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Internationaler Gerichtshof zu Gaza
Südafrika vs. Israel

Gilad Noam, stellvertretender Generalstaatsanwalt für internationale Angelegenheiten, während eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) über einen Antrag Südafrikas auf Sofortmaßnahmen für Gaza.

Gilad Noam, stellvertretender Generalstaatsanwalt für internationale Angelegenheiten, während eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) über einen Antrag Südafrikas auf Sofortmaßnahmen für Gaza.

© picture alliance / ANP | Remko de Waal

In dem aktuellen Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag geht es um die Anwendung der sogenannten Völkermordkonvention im Gazastreifen. Südafrika hat am 29. Dezember 2023 einen Antrag an den IGH erstellt, sofort Maßnahmen zu erlassen. Nun hat der Gerichtshof seine Eilentscheidung verkündet.

Geprüft wurde, ob Israel sofortige Maßnahmen unter dem Vorwurf des Völkermords zu erlassen habe. Der IGH hat eine Entscheidung getroffen. Demnach muss Israel seine militärische Operation nicht einstellen. Israel muss jedoch alles unternehmen, um das Töten von Zivilisten und die Schäden an Zivilisten in Gaza zu unterlassen. Innerhalb eines Monats muss Israel außerdem einen Bericht über die ergriffenen Schutzmaßnahmen einreichen.

Seit dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023, mit der brutalen Ermordung, Vergewaltigung und Geiselnahme israelischer Bürgerinnen und Bürger sowie den fortwährenden Raketenangriffen aus Gaza auf israelisches Territorium, verteidigt sich Israel. Die Regierung Netanyahu erklärte, das Tunnelsystem der Hamas und die Hamas selbst zerstören zu wollen und die eigenen Bürger zu befreien.

Südafrika sieht in dem militärischen Vorgehen Israels Anzeichen eines Völkermordes. Der internationale Straftatbestand des Völkermords wird als das schwerste Verbrechen überhaupt eingestuft. Allerdings gehört der Vorwurf des Völkermords inzwischen zum gängigen Kommunikationsinstrument in der internationalen Politik. Eine hohe mediale Aufmerksamkeit war dem Fall deshalb sicher, während die sonstigen zwischenstaatlichen Streitigkeiten vor dem IGH keine weltweite Beachtung erfahren.

Der Nachweis der Absicht

Beim Vorwurf des Völkermordes werden die rein völkerrechtlichen Kriterien häufig außer Acht gelassen. Sie sind juristisch sehr eng gefasst. Einem Staat muss die Absicht nachgewiesen werden, eine Gruppe zu vernichten oder vernichten zu wollen. An der Frage der Absicht setzte die israelische Delegation daher am zweiten Anhörungstag, dem 12. Januar 2024, in Den Haag an. Sie bestritt den Vorwurf Südafrikas, die Absicht zu haben, palästinensische Zivilisten in Gaza zu töten. Im Gegenteil, Israel bemühe sich mit Ankündigungen und Räumungen aktiv darum, die Zahl der zivilen Opfer kleinzuhalten. Problematische Aussagen von Politikern der israelischen Rechtsaußenregierung, die vielleicht als Absicht gedeutet werden könnten, ordnete die Delegation in die unmittelbare Aufgeregtheit nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas ein. Gleichzeitig könnten einzelne politische Aussagen nicht als Absicht eines Staates gewertet werden.

In seiner Eilentscheidung unterlässt es der IGH, auf den völkerrechtlichen Nachweis der Absicht einzugehen. Der IGH argumentiert vielmehr alleine mit der humanitären Situation im Gazastreifen. In seinen Quellen bezieht sich der IGH überwiegend auf Aussagen politischer Mandatsträger der Vereinten Nationen, wie Antonio Guterres, dem Generalsekretär selbst und Martin Griffith, dem Untergeneralsekretär der für Humanitäre Hilfe. Auf die gegenteiligen faktischen Aussagen Israels geht der IGH nicht ein. Dem Anspruch einer völkerrechtlichen Analyse wird diese Verfahrensweise nicht gerecht.

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Völkermordkonvention

Das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung von Völkermords, kurz Völkermordkonvention, ist der älteste völkerrechtliche Vertrag der Vereinten Nationen. Er wurde am 9. Dezember 1948 in Paris von den damals 50 Mitgliedern verabschiedet. 153 Staaten haben die Völkermordkonvention bis heute ratifiziert und sind damit völkerrechtlich verpflichtet, Völkermord nicht nur selbst zu unterlassen, sondern auch bei erkennbaren Anzeichen in anderen Ländern einzuschreiten. Beide Staaten, Israel und Südafrika, sind Vertragsstaaten der Völkermordkonvention; Israel seit 1950, Südafrika seit 1998.

In den Medien ist fälschlicherweise immer zu lesen, Israel säße auf der Anklagebank. Anklagen kennt nur der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und zwar gegen Individuen. Beim Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geht es um ein Vertragsverletzungsverfahren – konkret um die Frage, ob ein Verstoß gegen die Völkermordkonvention vorliegt oder nicht. Es gibt keine Ermittlung und keine Staatsanwaltschaft. Die beiden beteiligten Staaten nominieren jeweils einen Ad-hoc-Richter zu ihren Gunsten und treten vor den IGH. Den Vorsitz hatte die amerikanische Präsidentin des IGH, Joan E. Donoghue, inne. Auch der deutsche Richter, Georg Nolte, entschied mit der Mehrheit in der Eilentscheidung.

Präsident Donoghue und andere Richter während eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) über einen Antrag Südafrikas auf Sofortmaßnahmen für Gaza.

Präsident Donoghue und andere Richter während eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) über einen Antrag Südafrikas auf Sofortmaßnahmen für Gaza.

© picture alliance / ANP | Remko de Waal

Südafrikas Motivation

Ein Verfahren vor dem IGH anzustreben, ist primär keine juristische, sondern eine innenpolitische Entscheidung. Die Regierung von Cyril Ramaphosa profiliert sich in Südafrika mit dem Verfahren vor dem IGH. Südafrikanische Medien berichten positiv über die Initiative der eigenen Regierung; endlich sei man jemand in der Welt und trete auf der internationalen Bühne auf. Im Sommer 2023 war Südafrika damit konfrontiert, den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einer möglichen Anreise zu einem Gipfel der BRICS-Staaten umzusetzen und ihn festzunehmen. Putin reiste sicherheitshalber nicht an. 2015 stand Südafrika dagegen stark in der Kritik, weil es einen anderen Haftbefehl des IStGH gegen den damaligen sudanesischen Präsidenten Omar Al-Bashir nicht umgesetzt hatte. Der Haftbefehl umfasst nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch Völkermord in Darfur. Als Vertragsstaat des IStGH wäre Südafrika zur Umsetzung des Haftbefehls völkerrechtlich verpflichtet gewesen.

Mit dem aktuellen Verfahren gegen Israel erfährt Südafrika hingegen weltweit Beachtung. Es befreit sich damit aus seiner im Fall Al-Bashir völkerrechtlich selbstverschuldeten Defensiv-Ecke. Südafrika hatte sich schon vor längerer Zeit an die Seite der Palästinenser gestellt. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Südafrika und Israel waren deshalb zuletzt sehr schwierig. Im November letzten Jahres hatte Israel seinen Botschafter kurzzeitig zu Konsultationen nach Jerusalem zurückberufen. In Südafrika gab es politische Diskussionen, die israelische Botschaft ganz zu schließen. Südafrika wandte sich erst an den IStGH mit der Forderung eines Haftbefehls für Premierminister Benjamin Netanjahu wegen des Vorwurfs des Völkermordes in Gaza, ehe es Ende Dezember das Verfahren vor dem IGH anstieß.

Die Eilentscheidung des IGH

Das Recht Israels auf Selbstverteidigung Israels auf den Überfall der terroristischen Gruppe der Hamas, die Ermordung von über 1200 israelischen Bürgerinnen und Bürgern, die Entführung von derzeit noch 130 Geiseln, hat bei der Entscheidung des IGH ersichtlich keine Rolle gespielt.

Innerhalb eines Monats muss Israel jetzt einen Bericht über die Schutzmaßnahmen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung vorlegen. Wichtige Nachricht der Eilentscheidung: der Vorwurf des Völkermordes wurde nicht bestätigt.