommunalwahlen werden in einem Zeitraum von sieben Tagen nach der Wahl veröffentlicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels sind sie noch nicht bekannt.