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Desinformation
Desinformation im digitalen Zeitalter: Warum Medienkompetenz jetzt wichtiger ist denn je

Gezielte Desinformation bedroht Demokratien und spaltet Gesellschaften.

Gezielte Desinformation bedroht Demokratien und spaltet Gesellschaften.

© picture alliance/dpa/MAXPPP | Vincent Michel

Desinformation, Fehlinformation, Foreign Information Manipulation & Interference (FIMI) - die Manipulation des Informationsraums steht oft im Fokus politischer Debatten. Und das nicht zu Unrecht, denn sie stellt eine Bedrohung für liberale Demokratien dar. Warnungen von öffentlichen Stellen vor ausländischer Einflussnahme, KI-generierte Videos, die für Aufregung sorgen oder die Verbreitung von Falschinformationen über reichweitenstarke Kanäle in sozialen Netzwerken, sind Ausweis dieser Gefahrenlage. Jüngste Beispiele wie die Deepfakes von Politikern oder die massiven Desinformationskampagnen während wichtiger Wahlen zeigen die unmittelbare Relevanz des Themas.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um ausländische Einflussnahme. Auch Akteure innerhalb liberaler Demokratien verbreiten gezielt Desinformation, vorwiegend über soziale Netzwerke. Sie machen damit den Informationsraum unübersichtlicher und tragen durch die Verbreitung feindlicher Narrative zur gesellschaftlichen Spaltung bei. Ein eindringliches Beispiel sind die vom US-amerikanischen Präsidenten und seiner Administration verbreiteten Falschdarstellungen, die oft trotz ihrer Widerlegung von Millionen Menschen geglaubt werden.

Desinformation ist kein neues Phänomen - bereits während des Kalten Krieges entwickelte Russland das Konzept der „aktiven Maßnahmen" zur Einflussnahme. Was jedoch heute die Gefahr potenziert, ist die Kombination aus verändertem Informationskonsum, neuen Technologien und sinkendem Vertrauen in Medien und demokratische Institutionen. Diese Entwicklung hat den Boden für systematische Kampagnen bereitet, die gezielt gegen liberale Demokratien gerichtet sind.

Systematische Kampagnen gegen liberale Demokratien

Desinformationskampagnen werden oft systematisch und koordiniert durchgeführt, wobei verschiedene Akteure und Techniken gezielt zum Einsatz kommen, um ihre Wirkung zu maximieren. Diese Kampagnen umfassen die sorgfältige Erstellung falscher Inhalte, den strategischen Einsatz von Bots und die präzise Koordinierung von Konten in sozialen Medien, um Botschaften zu verstärken und größtmögliche Reichweite zu erzielen.

Deutschland ist aufgrund seiner geopolitischen Bedeutung und seiner Rolle in der Europäischen Union ein Hauptzielland für Desinformationskampagnen. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die sogenannte "Doppelgänger-Kampagne", bei der gefälschte Nachrichtenseiten erstellt wurden, die renommierten deutschen Medien täuschend ähnlich sahen, jedoch gezielt Desinformation verbreiteten. Diese Kampagne zielte darauf ab, das Vertrauen in etablierte Medien zu untergraben und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Gezielt sollten ethnische, religiöse und politische Konflikte in Deutschland geschürt werden. Planungsdokumente beteiligter russischer Firmen heben dabei vor allem die Rolle der AfD hervor: „Mit allen Mitteln unterstützen wir die Partei, indem wir das Bild von Märtyrern schaffen, die für die Demokratie und die nationalen Interessen Deutschlands leiden“. Ganz anders wird Desinformation in Venezuela verbreitet. Dort ist es die Regierung selbst, die bereits seit den 2010er Jahren systematisch Desinformationskampagnen als Instrument der Machterhaltung einsetzt. Die venezolanische Präsidentschaftswahl 2024 zum Beispiel wurde von einer systematischen Desinformationskampagne durch regierungsnahe Medien begleitet: Gefälschte Gesundheitsberichte über den Oppositionskandidaten Edmundo González, manipulierte Bilder zur Delegitimierung von Oppositionskundgebungen und gefälschte Wahlumfragen sollten die Wählerschaft verunsichern und das Wahlergebnis beeinflussen.

Das von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Lateinamerika veröffentlichte Desinformationshandbuch bietet einen strukturierten Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen und Verbreitungswege von Desinformation. Es legt die sozialen, psychologischen und wirtschaftlichen Dynamiken dar, die Desinformation vorantreiben und ihre Wirksamkeit erhöhen.

Psychologische Mechanismen der Desinformation

Desinformation nutzt gezielt psychologische und emotionale Mechanismen aus, die beeinflussen, wie Menschen Informationen aufnehmen und verarbeiten. Zwei Beispiele zentraler Mechanismen, die Desinformation besonders wirksam machen, sind die Bestätigungspräferenz (conformation bias) und der Wiederholungseffekt: Die Bestätigungspräferenz verleitet Menschen dazu, bevorzugt solche Informationen zu suchen, zu interpretieren und sich an sie zu erinnern, die ihre bereits bestehenden Überzeugungen bestätigen. Gleichzeitig werden widersprechende Informationen ignoriert oder heruntergespielt.

Der Wiederholungseffekt beschreibt, wie die wiederholte Präsentation von Informationen dazu führt, dass sie als glaubwürdiger wahrgenommen werden. Der "mere exposure effect" zeigt, dass wir eine Idee umso eher als wahr akzeptieren, je öfter wir ihr ausgesetzt sind – unabhängig von ihrem tatsächlichen Wahrheitsgehalt.

Kognitive Verzerrungen und Mechanismen, die nutzbar gemacht werden, spielen bei der Wirksamkeit von Desinformation also eine entscheidende Rolle. Verstärkt wird dies durch die heutige Informationsflut, die einen selektiven Informationskonsum begünstigt. In dieser Überflutung mit Nachrichten und Meinungen wählen Menschen zunehmend nach individuellen Präferenzen aus, oft ohne sich dieser Filterung bewusst zu sein – ein idealer Nährboden für die gezielte Verbreitung von Desinformation.

Strategien zur Bekämpfung von Desinformation

Um Desinformation wirksam zu bekämpfen, ist ein mehrstufiger und ganzheitlicher Ansatz notwendig, der sowohl unmittelbare Reaktionen als auch langfristige Strategien umfasst. Das Desinformationshandbuch empfiehlt dabei den "3D-Ansatz":

  1. Detect (Erkennen): Identifizierung gefälschter Inhalte mithilfe von Datenüberprüfungs- und Analysetools.
  2. Disprove (Entlarven): Bereitstellung verifizierter Informationen und sorgfältige Richtigstellung verbreiteter Fehlinformationen.
  3. Denounce (Denunzieren): Melden von Desinformationsquellen auf sozialen Medien und Nachrichtenplattformen und aktives Vorgehen gegen sie.

Obwohl seit Jahrzehnten zu Desinformation geforscht wird, gibt es noch immer keine Einigkeit über den richtigen Umgang mit dieser hybriden Bedrohung. Dies mag auch daran liegen, dass bestimmte Aspekte und Wirkmechanismen mangels erforderlichem Datenzugang nicht genauer ergründet werden können. Eine Meta-Analyse des Observatory on Information and Democracy zeigt, wie stark die Wirksamkeit und das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen vom jeweiligen Kontext abhängen. Fehlinformationen werden dabei sowohl als Symptom als auch als Verstärker gesellschaftlicher Veränderungen betrachtet – nicht jedoch als isoliertes Problem.

Medienkompetenz als gesellschaftliche Aufgabe

Neben Maßnahmen wie höheren Transparenzpflichten für Plattformen, besserem De- und Pre-bunking und Factchecking oder community-basierte Überprüfungsmodelle bleibt jedoch die schon lange im Fokus stehende Medienkompetenz ein wichtiger Pfeiler einer resilienten Gesellschaft. In einer Zeit, in der Desinformation zunehmend als Waffe gegen liberale Demokratien eingesetzt wird, ist ein umfassendes Verständnis ihrer Mechanismen und Wirkungsweisen von entscheidender Bedeutung. Medienkompetenz bedeutet in diesem Kontext nicht nur ein Verständnis des Problems, sondern auch die Fähigkeit, Medien in all ihren Formen kritisch zu nutzen und zu hinterfragen. Sie umfasst die Kompetenz, Informationsquellen zu bewerten, Manipulationsversuche zu erkennen und fundierte Entscheidungen über die Glaubwürdigkeit von Inhalten zu treffen, über alle Altersstufen hinweg. 

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Dies setzt auch einen Prozess der Selbstkritik innerhalb der Medienlandschaft voraus, der es ermöglicht, Voreingenommenheit und Manipulation zu erkennen und bewusste Entscheidungen über die Kommunikation und Weitergabe von Informationen zu treffen. Medienbildung muss daher als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, die in Bildungseinrichtungen beginnt, aber alle Bevölkerungsgruppen erreichen sollte.

Im weitesten Sinne geht es darum, ein kritisches Bewusstsein für die Beeinflussung unserer Wahrnehmung, Meinungen und unseres Verhaltens mit Medien zu entwickeln. Nur durch die Förderung dieser kritischen Medienkompetenz können wir als Gesellschaft widerstandsfähiger gegen Desinformation werden und unsere demokratischen Grundwerte wirksam schützen.

Der Kampf gegen Desinformation ist letztlich ein Kampf für die Integrität des Informationsraums – und damit für die Funktionsfähigkeit der liberalen Demokratie selbst. Es liegt an uns allen, diesen Kampf aktiv zu führen und die notwendigen Kompetenzen zu entwickeln, um in einer zunehmend komplexen Informationslandschaft bestehen zu können. Das Desinformationshandbuch kann dafür einen Startpunkt liefern.