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Desinformation
Krieg mit anderen Mitteln

Ein Interview mit einem Reserveoffizier der Bundeswehr zur Gefahr der Desinformation
Exerzierendes Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin
Exerzierendes Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin © dpa / Wolfgang Kumm

Desinformation und Propaganda stellen demokratische Staaten und ihre Gesellschaften vor große Herausforderungen. Als Teil des globalen Informationskrieges werden sie von meist autoritären und anti-demokratischen Staaten in einem globalen Machtwettbewerb genutzt, um Rivalen zu schwächen und ihre Gesellschaft zu entzweien. Um dieser äußeren Bedrohung zu begegnen, untersucht ein neues Policy Paper der Friedrich-Naumann-Stiftung die Möglichkeiten der Bundeswehr auf die Gefahren von Desinformation und Propaganda zu reagieren. Im Interview mit Ann Cathrin Riedel analysiert Paul C. Strobel, Social-Media-Experte und Reserveoffizier der Bundeswehr, wie real die Bedrohung durch Desinformation für unsere Gesellschaft ist, und ob die Bundeswehr auf die Gefahr, die diese darstellt, vorbereitet ist.

Auf der G7-Konferenz wurde just unter den Außenministern das Thema Desinformation und die Bedrohung durch diese adressiert. Ist es ein bisschen spät, dass das Thema in der Außen- und Sicherheitspolitik so prominent adressiert wird?

Ja, definitiv. Der gezielte, staatliche Einsatz von Desinformation zur Schwächung und Störung demokratischer Staaten ist wahrlich kein neues Thema. Eine Entwicklung die dabei komplett verschlafen wurde, sind die Möglichkeiten, die die sozialen Medien in dieser Hinsicht bieten. Durch sie verbreitet sich Desinformation schneller und weiter als jemals zuvor. Spätestens mit dem russischen Einsatz von Desinformation in der Vorbereitungsphase der Invasion der Krim 2014, hätten die demokratischen Staaten auf diese Gefahr aufmerksam werden müssen. Doch selbst die russische Beeinflussung der US-Wahlen zwei Jahre später oder die gezielte Desinformation im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 haben noch nicht die großen Alarmglocken ertönen lassen. Wenn jetzt die Ausnutzung der Corona-Pandemie zur Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien daran etwas ändert, ist das zwar zu begrüßen, doch lange überfällig.

Wie hoch ist die Bedrohungslage in Europa bezüglich Desinformation aus Drittstaaten?

Aufgrund der Diversität Europas und seinem komplexen politischen Gefüge, würde ich die Gefahr durch Desinformation als ziemlich hoch einschätzen. Desinformation zielt am liebsten auf vorhandene gesellschaftliche, religiöse oder politische Spannungsfelder. Das haben wir in der Vorbereitung der Annexion der Krim gesehen, als Russland gezielt politische und gesellschaftliche Minderheiten auf seine Seite zog und so die Reaktion der Ukraine entschieden hemmte. In meinen Augen bietet Europa hier sehr viel Angriffsfläche – eine Gefahr der wir uns überhaupt nicht bewusst sind. 

Ist die Deutsche Bundeswehr bei dem Thema gewappnet? Darf sie überhaupt gegen Angriffe im Cyber- und Informationsraum vorgehen?

Das ist genau die Frage, die das Policy Paper aufwirft. Zwar wird immer davon geredet, dass es eine gesamtstaatliche Antwort auf das Problem der Desinformation braucht, doch der verteidigungs- und sicherheitspolitische Aspekt wird in meinen Augen total vernachlässigt. Ist es nicht so, dass gezielte Desinformations-Kampagnen aus anti-demokratischen Staaten einen „Angriff“ aus dem äußeren darstellen und damit eine entsprechend „militärische“ Antwort verdienen? Ich spitze hier bewusst zu. Es darf natürlich nicht sein, dass wir zu klassischer militärscher Gewalt greifen, um eine Desinformations-Kampagne zu beenden. Doch das Militär – die Bundeswehr – hat Mittel und Wege auf solche Kampagnen zu reagieren und kann entschieden dazu beitragen unser Land und unsere Staatsbürger:innen zu schützen. Worüber wir uns als Gesellschaft klar werden müssen, ist erstens die Gefahr Desinformation an sich, und zweitens wie wir darauf reagieren wollen. Das Militär gehört in diese Debatte mit einbezogen.

Müssen wir uns bezüglich dieser hybriden Bedrohungslage besser aufstellen? Wie wichtig sind hier Bündnisse mit unseren Partnern?

Ich denke, dass wir in vielen Bereichen schon gut gewappnet sind. Rein militärisch gesehen hat die Bundeswehr eine ganze Palette an Erfahrung im Umgang mit hybriden Bedrohungen aus ihren Auslandseinsätzen der letzten Jahrzehnte mitgebracht. Wenn wir uns beispielsweise den NATO-Einsatz im Baltikum anschauen, stehen wir dort auf einer sehr soliden Basis. Hier funktioniert auch die Abwehr von Desinformation und Propaganda, jedenfalls auf taktischer Ebene. In unserer heutigen komplexen Welt, kann ein Staat alleine, kaum auf alle Herausforderungen reagieren. So sehen wir grade im Baltikum die Bedeutung unserer Verbündeten in der Reaktion auf hybride Bedrohungen. Woran es in meinen Augen allerdings mangelt, ist das gesellschaftliche Bewusstsein für die Komplexität und die konkrete Gefahr hybrider Konflikte. Denn die Gesellschaft wird unweigerlich Teil einer hybriden Auseinandersetzung – sei es im militärischen Sinne oder eben durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Desinformation und Propaganda.