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Ein Jahr Pandemie – Schulen mit Freiräumen sind besser durch die Krise gekommen

Neuseeland: Was können wir von Down Under lernen?

“Der Unterricht wird zum Lokaltermin” heißt ein Schlüsselsatz in Erich Kästners „Fliegendem Klassenzimmer.“ Er stammt aus einem Theaterstück über „den Schulbetrieb, wie er in Zukunft vielleicht wirklich stattfinden wird“, welches Johnny, einer von Kästners Protagonisten, sich ausgedacht hat. Dass durch den technischen Fortschritt – bei Kästner geht es natürlich um die Luftfahrt – jede Unterrichtsstunde zu einem Event an Ort und Stelle würde, sollte im Theaterstück für Lacher bei den Lehrern sorgen. Seit über einem Jahr, ist diese Vision zumindest teilweise zur Realität geworden. Die Klassenzimmer sind über lange Zeiträume hinweg verwaist. Doch zum Lachen ist kaum jemandem zu Mute, denn die fehlenden Sozialkontakte auf der einen und die großen Sorgen um die Gesundheit auf der anderen Seite, wiegen immer schwerer auf den Schultern der Kinder und Jugendlichen. Die Belastungen des digitalgestützten Distanzunterrichts zermürben Eltern und Lehrkräfte, die Bildungsforschung blickt mit Sorge auf die Lerndefizite, die sich nicht nur bei Schülerinnen und Schülern aus sozial schwächeren Familien auftürmen. Nach einem Jahr Coronapandemie im Bildungssystem ist es nun an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Eine jüngst veröffentlichte internationale Vergleichsstudie der OECD zeigt dabei, dass die Länder, die den Schulen mehr Freiheiten bei der Handhabung der Krise gelassen hatten, auch bessere Ergebnisse erzielten. Auch der Stand der Digitalisierung vor der Pandemie war entscheidend. Auch wenn sich in Deutschland auf dem Weg „vom fliegenden zum digitalen Klassenzimmer“ in den letzten Monaten einiges getan hat, so ließen sich der Vorsprung gerade der skandinavischen Länder nicht aufholen.

1,5 Milliarden Schülerinnen und Schüler aus 188 Ländern standen im vergangenen Jahr in der einen oder anderen Form vor verschlossenen Schultüren. Die vorläufige Bilanz, die das Team der OECD um Andreas Schleicher gezogen hat, fällt dementsprechend gemischt aus. Unterschiede gab es im vergangenen Jahr zum Beispiel bei der Zahl der Schultage, die trotz Pandemie zumindest teilweise in Präsenz stattfanden: während in Deutschland und Dänemark durchschnittlich lediglich rund 20 Schultage weggefallen waren, lag die Zahl in Costa Rica, Kolumbien und der Slowakei bei deutlich über 100 Tagen. Unterschiede gab es dabei zwischen der Primarstufe und den Sekundarstufen, was die Einsicht der Bildungsforscherinnen und Bildungsforscher untermauerte, dass gerade in der Grundschule der Präsenzunterricht kaum durch andere Formen des Unterrichtens zu ersetzen sei. 

Eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung der Pandemie spielte die digitale Ausstattung. Rund 80% der OECD-Länder haben im vergangenen Jahr zusätzliches Geld in die Hand genommen, um die Schulen beispielsweise mit digitalen Endgeräten auszustatten. Während andere Länder aber bereits seit den 1990er-Jahren intensiv in das digitale Equipment der Schulen investiert hätten, sei Deutschland „kalt erwischt“ worden, wie Schleicher erklärte. Aus liberaler Sicht birgt allerdings vor allem das letzte Kapitel des Berichts („Who decides?“) spannende Impulse. Denn nicht allein die finanzielle und technische Ausstattung vor und während der Pandemie, sondern auch Freiräume für Schulen und Lehrkräfte spielten bei der Bewältigung der Krise eine entscheidende Rolle. Auch wenn in den meisten Ländern die gesundheitspolitische Dimension der Schulschließungen zentral entschieden worden sei, so habe es große Unterschiede bei der Entwicklung von Lern- und Lehrstrategien gegeben. In Kanada, Norwegen und Estland hätten die Schulen beispielsweise die „volle Autonomie“ gehabt, was die Adaption der Lehrmethoden anging, in Deutschland sei dies nur nach verlangsamenden Beratungen und mit Einschränkungen auf Länderebene der Fall gewesen.