Eskalation zwischen Indien und Pakistan
Kaschmir-Konflikt eskaliert: Die drohenden Folgen für Indien und Pakistan

Nach einem Anschlag in Kaschmir spitzt sich der Konflikt zwischen Indien und Pakistan zu.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | M.D. MughalDie Spannungen zwischen Indien und Pakistan haben sich in den letzten Wochen erneut verschärft, insbesondere im Streit um die Region Kaschmir. Angriffe auf Touristen und militärische Eskalationen werfen einen Schatten auf die ohnehin angespannten Beziehungen. freiheit.org hat mit Dr. Carsten Klein, Leiter des Regionalbüros Südasien, über die aktuelle Lage, die geopolitischen Hintergründe und mögliche Auswirkungen eines weiteren Konflikts gesprochen.
freiheit.org: Worum geht es im Kern bei diesem jüngsten Konflikt zwischen Indien und Pakistan?
Dr. Carsten Klein: Der Konflikt um die Region Kaschmir brach mit der nahezu zeitgleichen Unabhängigkeit Pakistans und Indien im August 1947 aus. Kaschmir zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft ein nominell unabhängiger Vasallenstaat mit einem hinduistischen Herrscher – Maharaja Hari Singh – und einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung. Singh hegte im August 1947 Sympathien für einen Anschluss an die indische Union, entschied sich zunächst jedoch, Kaschmir als souveränen Staat in die Unabhängigkeit zu führen. Jedoch griffen Kaschmirische Milizen mit Unterstützung des pakistanischen Militärs im Bestreben, Fakten zu schaffen die Sicherheitskräfte des Maharaja unmittelbar nach der Unabhängigkeit an. Der Konflikt eskalierte und führte im Oktober 1947 zum ersten indisch-pakistanischen Krieg.
Nach Mediation durch die Vereinten Nationen endete der Krieg mit einem Waffenstillstand am 1. Januar 1949 entlang einer Waffenstillstandslinie, die mehr oder weniger unverändert bis heute die De-Fakto-Grenze zwischen Indien und Pakistan markiert. Gleichwohl beanspruchen sowohl Indien als auch Pakistan bis heute die gesamte Region Kaschmir. 1965, 1971 und 1999 kam es erneut zu direkten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern. Pakistan unterstützt zudem seit jeher Separatisten, die im indischen Teil Kaschmirs operieren. Eine dieser Gruppierungen - The Resistance Front (TRF) – griff am 22. April dieses Jahres Touristen im indischen Teil Kaschmirs an und tötete dabei 26 Menschen. Indien beschuldigt Pakistan, hinter dem Anschlag zu stecken und hat Vergeltung geschworen.
Ein wesentlicher Faktor im Konflikt ist China, das seit langem als Partner an der Seite Pakistans steht und in Zentralasien eigene sicherheits- und handelspolitischen Interessen verfolgt. Seit dem indisch-chinesischen Krieg 1962 besetzt auch China einen Teil des früheren indischen Bundesstaats Jammu und Kaschmir.
Warum ist der „Wasser-Vertrag“, der die Wassermengen aus dem Indus für beide Länder reguliert, so bedeutend?
Nach Ende des Krieges 1949 waren zahlreiche internationale und multilaterale Organisationen um eine weitere Deeskalation und Mediation bemüht, allen voran die Vereinten Nationen. Seit 1949 ist eine zahlenmäßig kleine UN-Beobachtungsmission im Grenzgebiet stationiert. Unter Mediation der Weltbank einigten sich Indien und Pakistan im Jahr 1960 schließlich, ein Abkommen zur Nutzung des Indus-Wassers zu unterzeichnen. Das Abkommen war seither von keiner Seite gebrochen oder ausgesetzt worden – bis zu den Anschlägen 2025.
Am 23. April kündigte die indische Regierung an, das Abkommen auszusetzen. Der Schritt hat zunächst kaum Auswirkungen. Indien verfügt schlicht nicht über die Infrastruktur, um größere Wassermengen zurückzuhalten oder umzuleiten. Diese könnte jedoch in Zukunft geschaffen werden. Für Pakistan ist das Wasser des Indus elementar. Etwa 90% der Landwirtschaft hängen vom Wasser des Indus-Systems ab, ebenso wie etwa 80% der Trinkwasserversorgung. 24% des Stroms werden in Wasserkraftwerken produziert. Pakistan kann sich weitgehend selbst mit Lebensmitteln versorgen und ist kaum auf Importe angewiesen. Gleichzeitig liegt die Wirtschaft des Landes am Boden. Pakistan hätte kaum Devisenreserven, um Lebensmittel zu importieren.
Gibt es einen Konfliktlösungsmechanismus?
Am 7. Mai griff Indien Ziele in Pakistan an. Neben Zielen im pakistanisch besetzten Teil Kaschmirs wurden auch Ziele in der Provinz Punjab angegriffen. Trotz des begrenzten Schadens markiert dieser Schritt eine deutliche Eskalation. Die pakistanische Regierung kündigte umgehend Gegenmaßnahmen an.
In der Vergangenheit war es beiden Seiten immer gelungen, Auseinandersetzung zeitlich und räumlich zu begrenzen. Beide Seiten sind in der Eskalation und Deeskalation „geübt“. Gleichwohl gibt es in beiden Ländern Akteure auf der politischen und militärischen Ebene, die versucht sein könnten, eine Eskalation zur persönlichen Profilierung zu nutzen.
Einen formalen Konfliktlösungsmechanismus gibt es nicht. Die auch von der Stiftung unterstützte South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) ist ein Forum, dass beide Seiten in der Vergangenheit immer wieder für vertrauensbildende Maßnahmen genutzt haben. Die SAARC ist jedoch seit geraumer Zeit nicht zuletzt auf Grund des indisch-pakistanischen Konflikts gelähmt und kann diese Rolle momentan kaum ausfüllen.
Welche Auswirkungen hätte ein Krieg zwischen Indien und Pakistan auf Deutschland / die EU?
Die Auswirkungen sind auch bei einer Eskalation zunächst begrenzt. Weder Pakistan noch Indien sind wesentliche Handelspartner der EU. Eine länger andauernde Eskalation würde das sicherheits- und geopolitische Gefüge in Asien jedoch erheblich stören, mit schwer abschätzbaren Folgen. Der Luftverkehr und die Seewege durch das arabische Meer könnten gestört werden. Das Beispiel Afghanistan hat zudem gezeigt, dass kriegerische Auseinandersetzungen in Südasien Fluchtbewegungen auslösen können, die bis nach Europa reichen.