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Krieg in Europa
Ukrainekrieg - Was passiert jetzt in Syrien?

Idlib, Syrien
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picture alliance / ZUMAPRESS.com | Juma Muhammad

Alle Welt blickt mit angehaltenem Atem auf die Ukraine. Doch wie steht es um Syrien, wo Russlands Protegé Baschar al-Assad dank der langjährigen militärischen Unterstützung Moskaus fest im Sattel der Macht sitzt? Welche Auswirkungen wird der Konflikt in der Ukraine auf das gespaltene und vom Bürgerkrieg gebeutelte Land im Nahen Osten haben?

Für viele Syrerinnen und Syrer kommt die Brutalität von Putin nicht als Überraschung. Das russische Militär hat bei der brutalen Intervention im Jahre 2015 jene Strategien und Waffensysteme erprobt, die heute in der Ukraine zum Einsatz kommen -  mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung, damals wie heute. Erschreckend ähnlich sind auch die Propagandatricks der russischen Führung. Verkaufte Moskau den Syrien-Krieg einst als Kampf gegen islamistische Terroristen, so bezeichnet es den Einmarsch in der Ukraine heute als Aktion gegen ein angebliches Nazi-Regime in Kiew, welches die russische Minderheit unterdrücke.

In Syrien ist es Präsident Putin mit seiner Intervention nicht zuletzt auch aufgrund der Untätigkeit des Westens gelungen, den Machthaber Assad im Amt zu halten und gleichzeitig die russische Präsenz im Nahen Osten auszubauen. Deshalb überrascht es auch nicht, dass sich Assads Syrien hinter die Schutzmacht Russlands stellte und in der UN-Vollversammlung gegen die Verurteilung des russischen Angriffs stimmte. Wird aber Russland angesichts des massiven Widerstands der ukrainischen Streitkräfte weiterhin im gleichen Maße für den alten Verbündeten einstehen können? Und welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Syrien und das russische Engagement in der Region im Allgemeinen?

Aufgrund des militärischen Eingreifens der russischen Regierung kontrolliert Baschar al Assad heute zwei Drittel der Fläche Syriens. Nur die Region Idlib im Nordwesten, einige Landstriche an der nördlichen Staatsgrenze und der kurdisch dominierte Nordosten liegen weiterhin außerhalb der Kontrolle des Regimes. Zwar ist besonders die türkische Präsenz in Idlib dem Regime ein Dorn im Auge. Doch mit dem russischen Eingreifen in der Ukraine wird eine weitere Konfrontation dort unwahrscheinlich. Russland war bereits im letzten Jahr kaum noch auf dem syrischen Kriegsschauplatz aktiv und beschränkte sich meist nur noch darauf, die regimetreuen Streitkräfte strategisch und technologisch zu unterstützen.

Manar Rachwani, ehemaliger Chefredakteur des unabhängigen Medieninstituts „Syria Direct“ erwartet daher nicht, dass sich Frontlinien im Land verschieben könnten. Das russische Militär hat ohnehin keine nennenswerten Truppenverbände in Syrien und nach Beginn des Krieges in der Ukraine noch einige seiner Kampf-Jets abgezogen. Vieles spreche dafür, dass sich Russland mit dem Status Quo in Syrien arrangiere und keine weitere Eskalation anstrebe, sagt er. Nur die Entscheidung der Türkei, die Bosporus Passage für russische Kriegsschiffe zu schließen, könne Moskau mittelfristig Probleme bereiten. Die Meerenge ist der einzige Zugang zu den russischen Basen auf der Krim. Laut Sinan Hatahet vom Think Tank „Omran“ dürfen die russischen Kriegsschiffe, die zurzeit in der syrischen Hafenstadt Tartus liegen und zur Schwarzmeerflotte gehören, zwar durch die Dardanellen und den Bosporus in das Schwarze Meer einlaufen. Eine Rückkehr nach Syrien ist jedoch ausgeschlossen, weil die türkische Entscheidung eine Rückkehr der Flotte nicht zulässt. Da sich auf den Schiffen umfangreiche russische Kriegstechnologie befindet, die ein hohes Maß an Instandhaltung erfordert, könnte ein langwieriger Konflikt in der Ukraine das russische Militär und den syrischen Geheimdienst daher vor logistische Probleme stellen.

Die Auswirkungen der Ukrainekrise werden in anderen Bereichen aber noch viel deutlicher zu spüren seien. So ist Syrien auch wirtschaftlich stark von Russland abhängig. Große Teile der Weizenlieferungen stammen aus Russland, zudem importiert das Land Öl mit Hilfe des Putin-Regimes. Sollte es in naher Zukunft zu Lieferschwierigkeiten und deutlichen Preiserhöhungen kommen, werden Verknappung und Verteuerung in der Bevölkerung zu spüren sein. Die Lage in Syrien ist schon jetzt äußerst prekär. Lebensmittel wie Brot sind teuer und stark rationiert. Viele Eltern wissen nicht mehr, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Ohne die Arbeit internationaler Organisationen könnte das Land deshalb in eine Hungersnot abgleiten.

Durch den Krieg in der Ukraine wird jedoch die Aufmerksamkeit der Welt dort gebunden. Hatahet befürchtet deshalb, dass internationale Hilfe für Syrien teilweise versiegen könnte - mit dramatischen Auswirkungen für die Bevölkerung. Und im Juli 2022 läuft dann auch noch das UN-Mandat für den einzig offenen Grenzübergang für humanitäre Hilfe in Bab al-Hawa aus. Bereits vor einem Jahr drohte Russland mit einem Veto und verlangte, dass die Hilfsgüter in Zukunft über Damaskus koordiniert werden sollten. Sowohl Hatahet als auch Rahwani glauben, dass Russland diesmal ernst macht und so internationale Hilfe deutlich erschwert werde.

Russland ist aber nicht der einzige fremde Akteur, der in Syrien über Macht und Einfluss verfügt. So stammt das Öl, das Damaskus importiert, vor allem aus dem Iran. Es wird nur aufgrund der Sanktionen gegen Teheran unter russischer Regie abgewickelt. Sollten die derzeitigen Gespräche über ein Nuklearabkommen mit dem Iran erfolgreich sein, könne dieser Umweg entfallen, meint Hatahet. Teheran könnte dann auf Kosten Moskaus in Damaskus zusätzlichen Einfluss gewinnen. Nicht zuletzt hat der Krieg in der Ukraine für Syrien aber auch weitreichende politische Auswirkungen. In den vergangenen Jahren strebte der lange Zeit als Paria geltende Assad eine Normalisierung der Beziehungen zu übrigen arabischen Staaten an. Davon versprach er sich nicht zuletzt weitere Gelder für den Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Infrastruktur seines Landes.

Die Bestrebungen schienen bereits erste Früchte zu tragen. Viele arabische Staaten machten ihre einst geschlossenen Botschaften wieder auf und kündigten erste Investitionen an. Mit der vorsichtigen Annäherung von Ländern wie den Vereinten Arabischen Emiraten, Bahrains oder Kuwaits - die ja auch dem Ziel galt, den Iran zurückzudrängen, - könnte aber bald Schluss sein. Denn die US-Regierung, so glaubt Hatahet, wird von ihren Partnern in der Golfregion in Zukunft eine klare Positionierung verlangen. Da sich Damaskus nicht nur verbal auf die Seite Russlands geschlagen hat, sondern sich zudem auch weigerte, Putins Aggression in den Vereinten Nationen zu verurteilen, dürfte Assads Regime in naher Zukunft erneut in der Isolation landen.

Auch wenn eine Eskalation angesichts des Krieges in der Ukraine unwahrscheinlich ist, so stehen Syrien dennoch schwere Zeiten bevor. Die humanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen der Kämpfe in Europa werden im Nahen Osten bald zu spüren sein. Und ein kaputtes Land wie Syrien werden sie besonders hart treffen. Daran können auch Assads politische Ränkespiele und sein Flirt  mit den Golfstaaten nichts ändern.