Syrien
Wahl in Syrien - Jörg Dehnert, Regionaldirektor MENA, im Interview mit HR Info
Menschen feiern den Machtwechsel in Syrien
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Emrah GurelJörg Dehnert, Regionaldirektor der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jordanien im Interview bei HR Info am 2. Oktober 2025 über die Wahl in Syrien zehn Monate nach dem Sturz von Diktator Assad.
HR Info
Diese Wahl gilt allenfalls teilweise als demokratisch, als frei. Der neue syrische Präsident Ahmed Al-Shara wird ein Drittel der Abgeordneten persönlich bestimmen. Außerdem sind drei Provinzen, in denen vor allem Minderheiten der Drusen und Kurden leben, erstmal ausgeschlossen. Inwieweit diese Parlamentswahl unter diesen Bedingungen ein Schritt hin zu einem freien, neuen Syrien sein kann - darüber habe ich mit Jörg Dehnert gesprochen. Er ist der Regionaldirektor der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Jordanien und auch zuständig für Syrien. Und ich habe ihn gefragt: Seit Januar fungiert Ahmed Al-Shara als Übergangspräsident und soll das Amt insgesamt rund fünf Jahre innehaben. Er hat eine jihadistische Vergangenheit. Traut man ihm zu, den demokratischen Wandel in Syrien voranzutreiben?
Jörg Dehnert
Es gibt unterschiedliche Meinungen. Unsere Partner, die wir haben, das ist einmal eine liberale Partei, die auch Mitglied in der Liberal International ist. Die sieht das skeptisch, die sieht aber auch, dass es momentan die einzige Möglichkeit ist, mit dem Machthaber dort zu verhandeln. Aber er hat ja innerhalb des islamistischen Lagers immer gewechselt.
HR Info
Was bezweckt er denn mit dieser Wahl? Kann sie tatsächlich helfen, dieses zerrüttete, zerrissene Land langfristig zu stabilisieren? Oder ist das auch eine Beruhigungspille für die westlichen Partner?
Jörg Dehnert
Also Letzteres sicherlich. Er weiß, dass er auf westliche Gelder angewiesen ist. Ohne die wird er Armut und solche Sachen nicht bekämpfen können. Und wenn ihm das nicht gelingt, dann hat er keine Aussicht auf Erfolg. Sie müssen ja sehen, er hat ja nicht die Macht im ganzen Land. Es gibt regionale Milizen und die regionalen Akteure. Dann gibt es noch Akteure von außen, die Türkei im Norden, dann die Israelis. Also er nutzt diese Sachen natürlich auch, die Leute auf den Westen auf seine Seite zu bringen und natürlich Gelder zu bekommen, um die Armut zu bekämpfen, den Leuten eine Perspektive zu geben.
HR Info
Was müsste denn aus Ihrer Sicht, aus der Sicht eines Beobachters in Syrien nach der jahrelangen Diktatur und dem jahrelangen Bürgerkrieg besonders dringend passieren in Syrien? Wo stehen da Reformen an?
Jörg Dehnert
Ein wichtiger Punkt ist sicherlich eine Justiz, also eine Übergangsjustiz, dass man das aufarbeitet. Das ist sicherlich sehr, sehr wichtig. Dann muss geguckt werden, mit welchen Akteuren man, wenn man dort investiert und Geld reinpumpt, dass das auch an die richtigen Leute geht. Dass man nicht praktisch Kräfte unterstützt, die gar keine Demokratisierung wollen. Das heißt, man müsste auch gucken, mit wem man in der Zivilgesellschaft arbeiten kann. Was natürlich dann wieder auch zivilgesellschaftliche Akteure des Westens, also NGOs und andere Organisationen, dass man für die eine Atmosphäre schafft, dass sie dort tätig werden können.
HR Info
Könnte hier Deutschland etwas bewirken? Deutschland arbeitet ja mit dieser syrischen Übergangsregierung zusammen, um dort beim Aufbau eines neuen Staates zu helfen. Könnte Deutschland hier Einfluss nehmen oder sollte es tun?
Jörg Dehnert
Wir müssen natürlich mit den Leuten reden und gucken, was man dort machen kann. Wie gesagt, man muss die Leute identifizieren, mit denen man dort arbeiten kann. Nicht nur die derzeitigen Machthaber, und gucken, mit welchen Gruppen, Parteien oder auch zivilgesellschaftlichen Organisationen man arbeiten kann, die der Bevölkerung natürlich auch helfen, ein demokratisches Bewusstsein zu entwickeln. Denn die haben ja Jahre, Jahrzehnte lang unter einer Diktatur gelebt.
HR Info
Gibt es denn solche Organisationen und Personen tatsächlich vor Ort oder ist dieses Land nicht auch ausgeblutet durch diesen jahrelangen Bürgerkrieg, dadurch, dass viele Menschen das Land verlassen haben?
Jörg Dehnert
Die Diaspora ist natürlich ziemlich stark. Alleine hier in Jordanien haben wir auch 1,3 Millionen syrische Flüchtlinge. Das ist eine Sache. Gerade die Akteure, von denen ich gesprochen habe, von denen sind sicherlich viele nicht im Land. Das muss man sehen. Insofern wird das nicht einfach werden, die zu identifizieren. Man muss natürlich auch dann dort die Grundlagen schaffen, dass solche Leute zurückkehren können.
HR Info
Sehen Sie in dieser Wahl am Sonntag einen ersten Schritt, der tatsächlich etwas bringt, oder ist das eine halbherzige Sache, bei der man hätte mehr machen können?
Jörg Dehnert
Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Es ist sicherlich ein erster Schritt. Ob der sich dann so auswirkt, wie wir das erhoffen, das muss man dann sehen. Ich wage das zu bezweifeln. Ich glaube, dass da viel Show dabei ist, um den Westen zu beruhigen und Investitionen vom Westen zu bekommen.