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Italien
Wahl in Italien: Die Uhr tickt unaufhaltsam

Giorgia Meloni

Giorgia Meloni

© Getty Images / Paolo Bruno / Freier Fotograf

Der Countdown läuft: Am 25. September sind rund 46,6 Millionen Italienerinnen und Italiener zu den Urnen gerufen. Den Parteien blieb kaum Zeit, sich auf die vorgezogenen Wahlen vorzubereiten. Der kurze, zweimonatige Wahlkampf konzentriert sich bisher auf die Themen Inflation, steigende Lebenshaltungs- und Energiekosten, Ukraine-Krieg und Migration. Italiens Rechtsblock unter Führung der rechtsextremen Fratelli d'Italia in Koalition mit der Lega und Forza Italia hat gute Aussichten, in beiden Kammern die absolute Mehrheit zu erreichen. Der derzeitigen Einigkeit des rechten Lagers kommt für ihren Favoritenstatus bei der Wahl eine Schlüsselrolle zu: Das italienische Wahlsystem belohnt große Bündnisse, weil ein Teil nach dem Verhältniswahlrecht über Parteilisten mehr als ein Drittel der Abgeordneten aber nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Die Wahlbeteiligung dürfte in jedem Fall mit ca. 65 Prozent als die bisher niedrigste bei Parlamentswahlen seit der Gründung der Republik in die Geschichte eingehen.

Rechts

Giorga Meloni könnte Italiens erste Frau im Amt der Ministerpräsidentin werden. Sie ist die charismatische Anführerin der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens). Meloni ist es gelungen, ihre rechtsextreme Partei salonfähig und zur stärksten Kraft im Land zu machen. Bei den letzten Wahlen 2018 kam die 2012 gegründete Partei auf gerade einmal 4 %; jetzt liegt sie in den Umfragen zwischen 24 und 26 % – Tendenz weiter steigend. Meloni tritt nicht so polternd auf wie ein Salvini, sondern agiert rhetorisch geschickt und verbindlich. Sie gilt als politische Ziehtochter Berlusconis und machte als jüngste Ministerin aller Zeiten in seiner Regierung im Jahr 2008 Schlagzeilen. In ihrer Jugend war sie Mitglied einer neofaschistischen Jugendorganisation; heute macht sie Stimmung gegen muslimische Einwanderer und das Abtreibungsrecht und bewundert Ungarns Viktor Orbán. Die Förderung der „traditionellen italienischen Familie“ und die Einschränkung von LGBTIQ+ Rechten stehen im Zeichen ihrer geplanten „Gott, Familie, Vaterland"-Politik. Ansonsten sieht das Wahlprogramm u.a. Steuersenkungen, die Erhöhung der Renten, Direktwahlen für den italienischen Staatspräsidenten und die Abschaffung des umstrittenen "Bürgerlohns" zur Armutsbekämpfung, dem Prestigeprojekt der 5-Sterne-Bewegung, vor. Von Beginn des Ukraine-Krieges an setze Meloni auf das transatlantische Bündnis. EU-politisch will sie das EU-Konjunkturprogramm neu verhandeln und den EU-Stabilitätspakt reformieren. Sie ist Präsidentin der rechtsgerichteten Europapartei Europäische Konservative und Reformer (EKR), der auch die spanische Partei Vox und die Schwedendemokraten angehören. Einen Austritt Italiens aus der EU fordert sie aktuell zwar nicht- will aber eine „neue Rolle für Italien“ in der EU einnehmen. Was das genau bedeutet, bleibt allerdings vage.

Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega verfolgt ähnlich Ziele in ihrem Wahlprogramm und ist mit den Forderungen nach einer restriktiven Migrationspolitik und einem Rückbau des EU-Einflusses ein natürlicher Partner für Meloni. Diesen Sommer verzeichnet die Insel Lampedusa weitgehend unbeachtet von internationalen Medien wieder Rekordzahlen ankommender Migranten -ein gefundenes Fressen für den Lega-Chef, um die Lage für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen und seine Hardliner-Politik der geschlossenen Häfen zu propagieren. Die Lega ist als ehemalige Regierungspartei jetzt nur noch Junior-Partner und liegt derzeit bei 11 Prozent.   

Melonis Partei hat keinerlei Regierungserfahrung – das sieht beim Dritten im Bunde ganz anders aus: Der alternde, aber politisch nicht zu bremsende Silvio Berlusconi hält den Rekord als Italiens am längsten amtierender Regierungschef. Der 85-jährige „Cavaliere“ mischt trotz Verurteilung wegen Steuerbetrugs und einstigen „Bunga-Bunga-Skandalen“ mit seiner konservativen Partei Forza Italia bei diesen Wahlen wieder mit- wenn auch mit rund 7 Prozent laut den Umfragen bei Weitem nicht mehr so erfolgreich wie einst.

So geschlossen wie der Rechte ist der Mitte-Links-Block nicht. Die vorhergesagten 29 Prozent reichen nicht aus, um sich der Übermacht der Rechtsparteien mit einem Wahlbündnis aus Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Liberalen entgegenzustellen - zumal dieses schon nach wenigen Tagen zerbrach, weil die pro-europäische, liberale Partei Azione austrat. Der Parteivorsitzende von Azione, Carlo Calenda, begründete den Schritt damit, dass die Glaubwürdigkeit seiner Partei für Wähler der Mitte durch das Bündnis des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) mit kleinen Linksparteien und den Grünen untergraben werde.

Der PD unter dem etwas farblosen Parteichef Enrico Letta erreicht in den Umfragen zwischen 21 und 22 Prozent. Der PD möchte in seinem Wahlprogramm die erneuerbaren Energien ausbauen, Familien mit geringem und mittlerem Einkommen unterstützen, Lohnerhöhungen für verschiedene Berufsgruppen durchsetzen und einen Mindestlohn von 9 Euro einführen. Zudem soll Kindern von Einwanderern der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Einbürgerung erleichtert werden, die Strafen für Gewalt oder Diskriminierung gegen LGBTQ+ Personen –Gemeinschaft verschärft und das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt werden. 

Der linkspopulistische Movimento 5 Stelle (5-Sterne-Bewegung), der vom ehemaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte angeführt wird, befindet sich in einer Abwärtsspirale im Vergleich zu den letzten Wahlen: Kam der M5S bei den Wahlen 2018 noch auf 32 Prozent, liegt er nun zwischen 10 und 14 Prozent. In der Sozialpolitik ähnelt das Wahlprogramm sehr dem des PD. Die Partei hat sich unter Conte noch weiter nach links entwickelt, in der Europapolitik streben die 5 Sterne gemeinsame EU-Schulden und eine Änderung des Stabilitätspaktes an. Ex US-Präsident Donald Trump hat eine Wahlempfehlung für seinen Freund „Giuseppi“ ausgesprochen – so nannte er Italiens damaligen – noch parteilosen- Premier Conte liebevoll. Das brachte Conte viel Spott ein und dürfte für viele Wähler eher abschreckend wirken.

Dritter Pol

Angesichts des Populismus von links und rechts in Italien erfreut sich die Mitte des politischen Spektrums derzeit Zulauf mit dem liberalen, pro-europäischen Bündnis um die Spitzenkandidaten Carlo Calenda von Azione und den ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi von Italia Viva. Die liberale Allianz setzt sich für ein geeintes Europa, Rechtsstaatlichkeit, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und faire Handelsbeziehungen sowie gegen Populismus, eine weitere Verschuldung und die Verschwendung öffentlicher Gelder ein. Die Mittel des Wiederaufbaufonds der EU sollen für den dringend nötigen Strukturwandel von Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung verwendet werden. Beide Bündnispartner waren Teil und große Unterstützer der Regierung Draghi. Sie wollen den eingeschlagenen Modernisierungskurs weiter vorantreiben. Mit Mariastella Gelmini and Mara Carfagna sind gleich zwei Ministerinnen von Forza Italia aus Verärgerung über die Rolle der Partei beim Zusammenbruch der Draghi-Regierung zum liberalen Bündnis gewechselt. Wie nachhaltig das Bündnis wirken und einen Platz in der politischen Mitte in der volatilen italienischen Parteilandschaft besetzen kann, wird auch davon abhängen, ob es dauerhaft gelingt, die chronischen partei- und bündnisinternen Differenzen beizulegen und Fragen der Persönlichkeit durch Fragen des Inhalts zu ersetzen. Der „Terzo Polo“ (dritte Pol) hofft bei den Wahlen auf ein Ergebnis von rund 10 Prozent, um das Zünglein an der Wage zu spielen und eine Regierungschefin Meloni doch noch zu verhindern. Vielleicht wird die Regierung mit Meloni als Atlantikerin und ihren rechten Verbündeten als „Putiniani“, wie Putinversteher in Italien genannt werden, auch keine gemeinsame Linie und damit von selbst ein schnelles Ende finden. Unbegründet ist diese Annahme nicht, nach der Wahl ist vor der Wahl, insbesondere in Italien: 67 Regierungen in 76 Jahren und eine durchschnittliche Amtszeit etwas über einem Jahr. Sonst ein Indikator für die chronische Instabilität im Land, ist es in diesem Fall ein Hoffnungsschimmer.

Rahel Zibner, Projektmanagerin für Spanien, Italien und Portugal der Friedrich-Naumann-Stiftung in Madrid