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Indien
Wie sich Indien international stärker vernetzt

BRICS

Der indische Premierminister Narendra Modi und der Präsident der Volksrepublik China Xi Jinping vor dem Beginn des Treffens der BRICS-Führer

© Kremlin.ru from Wikimedia Commons 

In Asien wächst die Sorge vor einer militärischen Konfrontation. Seitdem Chinas Armee an strategisch wichtigen Orten in der Region Position bezieht, sind auch die ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen China und Indien noch angespannter. Die Machtdemonstration Pekings als Reaktion des als Provokation empfundenen Besuchs von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in Taiwan im August 2022 stößt auch in Delhi auf wachsende Sorgen. Für Bhaswati Mukherjee, ehemalige indische Botschafterin in den Niederlanden und heutige Kommentatorin für internationale Angelegenheiten, kommt erschwerend hinzu, dass sich Russland im Zuge des Einmarsches in der Ukraine „zum Junior-Partner Chinas“ entwickele. Der Haken: Von Russlands Rüstungslieferungen ist Delhi ebenso abhängig wie von Rohstoffen. Als drittgrößter Ölimporteur und Ölverbraucher der Welt ist Indien auf Russland also extrem angewiesen.

Grund für das stark angespannte Verhältnis zwischen der zweitgrößten und der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt sind vor allem Grenzkonflikte. Seit der Gründung zweiter unabhängiger Staaten, Indien und Pakistan, im Jahr 1947 kam es zwischen den beiden inoffiziellen Atommächten immer wieder zu schweren Ausschreitungen an der Grenze, vor allem in der Region Kaschmir. China unterstützt Pakistan umfangreich militärisch und wirtschaftlich. Hinzukommt, dass es immer wieder zu Konflikten an der indisch-chinesischen Grenze kommt wie in der Region Ladakh.

Als Antwort auf die neuen Machtverhältnisse suche Indien verstärkt auch die Nähe zu den USA, so Mukherjee. Indien und die Vereinigten Staaten sind wie Japan und Australien Mitglieder des Quadrilateral Security Dialogue (QUAD), einer informellen Allianz gegen China im Pazifik.

Auch wenn sich der Subkontinent in der Vergangenheit eher protektionistisch zeigte, besteht aktuell ein gesteigertes Interesse an Handelsabkommen. Im April 2022 wurden Verhandlungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten abgeschlossen. Darüber hinaus konnte im April 2022 nach zehnjährigen Verhandlungen ein entsprechendes Vertragswerk mit Australien unterschrieben werden. Beide Länder wollen die Abhängigkeit von China mindern. So soll Kohle und Kupfer aus Australien helfen den Bedarf Indiens zu decken . Premier Narendra Modi, der indische Premierminister, erhofft sich davon auch eine höhere Widerstandsfähigkeit der Lieferketten. Indiens Minister für Handel und Industrie, Piyush Goyal, geht davon aus, dass sich dank des Wegfalls von Zöllen der bilaterale Handel in den kommenden fünf Jahren auf fast 50 Milliarden Dollar verdoppeln wird. 

Gleichzeitig haben die Verhandlungen mit der Europäischen Union wieder Fahrt aufgenommen. Im Jahr 2022 sollen mehrere Verhandlungsrunden erfolgen. Die Parteien wollen sich bis 2024 einigen. Anders als bei Australien seien die Interessen vieler unterschiedlicher Staaten im Spiel, so Mukherjee. Gleichzeitig habe man erkannt, welch wichtige Rolle Indien als ausgleichende Kraft in Asien zukomme. Mukherjee hält es sogar für denkbar, dass das Abkommen schon in spätestens einem Jahr stehen könnte. Mit dem Vereinigten Königreichsoll noch 2022 ein Durchbruch erzielt werden. Gleichzeitig spricht Indien mit Neuseeland und Israel über ähnliche Abkommen.

Die unter der neuen rot-grün-gelben Regierung geführte Diskussion über eine zu starke Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von der Volksrepublik China sieht die ehemalige Botschafterin äußerst positiv. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dürfte vielen Kritikern aus dem Herzen sprechen, wenn er sagt: „Freiheit ist wichtiger als Freihandel, der Schutz unserer Werte wichtiger als Profit.“ Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich vor allem wegen der Stärke der deutschen Automobilindustrie auf dem chinesischen Markt mit Kritik zurückgehalten und das strategische Ungleichgewicht ignoriert, bemängelt die frühere Diplomatin.

Die internationalen Verwerfungen infolge von Ukraine-Krieg und Taiwan-Konflikt treffen Indien in einer wirtschaftlich verhältnismäßig stabilen Zeit. Als Folge der russischen Invasion in der Ukraine wurden zwar auch die Wachstumsprognosen für Indien revidiert. Die Weltbank etwa senkte ihre Prognose von 8,7 auf 8,0 Prozent für das laufende Finanzjahr 2022/23 (31. März). Dennoch dürfte der Subkontinent 2022/23 die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft sein, so die Experten von Germany Trade and Invest (gtai), der Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland. Dabei spielen sowohl China als auch die USA eine wichtige Rolle im Außenhandel Indiens. Bei den Hauptlieferländern des Subkontinents lag China mit einem Anteil von 15,3 Prozent im Jahr 2021 auf dem ersten Platz, bei den Hauptabnehmerländern waren es die USA (18,1 Prozent). 

 

Ambassador Mukherjee is a retired Indian diplomat. She joined the Indian Foreign Service in 1976 and has served in several capacities in the United Nations. She was also the Permanent Delegate of India to UNESCO and Chief of Staff to the United National Human Rights Commissioner. She is a prominent speaker on Indo-European relations and a prolific writer on culture and heritage.