Budapest Pride
Budapest Pride Verbot: Ungarns eskalierender Angriff auf bürgerliche Freiheiten

Demonstration against Pride ban on 14th of April 2025
© Momentum MovementDie Budapest Pride sollte am 28. Juni 2025 ihr 30. Jubiläum feiern – bis Viktor Orbáns Regierung ein neues Gesetz verabschiedete, das die Versammlungsfreiheit massiv einschränkt und die Parade effektiv verbietet. Dies stellt eine weitere Eskalation in einer langjährigen, legislativen Offensive gegen die Rechte von Mitgliedern der LGBTQ+-Community in Ungarn dar und löste unmittelbar große Besorgnis bei europäischen Liberalen und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten aus.
Einschränkung der Versammlungsfreiheit im Namen des „Kinderschutzes“
Seit Jahren nutzt die ungarische Regierung „Kinderschutz“ als politisches Narrativ, um konservative und traditionelle Werte zu betonen und zur Marginalisierung der LGBTQ+‐Community beizutragen. Laut der Regierung gilt alles, was offen LGBTQ+-Themen darstellt oder fördert, als potenziell schädlich für Kinder. Grundlage ist das sogenannte “Gesetz LXXIX von 2021 über schärfere Maßnahmen gegen pädophile Straftäter und Änderung bestimmter Gesetze zum Schutz von Kindern"*. Im März 2025 nutzte die Regierung dieses Gesetz als Grundlage für ein neues Gesetz, welches die Pride-Paraden in Ungarn verbietet. Begründet wurde dies damit, dass eine öffentliche Sichtbarkeit von Mitgliedern der LGBTQ+-Community Kinder negativ beeinflussen könne.
Darüber hinaus wurde bekannt gegeben, dass Sicherheitskräfte KI-gestützte Gesichtserkennung einsetzen dürfen, um Teilnehmende der Pride-Paraden zu identifizieren. Diese könnten eine Geldstrafe von bis zu 500€ auferlegt bekommen – eine erhebliche Summe in einem Land mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von etwa 1.600€.
Wie genau das Gesetz angewandt wird, ist bislang unklar – insbesondere, welche weiteren Versammlungen davon betroffen sein könnten. Kritikerinnen und Kritiker fürchten, dass das Gesetz als Präzedenzfall dienen könnte, um auch weitere Grundrechte einzuschränken, die nicht den Werten der Orbán-Regierung entsprechen.

Budapest Pride 2022
© Szádoczki VirágEuropäische und Liberale Reaktionen
Die Europäische Union hat in der Vergangenheit wiederholt auf Haushaltssanktionen zurückgegriffen, um politischen Druck auf die ungarische Regierung auszuüben. Ein zentrales Thema ist dabei das umstrittene „Kinderschutzgesetz“ von 2021, das aktuell vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wird. Nach dem Verbot der Budapest Pride erklärte die Europäische Kommission: "Das Recht auf friedliche Versammlung ist ein fundamentales Grundrecht, das in der gesamten Europäischen Union verteidigt werden muss,” und "die Kommission verfolgt die Situation aufmerksam" und “wird nicht zögern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wenn dies erforderlich ist.”
Die liberale EU-Kommissarin für Resilienz, humanitäre Hilfe und Krisenmanagement sowie Gleichstellung, Hadja Lahbib, äußerte sich auf X, um ihre Solidarität mit der LGBTQ+ Community in Ungarn zu bekunden: "Unsere Union steht für Freiheit und Gleichheit. Das Recht auf friedliche Versammlung ist ein fundamentales Grundrecht, das in der gesamten Europäischen Union verteidigt werden muss. Wir stehen an der Seite der LGBTIQ-Community – in Ungarn und in allen Mitgliedstaaten."
Neben potenziellen Verstößen gegen Grundrechte wirft auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Unvereinbarkeit mit dem Europäischen Artificial Intelligence Act.
Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn äußerte sich auf Instagram besorgt über den Einsatz von KI zur Identifizierung von Teilnehmende der Budapest Pride: "Auch wenn das geplante ungarische Gesetz wohl gegen EU-Recht verstößt, da die Pride-Teilnahme aktuell „nur“ als Ordnungswidrigkeit gewertet wird: Dass die EU-Ebene mit derart überwachungsfreundlichen Gesetzen hier Vorlage zur Verfolgung von Minderheiten geliefert hat, ist eine absolute Katastrophe für unser aller Bürgerrechte. Wertet man Video-Daten nicht in Echtzeit, sondern mit leichter Zeitversetzung aus, ist biometrische Überwachung in sehr weitem Umfang erlaubt. (...) in Ungarn können wir nun beobachten, wozu diese mangelhaften Regelungen, gegen die ich mich jahrelang eingesetzt habe, führen. Demokratische Grundrechte sind in ernsthafter Gefahr, in ganz Europa.”

Instagram Post Renew Europe
© Renew EuropeAuch Renew Europe, die liberale Fraktion im Europäischen Parlament, sprach sich klar für die ungarische LGBTQ+ Community aus: "Pride ist eine friedliche Demonstration für Gleichheit und die Rechte der #LGBTIQ Community. Wir werden nicht zulassen, dass Orbán #LGBTIQ+ Personen diskriminiert und die Demokratie abbaut!“
Ehemalige Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Finanzausschusses der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Gisela Piltz, zeigte sich auf LinkedIn solidarisch mit der ungarischen Zivilgesellschaft: “Bei meinem letzten Besuch in Budapest konnte ich noch gegen diese Politik demonstrieren, ob das demnächst noch möglich sein wird? (…) Die Verteidigung von Menschenrechten ist ein wichtiger Bestandteil der liberalen Werte. Deshalb können wir nicht weiter tatenlos zusehen, wie sich ein Mitgliedstaat der EU zunehmend von einer Demokratie in ein autoritäres Regime verwandelt und fundamentale Menschenrechte mit Füßen getreten werden – wir stehen an der Seite der ungarischen Bevölkerung.”
Dies sind nur einige Beispiele europäischer Organisationen und Politikerinnen, die das Verbot der Pride-Demonstrationen in Ungarn scharf kritisieren. Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie weitere internationale Politikerinnen und Politiker, darunter auch Vertreterinnen und Vertreter der FDP, planen am 28. Juni an der Budapest Pride teilzunehmen. Ziel ist es, die LGBTQ+ Community vor Ort zu unterstützen und für Sicherheit bei der Teilnahme zu sorgen.
Zuletzt hat eine Gruppe von Europaabgeordneten im Rahmen einer fraktionsübergreifenden Initiative einen offenen Brief an die Europäische Kommission veröffentlicht. Darin fordern sie ein sofortiges Aussetzen jeglicher finanzieller Unterstützung für Ungarn. Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner kommentierte: "Wer sich null um die Achtung der EU-Werte kümmert, hat null Euro aus dem EU-Budget verdient."
Reaktionen in Ungarn: Opposition & Zivilgesellschaft
Das aktuelle Gesetz wurde mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit verabschiedet. Unterstützt wurde es nicht nur von der regierenden Fidesz-Partei, sondern auch von der rechtsextremen Mi Hazánk Partei (Europa der Souveränen Nationen) und die vormals rechtsextreme, inzwischen konservativ-nationalistische Jobbik (Europäische Christliche Politische Partei). Mit der Abstimmung wurde der harte Kurs Ungarns gegenüber der LGBTQ+ Community und allgemein gegenüber bürgerlichen Freiheitsrechten weiter zementiert.
Liberale Engagierte reagierten umgehend. Abgeordnete der liberalen Momentum Bewegung sowie der parteiunabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy organisierten Protestaktionen im Parlament, um auf die Bedrohung durch die neuen Einschränkungen hinzuweisen. Infolgedessen verhängte das Parlament Rekordgeldstrafen gegen die Abgeordneten und schloss sie für sechs aufeinanderfolgende Sitzungen aus. Dieses harte Vorgehen ist ein deutliches Zeichen für die Intoleranz der Regierung gegenüber Kritik.
Doch Momentum und Ákos Hadházy gaben nicht auf. Sie organisierten wöchentliche Straßenproteste, die tausende Bürgerinnen und Bürger mobilisierten im Einsatz für das Versammlungsrecht, für LGBTQ+ Rechte und für demokratische Grundwerte. Mitglieder von Momentum, darunter Parteichef Márton Tompos und die ehemalige Europaabgeordnete Katalin Cseh, bezeichneten das Gesetz als eklatanten Verstoß gegen die Werte der Europäischen Union und forderten entschlossenes Handeln aus Brüssel. Die Proteste zeigten zunächst Wirkung: Im März stieg Momentums Zustimmung in den Umfragen von 1 auf 4 Prozent. Im April fiel sie jedoch wieder auf 2% in der Gesamtbevölkerung und 3% unter den wahrscheinlichen Wahlbeteiligten – ein Hinweis auf die anhaltenden Herausforderungen für die liberale Bewegung im Land.

Demonstration against Pride ban on 8th of April 2025
© Momentum MovementIn einem bemerkenswerten Akt lokalen Widerstands kündigte Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony an, dass er sicherstellen werde, dass die Budapest Pride 2025 trotz des nationalen Verbots stattfindet. Als Bürgermeister der oppositionell geprägtesten Stadt Ungarns bietet Karácsonys Haltung nicht nur moralische Unterstützung, sondern eröffnet auch die Perspektive eines Widerstands auf lokaler Ebene.
Die konservative TISZA-Partei (Europäische Volkspartei) – laut aktuellen Umfragen stärkste Kraft im Land, sogar vor Fidesz – bezog bisher keine eindeutige Position zum Verbot. Statt das Verbot der Pride-Demonstrationen direkt zu kritisieren, lenkt sie den Fokus auf die Widersprüche in der Regierungspolitik und verweist auf die mangelnde Finanzierung von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wie Waisenhäusern und Kinderkliniken. Dadurch kann sie sich als kinderfreundliche Reformpartei darstellen, doch ihr Schweigen zur LGBTQ+ Feindlichkeit des Gesetzes stellt ihre liberale Glaubwürdigkeit infrage.
Verfassungsänderungen
Doch bei einem Gesetz zum Verbot von Pride-Paraden blieb es nicht: Im April 2025 verabschiedete das ungarische Parlament mehrere tiefgreifende Verfassungsänderungen. Diese Änderungen wurden durch die seit 2010 (mit einer kurzen Unterbrechung nach 2015) bestehende Zweidrittelmehrheit der Regierungsparteien möglich.
Zu den umstrittensten Änderungen gehören: die ausschließliche Definition von Geschlecht als "männlich oder weiblich" entsprechend dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht; die verfassungsrechtliche Priorisierung des "Kinderschutzes" gegenüber Grundrechten wie Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sowie die Einführung einer möglichen Aussetzung der ungarischen Staatsbürgerschaft von Doppelstaatlern, die als Bedrohung für die „öffentliche Ordnung“ oder „nationale Sicherheit“ eingestuft werden. Diese letzte Änderung hat ernste Bedenken ob eines möglichen politischen Missbrauchs ausgelöst, insbesondere gegenüber Mitgliedern der Opposition, der Presse, sowie der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, die einen Auslandsbezug haben.
Diese juristische Verschiebung bestärkt das staatliche Narrativ, dass LGBTQ+ Sichtbarkeit eine Bedrohung für Kinder darstellt. Sie leugnet nicht nur die Existenz von transsexuellen und nicht-binären Menschen, sondern öffnet auch die Tür für weitreichende zukünftige Einschränkungen jeglicher Aktivitäten, die als Bedrohung für die Gesundheit von Kindern dargestellt werden, insbesondere Pride-Veranstaltungen und sexuelle Aufklärung. Aus Protest organisierte Momentum eine Menschenkette um das Parlament – ein symbolischer Akt zivilen Widerstands, der auf die zunehmende Entfremdung zwischen Bevölkerung und Regierung aufmerksam machen wollte. Dennoch setzte die Regierung die Änderungen wie gewohnt ohne echte Beteiligung oder Debatte durch und verdeutlicht damit erneut den fortschreitenden Abbau der demokratischen Kontrollstrukturen in Ungarn.
Darüber hinaus spiegeln frühere Verfassungsänderungen – wie etwa die Änderung von 2020, die festlegt, dass “der Vater ein Mann ist und die Mutter eine Frau“ – ebenfalls das juristische Framing Russlands wider und isolieren Ungarn weiter von europäischen demokratischen und liberalen Normen. Diese Maßnahmen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern Teil einer koordinierten Strategie zur juristischen und kulturellen Auslöschung queerer Identitäten im öffentlichen ungarischen Raum.
Frühere gesetzliche Maßnahmen
Die aktuellen Entwicklungen bauen auf einer Reihe von Gesetzen auf, die seit 2018 die Rechte der LGBTQ+-Community in Ungarn schrittweise einschränken. Das bedeutendste davon ist nach wie vor das sogenannte „Kinderschutzgesetz“ von 2021, dem ein Referendum folgte. Dieses Referendum scheiterte jedoch. Über 1,6 Millionen Menschen gaben in einer koordinierten Aktion bewusst ungültige Stimmen ab, um die Initiative der Regierung abzulehnen. Dass es für ungültig erklärt wurde, zeigt, dass ein großer Teil der ungarischen Bevölkerung die diskriminierende Politik der Regierung ablehnt. Trotzdem ist das Gesetz weiterhin in Kraft und bildet die Grundlage für das Verbot von Pride-Paraden. Es verbietet die Darstellung von "pornografischen Inhalten" sowie jeglicher Inhalte, die "Abweichungen vom bei Geburt zugewiesenen Geschlecht", Geschlechtsangleichung oder Homosexualität fördern. Dieses Gesetz dient nun als Grundlage für das Verbot von Pride im Jahr 2025. Seine Umsetzung führte zu weiteren Maßnahmen: Bücher mit LGBTQ+ Inhalten müssen im Buchhandel in Folie verpackt werden, queere Inhalte sind aus Schulen verbannt und dürfen im Fernsehen nur mit Warnhinweis zwischen 22 und 5 Uhr ausgestrahlt werden, ähnlich wie jugendgefährdende Medien.
Ausblick auf Demokratie und bürgerliche Freiheiten
Kürzlich wurde von einem Fidesz-Abgeordneten ein weiterer Gesetzesentwurf eingebracht, betitelt "Über die Transparenz des öffentlichen Lebens" (Ungarisch: A közélet átláthatóságáról). Er wurde am 15. Mai vorgestellt und würde die Kompetenzen des sogenannten Amtes für den Schutz der Souveränität (Ungarisch: Szuverenitásvédelmi Hivatal) massiv ausweiten. Diese staatliche Stelle soll ausländische Einflüsse überwachen und zukünftig auch ausländische Finanzierungsquellen von NGOs, Unternehmen und Medien erfassen – darunter auch Gelder aus öffentlichen EU-Ausschreibungen, private Spenden, Sachleistungen und Unterstützung von EU-Institutionen und Einzelpersonen, darunter auch Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft.
Inhaltlich identifiziert der Gesetzentwurf unter anderem folgende Arbeitsbereiche als Bedrohung für die ungarische Souveränität:
- “die Schädigung oder negative Darstellung des demokratischen Verfassungsstaates,
- die Infragestellung nationaler Einheit oder Verantwortung für Auslandsungarinnen und Auslandsungarn,
- Angriffe auf die Vorrangstellung von Ehe, Familie und biologischem Geschlecht,
- Untergrabung von Frieden und internationaler Kooperation,
- Verletzung der verfassungsmäßigen Identität und christlichen Kultur des Landes.”
Schon jetzt steht das Amt für Souveränitätsschutz für die enge Beobachtung von, im LGBTQ+ Bereich tätigen, Organisationen. Es ist davon auszugehen, dass deren Arbeit nach Verabschiedung des Gesetzes noch stärker kontrolliert und eingeschränkt wird. Am 19. Mai stimmte der Justizausschuss der ungarischen Nationalversammlung dem Gesetzesvorschlag zu. Es wird erwartet, dass das Gesetz in den kommenden Wochen von der Nationalversammlung verabschiedet wird.
Fazit
Die Entwicklungen in Ungarn und Viktor Orbáns Verhalten im Europäischen Rat verletzen seit Längerem Menschen- und Bürgerrechte. Doch mittlerweile überschreitet die Regierung nicht nur die Grenzen des Akzeptablen – sie greift offen Grundrechte an, die in den EU-Verträgen verankert sind. Das Verbot der ungarischen Pride-Paraden stellt einen klaren Verstoß gegen Artikel 2 der EU-Verträge dar. Die EU muss ihre Instrumente verbessern, um mit Mitgliedstaaten umzugehen, die sich zunehmend von europäischen Werten entfernen.
Demokratische Akteure in der gesamten EU sollten sich auf eine gemeinsame Haltung gegenüber der ungarischen Regierung verständigen. Zugleich darf der Kontakt zur ungarischen Zivilgesellschaft nicht verloren gehen, da die ungarische Bevölkerung historisch eine pro-europäische Haltung hat. Diese Verbindung muss erhalten bleiben - auch im Hinblick auf eine mögliche zukünftige Regierung, die den europäischen Werten wieder verpflichtet ist.
*Hungarian: 2021. évi LXXIX. törvény a pedofil bűnelkövetőkkel szembeni szigorúbb fellépésről, valamint a gyermekek védelme érdekében egyes törvények módosításáról