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Die Wichtigkeit, von unten anzufangen

Diana Muresan aus Rumänien
Muresan

2016 beobachtete die junge Hermannstädterin Diana Mureșan, wie die Bewegung „Rettet Bukarest“ ein Drittel der Stimmen der Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt des Landes gewann. Während ihr Kandidat Nicușor Dan zum zweiten Mal die Wahl in Bukarest nicht für sich entscheiden konnte, erfüllte der von ihm und seinen Kollegen geführte Wahlkampf seinen Zweck. Der jahrzehntelange unermüdliche Kampf für den Erhalt des kulturellen Erbes der Stadt und gegen die Korruption inspirierte Mureșan und tausende andere Rumänen, die sich gerne politisch betätigen würden, sich aber nicht im Kampf gegen die bestehenden Parteien die Hände verbrennen wollten.

„Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht ausreicht, nur zu hoffen, dass sich jemand anderes darum kümmert. Also folgte ich der Weisheit "Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst", geh raus und tue selbst etwas und sei Teil der Veränderung“, sagt Mureșan über diesen Wendepunkt in ihrem Leben.

Vier Jahre später hatte die USR unter der Führung des Spezialisten für EU-Fonds Dan Barna, einem ehemaligen Mitglied der technokratischen Regierung von 2016 eine Allianz mit ihrem heutigen Partner PLUS geschmiedet und war zu einem der einflussreichsten politischen Kräfte im Land aufgestiegen. Die Koalition besteht aus einer starken Delegation von acht Abgeordneten, einer Reihe von Bürgermeistern aus großen rumänischen Städten, einschließlich der Hauptstadt und fast einem Fünftel der Mitglieder des rumänischen Parlaments. Diana Mureșan leitet die Verwaltungsstelle der Partei in Hermannstadt und ist Abgeordnete im Stadtrat der Stadt, wo die Partei nun vier von 23 Sitzen hält. Während sie heute sagt, dass sie ihre Leidenschaft in öffentlichen Belangen gefunden hat, hätte dies vor vier Jahren nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein können.

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Die ersten Schritte und die ersten Hürden

Als junge Pharmakologieabsolventin, die gerade mit ihrem zukünftigen Ehemann Catalin ihr eigenes kleines Tourismusunternehmen gegründet hatte, hätte sie sich damals nie im Leben vorstellen können, Politikerin zu werden. „Keine der anderen Parteien kam für mich in Frage, weil die anderen Parteien Vetternwirtschaft praktizierten. Beziehungen zu den richtigen Leuten zu haben, ist in den anderen Parteien wichtiger, als kompetent zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich jemals politisch betätigen würde oder dass ich jemals eine politische Karriere haben würde, aber ich bin dann letztendlich in die Politik gegangen, weil Rumänien eine Veränderung brauchte“, sagt sie.

Ein paar Monate nach den Kommunalwahlen im Jahr 2016 entstand die „Rette Rumänien Union“ (USR), die sehr von der Popularität und Unterstützung Dan Nicușors profitierte. Catalin schloss sich dem neu gegründeten Parteisitz in Hermannstadt an, und nach kurzem Zögern folgte auch Diana. Dieser Schritt wurde von den ihr am nächsten stehenden Menschen nicht gerade begrüßt. „Viele haben kein Verständnis dafür, wenn sich jemand politisch engagiert. Der allgemeinen Ansicht nach vertreten in der Politik nur unanständige Menschen das Volk – das ist die Wahrnehmung in Rumänien. Unsere Eltern und Verwandten haben uns immer gesagt: ‚Ihr seid erfolgreiche Menschen, ihr habt ein eigenes Geschäft, ihr reist viel um die Welt – also warum macht ihr das?“ erinnert sich Mureșan.

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Das war aber nicht alles: Für ihre Eltern war es sogar noch verblüffender, dass sie als Frau sich noch stärker in der örtlichen Filiale von USR engagiert hat als Cătălin. Diese Einstellung ist in vielen Teilen des Landes immer noch gang und gäbe. „Ich finde, dass Frauen in Rumänien mit vielen Vorurteilen konfrontiert werden“, sagt sie. „Es wird von dir als Frau erwartet, dass du deine Karriere und deine Träume vernachlässigst, um dich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern. Vom Ehemann wird es erwartet, dass er eine politische Karriere macht, dass er Geld in den Haushalt bringt“, fügt sie hinzu. Trotz ihrer aktiven Beteiligung innerhalb der Partei wird Mureșan von potenziellen Wählern leicht übersehen. „Der Unterschied ist vor allem in ländlichen Gebieten zu merken, wo Frauen als Anführerinnen nicht mal ernst genommen werden. Wenn wir auf Wahlkampagne sind und in den Dörfern herumgehen, um mit den Leuten zu reden, falls wir fünf Männer und zwei Frauen sind, sprechen die Menschen eher mit den Männern als mit den Frauen. Also muss man halt nach vorne gehen und selbst anfangen zu reden”, sagt sie lächelnd. 

Dies hat jedoch die junge Politikerin nicht davon abgehalten, selbst aktiver zu werden. Ganz im Gegenteil motivierte es sie, selbstbewusster und selbstsicherer in der Öffentlichkeit aufzutreten. Mit der Unterstützung ihres jetzigen Ehemannes, Cătălin, der einsah, dass die Flamme für öffentliche Angelegenheiten in ihr noch stärker brannte als in ihm, machte sie Fortschritte sowohl innerhalb der Partei als auch bei den Wahlkampagnen, die von der örtlichen Filiale von USR organisiert wurden.

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Eine Politikerin, die sich nicht verstellen will

Im Gegensatz zu vielen anderen Politiker:innen, die mit solch relativ schnellem Erfolg überhäuft werden könnten, lässt es Mureșan lieber langsam angehen. „Ich beschloss, Schritt für Schritt vorzugehen. Ich hätte mich intern als Kandidatin zur Europawahl oder zur Parlamentswahl 2016 bewerben können, aber ich wollte von unten anfangen und alles lernen, was es zu lernen gibt, und erst dann einen nächsten Schritt wagen”, berichtet sie. Ihre Leidenschaft für Hermannstadt, eine Stadt voller historischer Denkmäler, die für Rumänien längst Anlass zum Stolz sind, hat sie zu dem Entschluss gebracht, sich darauf zu konzentrieren, das Leben in ihrer unmittelbaren Umgebung zu verbessern, genauso wie ihre Kolleg:innen von Beginn der Bewegung in Bukarest. „Unsere Partei ist eine Basispartei, sodass alles von unten anfängt und dann nach oben führt. Und so will ich auch meine Karriere in der Politik aufbauen, von unten nach oben“, erklärt Mureșan mit Überzeugung.

Ein „Fake it till you make it“-Ansatz, wie ihn viele Politiker verfolgen, würde für sie nicht funktionieren. Sie möchte erstmal das Einmaleins der Kommunalverwaltung begreifen, damit sie eines Tages, wenn sie ins Parlament einzieht (ja, sie scheut sich nicht vor ihren Langzeitambitionen), umso besser weiß, wie sie etwas Gutes für ihren Wahlbezirk tun kann. „Menschen halten die Position eines/r Abgeordneten für etwas höher, allerdings kann es sein, dass man einfach nur zu Sitzungen geht, abstimmt und vier Jahre lang nichts tut. Die Suche nach Lösungen für Probleme in der eigenen Gemeinde dürfte deutlich schwieriger sein“, stellt sie abschließend fest.

Im Moment zielt sie in erster Linie darauf ab, dass Hermannstadt sein Potenzial entfaltet und sich nicht nur auf seinen Lorbeeren ausruht. „Hermannstadt stellte für eine lange Zeit eine Modellstadt für ganz Rumänien dar – wir hatten den Titel Europäische Kulturhauptstadt inne, die Stadt ist sauberer als andere Städte. Wir könnten aber als Stadt noch besser abschneiden, wir könnten auf Augenhöhe mit Städten in Westeuropa sein“, erklärt sie, wobei sie Digitalisierung und die Verbindung zur Natur als Bereiche nennt, in denen sie eine Verbesserung für wünschenswert erachtet

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Erkenntnisse aus einer belasteten Vergangenheit

Ihre Ausrichtung auf lokale Angelegenheiten heißt aber nicht, dass Diana Mureșan sich nicht mit dem größeren Rahmen beschäftigt, innerhalb dessen ihre Partei und sie agieren. „Ich identifiziere mich mit den liberalen Werten und Freiheit gehört eigentlich zu den Werten, die ich am meisten schätze”, berichtet sie. „Da ich die Geschichte meines Landes kenne und mir davon bewusst bin, dass sich meine Eltern unter einem autoritären Regime nur wenige Freiheiten erlaubten, weiß ich die Freiheit noch mehr zu schätzen”, sagt sie im Weiteren.

In Mureșans Fall, was sie an USR näher anzog, war genau die Tatsache, dass sich die Partei aktiv für die Werte einsetzt, an die sie selbst glaubt. „Ich habe mich für USR entschieden, weil sie gegen Korruption kämpfen; es ist die erste Partei, die Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, die Abschaffung von Sinekuren auf allen Ebenen der Verwaltung sowie eine effiziente Verwendung der öffentlichen Gelder fordert, damit wir öffentliche Krankenhäuser, eine gute Infrastruktur und ein besseres Bildungssystem haben. All dies können wir nur dann erreichen, wenn es keine Korruption gibt.”

Sie ist der Ansicht, dass viele der Probleme, mit denen Rumänien heute konfrontiert ist, einschließlich des Sexismus, vom totalitären Regime von Nicolae Ceaușescu gesät seien. „Der Sozialismus als eine Ideologie, die Männer und Frauen gleichstellen wollte, aber das war in Rumänien nicht der Fall. Wenn wir vom Thema Geburtenkontrolle reden, sollten die Rumänen nach dem Dekret von 1966 viele Kinder zur Welt bringen. Da war es halt schwierig, als Frau etwas anderes außerhalb der Familie zu tun“, sagt sie.

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Zwar gehört diese schädliche Politik der Vergangenheit an und die Frauen im Lande können frei über ihr Leben entscheiden, aber die 40 Jahre Diktatur haben die öffentliche Wahrnehmung der Frauen hierzulande dauerhaft geprägt. „Im Sozialismus hatten wir nicht wirklich viele weibliche Führungskräfte, abgesehen von Elena Ceaușescu, der Frau des Diktators, und Ana Pauker, doch sie waren die einzigen Figuren über einen Zeitraum von 40 Jahren. Frauen waren auch Mitglieder der Partei, aber sie hielten keine höheren Positionen, sie waren nirgendwo an der Spitze.”

Der Mangel an Vorbildern von damals schlägt sich heute in mangelndem Durchsetzungsvermögen nieder. „Es ist eine Frage der Mentalität und manchmal erkenne ich das bei mir selbst. Es liegt an der Erziehung, die wir in unseren Familien bekommen haben. Wir sind nicht so selbstbewusst wie Männer, weil wir nicht so erzogen wurden wie die Männer“, erklärt sie und erinnert sich dabei an eine lustige –  aber aufschlussreiche – Geschichte aus ihrer eigenen Familie. „Wenn ich nach Hause fahre, um meine Eltern und Großmutter zu besuchen, fragt mich meine Großmutter, wer den Wagen fahren wird: ,Ich hoffe Cătălin wird fahren’. Ich erwidere ihr, dass ich genauso gut Auto fahre und schon genauso lange einen Führerschein habe wie er, aber sie vertraut halt Männern mehr, weil sie mit dem Glauben aufgewachsen ist, dass Männer bessere Fahrer sind.“

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Unterstützung bekommen und Einstellungen ändern

Glücklicherweise konnte sie diese Einstellungen dank der positiven Einstellung ihres Mannes und anderer männlicher Kollegen in ihrer Partei überwinden. „Viele Leute denken, dass nur Frauen Feministen sein können, aber es gibt viele Männer, die Feministen sind und die sich für die Rechte von Frauen einsetzen. Ich hoffe, dass wir künftig die Unterstützung unserer männlichen Kollegen haben werden. Ich bekomme viel Unterstützung von meinen Kollegen in unserer Filiale, manchmal sogar mehr als von meinen Kolleginnen“, meint Mureșan. „Es ist schön zu sehen, dass dies von der neuen Generation kommt, die nicht so sehr von den Vorurteilen der älteren Generation betroffen ist, die viel über dieses Thema liest und die viel in andere Länder reist und sich die Lebensweise dort anschaut”, fasst sie zusammen.

Doch aus ihrer eigenen Erfahrung, in einer konservativen Gesellschaft aufgewachsen zu sein, hat Mureșan gelernt, dass Veränderungen nicht immer einfach und auch nicht unbedingt willkommen sind. „Wir leben jetzt in einer Zeit des Wandels, und zwar in allen Ländern, und Menschen reagieren nicht immer positiv, wenn Veränderungen auf sie zukommen. Und wenn der Wandel kommt, neigen sie dazu, in die Vergangenheit zu schauen – früher war alles perfekt, wunderschön“, meint sie. „Ich beobachte das in Rumänien, wo manche nicht an die eingeschränkten Freiheiten, sondern nur an die schönen Seiten denken, wenn sie sich an die kommunistische Zeit erinnern. Vielleicht handelt es sich um eine Reaktion unseres Gehirns, die uns trösten soll. Aber ich denke, dass sich das nicht mehr stoppen lässt. Es ist wie mit einem Schneeball, der ins Rollen kommt. Ja, es wird bestimmt einige Hindernisse geben, aber man kann die Veränderung nicht mehr aufhalten“, fügt die Politikerin hinzu.

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Sie ist fest davon überzeugt, dass das Einzige, was fortschrittliche politische Kräfte zu tun haben, darin besteht, weiter Druck auszuüben, und nennt als Beispiel die konservativen Bewegungen gegen die Rechte von Homosexuellen in Rumänien und gegen Abtreibung in Polen. „Ich bin eine Optimistin und denke ja, dass wir in die richtige Richtung gehen; wir hatten das gleiche Problem [wie in Polen] mit dem Referendum über die traditionelle Familie2. Wir waren die einzige Partei, die sich gegen diese Verfassungsänderung ausgesprochen hat, und alle haben uns gesagt, dass das politisch nicht machbar sei, dass wir mit der Kirche, die in Rumänien sehr einflussreich ist, zusammenstoßen werden. Sie haben uns gesagt, dass es für uns nicht gut sei und dass es für uns das Ende bedeuten würde”, berichtet  Mureșan. Nachdem das Referendum von der Mehrheit der Rumänen praktisch boykottiert wurde, stellte sich heraus, dass, ganz im Gegenteil, USR die einzige Partei war, die aufgrund ihres prinzipiellen Standpunktes an Unterstützung gewann. „Man muss den Mut haben, seine Meinung zu äußern, dann werden wir uns in Richtung einer offeneren Gesellschaft bewegen“, betont Mureșan.

 „Ich denke, dass Menschen in Rumänien frische Luft in der Politik sehen wollen. Sie wollen junge und energische Politiker:innen, anstatt der gleichen älteren Politiker mit ihren runden Bäuchen. Wir stehen für die Veränderung, die Menschen in Rumänien tatsächlich erwarten. Und ich denke, dass Menschen in Rumänien soweit sind, mehr Frauen und mehr junge Leute in der Politik zu sehen. Die Zeit ist nun reif dafür“, fasst sie zusammen.

 

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