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Vorratsdatenspeicherung
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview zur Vorratsdatenspeicherung

SLS

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

© Tobias Koch

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stv. Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Bundesjustizministerin a.D., warnt vor der vorsorglichen Speicherung von IP-Adressen. Im Interview mit BR 2 am 22. Dezember 2025 kommentierte sie den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums, wonach Internetanbieter IP-Adressen künftig drei Monate lang speichern müssen. 

BR 2: Wenn dieser Entwurf auch tatsächlich zum Gesetz wird, dann müssen IP-Adressen generell drei Monate lang gespeichert werden. Die FDP hat es immer abgelehnt, auch in der letzten Ampelregierung. Warum sind Sie denn so rigoros dagegen?

Leutheusser-Schnarrenberger:

Natürlich ist die IP-Adresse ein persönliches Datum und lässt Rückschlüsse zu auf Kommunikation. Und ich muss mehr speichern - so sieht das wohl auch der Gesetzentwurf vor - als nur die IP-Adresse. Da gibt es viele technische Daten drumherum und all das ermöglicht einen erweiterten Zugriff von außen.

Natürlich wird deshalb seit langem darüber diskutiert: Darf man das überhaupt? Oder ist da nicht doch eine Grenze, weil man eben sehr in den privaten Kommunikationsbereich - auch wenn man nicht alle Inhalte speichern will - hineinkommt und dann auch Grundrechte verletzt? Und deshalb gibt es eben so viele Urteile gegen eine anlasslose, umfassende Vorratsdatenspeicherung.

BR 2: Allerdings geht es ja bei solchen Debatten immer um eine Abwägung. Natürlich wäre diese Speicherung von IP-Adressen ein Grundrechtseingriff, aber kann man eben nicht wie die Befürworter auch sagen: Das ist gerechtfertigt, wenn man dadurch schwere Verbrechen aufklären kann?

Leutheusser-Schnarrenberger:

Das ist natürlich die Grundsatzdebatte. Das ist ja nicht eine neue Erfindung, dass man damit gegen Kriminalität vorgehen wolle, sondern das hat schon immer die Politik beschäftigt, auch die Ampel in der letzten Regierung. Und da hatte man sich eben auf ein anderes Verfahren eingelassen, das sogenannte Quick Freeze, also das Einfrieren von Daten aufgrund eines Anlasses, um dann diese Daten später zu nutzen.

Das heißt: anlassbezogen mit diesen Datenspeicherungen umzugehen und nicht jede IP-Adresse, und da gibt es ja unsägliche, Sie haben ja gerade die Technik erklären lassen, von jedem Bürger, jeder Bürgerin auf Dauer. Und drei Monate sind sehr lange zu speichern. Es gibt Alternativen.

BR2: Allerdings an diesem Quick Freeze-Verfahren gibt es natürlich wiederum Kritik. Da sagen viele aus der Praxis Das ist zu kompliziert. Da vergeht ja auch wieder Zeit, bis man dann einfriert. In der Zeit können die Daten womöglich schon gelöscht sein. Die Gewerkschaft der Polizei hat sich jetzt zu Wort gemeldet. Die sagen, man müsste die IP-Adressen sogar noch viel länger speichern als drei Monate, weil Ermittlungsverfahren eben manchmal auch sehr viel Zeit brauchen. Misstrauen Sie denn den Ermittlern der Polizei, wenn die sowas fordern?

Leutheusser-Schnarrenberger:

Das hat nichts mit Misstrauen zu tun. Natürlich möchten Ermittler hier gerne möglichst umfangreiche technische Möglichkeiten. Das ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Aber es geht um Abwägung. Es geht um die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern. Und ich finde es nicht gut, wenn der Eindruck erweckt wird, wir seien hier hilflos beim Vorgehen gegen Kriminalität - auch gerade bei Kindesmissbrauch oder bei schweren Delikten. Das sind wir nicht, denn wir haben ja auch eine ganz gute Rate. Aber es bleibt immer ein Rest nicht aufklärbar. Und das ist nicht gerechtfertigt, jetzt in diesem Umfang diese Daten zu speichern. Keine neuen Argumente werden genannt. Und wenn es etwas aufwendig ist: Ja, es geht um Grundrechtsschutz, Privatsphäre, Persönlichkeitsrecht! Da kann man doch wohl auch mal über einen Aufwand diskutieren.

BR 2: Rechnen Sie denn damit, dass dieses neue Gesetz, wenn es denn in Kraft tritt, auch wieder in Karlsruhe oder vor dem Europäischen Gerichtshof landen und dort möglicherweise auch wieder gestoppt werden wird?

Leutheusser-Schnarrenberger:

Ich glaube, das darf man nicht ausschließen. Es hat bisher ja schon sehr, sehr viele oberste Gerichtsentscheidungen gegeben. Und von daher muss man davon ausgehen. Aber es hängt natürlich von der ganz konkreten Ausgestaltung ab. Deshalb gibt es eben diesen Alternativentwurf noch aus der Ampelzeit, der ganz klar der grundrechtsschonendere Weg ist.